In Briefen an den Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und den Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer beklagt die Arbeitsgruppe „Kirche für Fernfahrer“ die oft prekäre Lebenssituation dieser Arbeitnehmergruppe und fordert faire Arbeitsbedingungen für die oft auch aus Osteuropa stammenden Fernfahrer. Durch die Pandemie „wurden und werden viele soziale Probleme in dieser Branche auf dramatische Weise offenbar“, heißt es in den Schreiben.
Die Verbesserung der Arbeits- und Lebenssituation der Fahrerinnen und Fahrer dulde keinen Aufschub mehr. Es brauche politisches Handeln und gesetzliche Rahmenbedingungen, die den Menschen, seine Würde und seine Gesundheit schützen. „Als Seelsorgerinnen und Seelsorger drängen wir darauf, dass die Leidenschaft und der Stolz, mit dem die Kraftfahrerinnen und Kraftfahrer ihre unverzichtbare Arbeit verrichten und die seelischen Nöte und sozialen Probleme, die sie dabei bewältigen müssen, von Gesellschaft und Politik ernst genommen werden“, so die Aufforderung an die Minister.
„Einem Menschen, der abhängig beschäftigt ist, steht ein Lohn zu, von dem er und seine Familie menschenwürdig leben können.“ Das sei ein Kernsatz der katholischen Soziallehre. Am Beispiel der Kraftfahrer zeige sich aber, dass „die unsichtbare Hand des Marktes“ dies nicht leisten könne. Aus diesem Grund seien Menschenwürde und Gerechtigkeit - in der Transportbranche und in der Wirtschaft überhaupt – eine Aufgabe für Politikerinnen und Politiker.
„Durch zahllose Gespräche mit Betroffenen kennen wir viele Themen, die angegangen werden müssen, damit die Fahrerinnen und Fahrer ihre verantwortungsvolle Tätigkeit unter menschenwürdigen Bedingungen verrichten können“, stellen die Betriebsseelsorger fest.
So seien die hygienischen Verhältnisse an Rasthöfen, Parkplätzen und Logistikzentren oftmals - gelinde ausgedrückt - mangelhaft. Fahrerinnen und Fahrern würden verbreitet Lebensbedingungen zugemutet, die kaum erträglich sind. Der Parkplatzmangel erschwere das Einhalten der gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeit. In Deutschland betrage die Zahl der zugelassenen Lkw rund 3,3 Millionen. Hinzu kämen die Fahrzeuge, die Deutschland als Transitland durchfahren oder aus dem Ausland Waren anliefern. Nach aktuellen Untersuchungen von Branchenexperten fehlten bundesweit zwischen 30.000 und 50.000 Lkw-Stellplätze. Aktuell müssten die Fahrer ihre Fahrzeuge oft in den Ein- und Ausfahrten zu den Rastanlagen unerlaubt abstellen, um die Lenkzeiten nicht zu überschreiten, mit der Folge, dass Gefahrenquellen entstehen.
Es fehle an Toiletten und Duschmöglichkeiten, was besonders der Lockdown verschärfend gezeigt habe. „Während der Corona-Zeit war und ist die Situation für die Lkw-Fahrerinnen und Lkw-Fahrer besonders prekär und menschenunwürdig, weil viele sanitäre Anlagen auf den Raststätten geschlossen waren oder wieder sind“, wird die Lage der Fahrer beschrieben. Auch in den Betrieben würde ihnen aus hygienischen Gründen sehr oft der Zugang zu Toiletten und Duschen verweigert. Zitat eines Fahrers: „Wir wollen in unserer Firma keine Virenschleudern haben.“
Die Arbeit der Fahrerinnen und Fahrer sei extrem belastend. Eigentlich stünden Fahrerinnen und Fahrern Respekt und Dank zu für die tägliche Arbeit, die Erhalt und Funktionieren unserer Wirtschaft und der gesamten Versorgung gewährleistet. Stattdessen kämpften viele mit herabwürdigender Behandlung bei Verladern und Auftraggebern.
Zu einem risikoreichen Leben unter Zeitdruck kommen die gesundheitlichen Gefährdungen durch Bewegungsmangel, Übergewicht, Übermüdung und unregelmäßige Arbeitszeiten. Mangelnde soziale Kontakte und eine hohe Scheidungsrate sind die Last, die viele zu tragen haben.
„Als Seelsorgerinnen und Seelsorger sehen wir die besondere Not und Last, die diesen Berufsstand im Alltag prägt. Wir sehen hier auch die Gründe für einen enormen Fahrermangel von 50.000 oder mehr fehlenden Personen in der Branche. Verbesserungen bei Arbeitsbedingungen und Lohn sind dringend notwendig“, stellen die Betriebsseelsorger fest. „Wir fordern Sie deshalb auf, den ungeregelten, ruinösen Logistik-Wettbewerb auf dem Rücken der Fahrerinnen und Fahrer zu beenden!“
Gegen das Sozialdumping müsse ein allgemeiner Mindestlohn in der Transportbranche nicht nur eingeführt, sondern auch durchgesetzt werden. Die gesetzlichen Regelungen bei Gesundheitsschutz und Lenk- und Ruhezeiten sollten schnell umgesetzt und wirksam kontrolliert werden.
Lastkraftwagen seien die am stärksten genutzten Verkehrsmittel im Güterverkehr in Deutschland mit einem Anteil von 71,4 Prozent an der Transportleistung im Jahr 2019. Hinter dieser Zahl stünden allein in Deutschland 560.000 (offiziell gezählt, tatsächlich weit über eine Million) Menschen hinter dem Lenkrad, die durch ihren Einsatz im Beruf die Wirtschaft und das Leben in Europa erst ermöglichten.
Im Juli 2020 habe die EU unter schwierigen Bedingungen ein Mobilitätspaket verabschiedet, dass bei vielen seriösen Spediteuren und Kraftfahrern die Hoffnung auf einen fairen Wettbewerb gestärkt habe. Die wichtigen Änderungen, die bei den Lenk- und Ruhezeiten, der Kabotage und der Entsendung von Fahrern vorgesehen seien, sollen bis 2025 bzw. 2026 national umgesetzt werden. „Warum so lange warten, wenn die Situation schon seit Jahren prekär ist?“, fragen die Betriebsseelsorger. Die nationale Umsetzung der EU-Regelungen werde dringend erwartet. Allerdings zeige bereits jetzt, dass bereits geltende Regelungen nicht eingehalten oder nicht kontrolliert werden.
Das in der gesamten Branche verbreitete Sozialdumping werde allein durch das Mobilitätspaket nicht verhindert. Ein riesiges Problem seien Fahrer aus Osteuropa, deren Armut von Spediteuren ausgenutzt werde, die ihnen skandalöse Löhne (keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, keine Sozialabgaben) und Lebensbedingungen abverlangen. Dieses Sozialdumping habe mit Wettbewerb nichts zu tun, zwinge aber andere Unternehmen, ebenfalls zu unlauteren Mitteln zu greifen.
Die Arbeitsgruppe formuliert auch konkrete Ideen und Vorschläge um die Not auf den Rastplätzen und Autobahnen zu lindern.
Die Arbeitsgruppe „Kirche für Fernfahrer“ besteht aus einer Kollegin und acht Kollegen aus dem süddeutschen Raum (Augsburg, Heilbronn, Singen, Sigmaringen, Konstanz, Mainz, Speyer, Bamberg, Freiburg). Sie ist als Fernfahrerseelsorge ein Teil der katholischen Betriebs-seelsorge der Bistümer Augsburg, Bamberg, München und Freising, Rottenburg-Stuttgart, Freiburg, Speyer und Mainz und arbeitet im Auftrag der Bundeskommission der Be-triebsseelsorge. Die Gruppenmitglieder sind regelmäßig auf den Rastplätzen ihrer jeweiligen Region unterwegs, zurzeit, soweit dies mit den entsprechenden Hygiene-maßnahmen möglich ist. Vor Corona sind sie auch jährlich bei den großen Truckerfestivals in Geiselwind und in Lichtenfels. Hier und in manchen Re-gionen bei Stammtischen der Autobahnpolizei kommen die Seelsorger mit den Fahrerin-nen und Fahrern ins Gespräch und erfahren von ihren Sorgen und Nöten.