Hermann Kandler: Die Bedeutung der Siebenschläfer (ashab al-kahf) im Islam. Untersuchungen zu Legende und Kult in Schrifttum, Religion und Volksglauben unter besonderer Berücksichtigung der Siebenschläfer-Wallfahrt. Abhandlungen zur Geschichte der Geowissenschaften und Religion/Umwelt-Forschung Beiheft 7, Universitätsverlag Dr. N. Brockmeyer, Bochum 1994
Die Siebenschläfer kennen wir heutzutage meist nur noch als Boten von sieben Wochen vermeintlich gleichbleibendem Wetter. Aber ihre Legende ist sowohl im christlichen als auch im islamischen, im westlichen als auch im orientalischen Kulturkreis weit verbreitet und verschiedentlichst rezipiert worden. Der Autor Kandler hat sich mit dem Motiv der Siebenschläfer im islamischen Kultus, insbesondere in der anatolischen Wallfahrtsstätte Eshab-i Kehf, beschäftigt.
Die Siebenschläferlegende in Koran 18,10ff (zitiert aus www.koransuren.de )
"(Damals) als die Männer sich in die Höhle zurückzogen und sagten: ""Herr! Schenk uns Barmherzigkeit von dir und bereite uns in unserer Angelegenheit einen rechten Weg!""" 11 Da schlugen wir ihnen in der Höhle aufs Ohr (so dass sie für) eine (ganze) Anzahl von Jahren (betäubt waren). 12 Hierauf weckten wir sie auf, um in Erfahrung zu bringen, welche der beiden Gruppen am ehesten errechnen würde, eine wie lange Zeit sie (in der Höhle) verweilt hatten. 13 Wir berichten dir ihre Geschichte der Wahrheit entsprechend. Sie waren Männer, die an ihren Herrn glaubten. Und wir bestärkten sie noch in ihrer Rechtleitung. 14 "Und wir machten ihnen das Herz stark. (Damals) als sie dastanden und sagten: ""Unser Herr ist der Herr von Himmel und Erde. Wir werden zu keinem anderen Gott als ihm beten. Sonst würden wir etwas behaupten, was (von der Wahrheit) weit abliegt ." 15 Diese unsere Landsleute haben sich an seiner Statt (andere) Götter genommen. Warum bringen sie (denn) keinen klaren Beweis über sie bei? Wer ist frevelhafter, als wer gegen Allah eine Lüge ausheckt? 16 "Zieht euch nun, nachdem ihr euch von ihnen und dem, was sie außer Allah verehren, fernhaltet, in die Höhle zurück! Dann wird euer Herr euch (etwas) von seiner Barmherzigkeit zukommen lassen und euch in eurer Angelegenheit für Abhilfe sorgen.""" 17 Und du siehst, dass die Sonne, wenn sie aufgeht, sich zur Rechten von ihrer Höhle wegneigt (und nicht hineinscheint), und (ebenso) wenn sie untergeht, zur Linken an ihnen abwendet, während sie sich in einem Hohlraum der Höhle befinden. Das ist (eines) von den Zeichen Gottes. Wen Gott rechtleitet, der ist (in Wahrheit) rechtgeleitet. Für denjenigen aber, den er irreführt, wirst du keinen Freund finden, der ihn auf den rechten Weg bringen würde. 18 Du meinst, sie seien wach, während sie (in Wirklichkeit) schlafen, wobei wir sie (von Zeit zu Zeit) nach rechts und nach links umkehren und ihr Hund mit ausgestreckten Beinen am Eingang liegt. Wenn du sie zu sehen bekämest, würdest du dich vor ihnen zur Flucht wenden und vor ihnen nichts als Schrecken empfinden. 19 "(Während sie) auf diese Weise (schliefen) weckten wir sie nun auf, damit sie sich untereinander fragen würden. Einer von ihnen sagte: ""Wie lang habt ihr verweilt?"" Sie sagten: ""Einen Tag, oder den Teil eines Tages."" Sie sagten (schließlich, als sie darüber nicht einig werden konnten): ""Euer Herr weiß am besten darüber Bescheid, wie lang ihr verweilt habt. Schickt nun einen von euch mit diesem eurem Geld in die Stadt! Und er soll schauen, wer in ihr die reinste Speise (zu bieten) hat. Und er soll euch von ihm (etwas) zu essen bringen. Er soll es geschickt anstellen und keinen etwas von euch merken lassen." 20 "Wenn sie (nämlich) von euch erfahren, werden sie euch steinigen oder verlangen, dass ihr wieder ihrer Religion beitretet. Dann aber wird es euch nie (mehr) wohl ergehen.""" 21 "(Sie wurden aber dabei doch entdeckt.) Und so haben wir (den damaligen Zeitgenossen) von ihnen Kenntnis gegeben, damit sie wüssten, dass das Versprechen Gottes wahr, und dass an der Stunde (des Gerichts) nicht zu zweifeln ist. (Damals) als sie untereinander über ihre Angelegenheit stritten! … 25 Und sie verweilten dreihundert Jahre in ihrer Höhle, und neun dazu. 26 Sag: Gott weiß am besten darüber Bescheid, wie lang sie verweilt haben. Er besitzt (mit seinem Allwissen) die Geheimnisse von Himmel und Erde. Wie sehend ist er! Und wie hörend! Sie haben außer ihm keinen Freund. Und niemanden lässt er an seiner Entscheidung teilhaben.
Folgende Interpretationshilfen sammelt Kandler, die ich hier gerafft wiederhole: Vers 10 greift die Ausgangssituation der Verfolgung der Gläubigen auf. Die Zugehörigkeit zum Christentum und die Zeit unter Kaiser Decius, Mitte drittes Jahrhundert, diskutieren die Exegeten kontrovers. Wenn Gott den geflohenen Männern nun auf die Ohren schlägt (Vers 11), darf der Mystiker annehmen, dass sich der Betroffene in einem Zustand befindet, in dem er die physische Welt nicht mehr beachtet. Eine wichtige Frage der islamischen Systematik tangiert Vers 12. Gott will etwas in Erfahrung bringen! Gott weiß also nicht schon im Voraus wie sich das Geschick des Menschen entwickelt. Er ordnet seine Pläne nach der Entwicklung, die die Begebenheiten in der freien Entscheidung des Menschen nehmen. So scheint es nicht verwunderlich, dass Gott die Herzen der Gläubigen, wie in den Versen 13 und 14 erwähnt, stärkt, was, wie Ibn Arabi meint, die Standhaftigkeit im Glauben an den einen Gott, in der Abkehr von den Versuchungen der Welt und im Kampf gegen das immer fordernde Ich bedeutet. Wann war es, als die Männer „dastanden“ (14)? Als sie standhaft geblieben waren, als sie sich im Gespräch fanden und sich gegenseitig ihren Glauben gestanden, als sie auf-er-standen? Die Götzendiener können jedenfalls keinen Beweis für die Richtigkeit ihres Glaubens vorbringen (15). Und Gott gibt den Männern also den Befehl, sich zurückzuziehen. Ibn Arabi meint, um der Vollkommenheit wegen, solle sich der Mensch in sein Inneres zurückziehen und so sei der Vers zu verstehen. Schließlich schafft Gott Abhilfe und die Männer werden gerettet. Das ist bereits die zweite Anspielung auf Muhammad, den Propheten des Islam und seine Situation. Zuerst erwähnt die Sure, dass diese Version der Geschichte der Wahrheit entspricht (13) und deshalb der Prophetenanspruch Muhammads bestätigt werden kann und hier nun ist die Episode, in der sich Muhammad auf der Flucht vor den Mekkanern in einer Höhle versteckt, vor deren Eingang eine Spinne ihr Netz webt, sodass die Verfolger wieder umkehren. Vers 17 beschreibt umständlich, wie der Höhleneingang gelegen haben mag, ohne dass der Inhalt entdeckt werden konnte und ohne dass die Körper von der Sonne versengt werden konnten. Kandler offeriert eine lange Reihe von Argumenten für verschiedene Theorien, u.a. auch Razi, der unbedingt die Höhle dadurch ausfindig machen will und Ibn Arabi, der kein Interesse an den geografischen Besonderheiten zeigt sondern die Allegorien zu deuten sucht.
Vers 18 gibt drei Rätsel auf: Erstens fragen sich die Exegeten, warum der Beobachter die Männer in wachem Zustand vermutet, während sie aber doch tatsächlich schlafen. Meiner Meinung nach die spannendste Deutung bietet Rumi an, der das Schlafen mit wachem Herzen und offenen Augen als den besten Lobgesang und die höchste Vollkommenheit einstuft. Zweitens lässt sich über den Hund vor der Höhle spekulieren. Vielleicht ein Hirtenhund, vielleicht ein Schutz vor dem Zutritt der (Todes-)Engel, vielleicht ist er aber auch, wie Ibn Arabi wieder symbolisch deutet, als unreines Tier das Sinnbild der menschlichen Triebseele, die über die Schlafenden keine Macht mehr ausüben kann. Und als drittes Rätsel bleibt der Schrecken, den der Anblick der Männer verbreiten soll. Persönlich neige ich wieder dazu mich der weisen Interpretation Ibn Arabis anzuschließen. Er meint, die befreite Form der Seelen, die in ihrer Vollkommenheit nur mit der Herrlichkeit Gottes umhüllt ist, jagt jeder abhängigen Seele Furcht und Schrecken ein.
Vers 21 benennt schließlich die Intention des Textes. Absicht der Erzählung ist zu unterstreichen, dass an der Stunde des Gerichts kein Zweifel besteht. Schon der Einleitungssatz hatte um Gottes Barmherzigkeit gebetet und am Ende bleibt den Siebenschläfern kein Freund und Helfer. Vor Gottes Gericht stehen sie in ihrem Glauben allein.
Nach den koranexegetischen Ausführungen widmet sich Kandler den islamischen Legenden um die Siebenschläfer, die ich hier übergehe, um auf das Eigentliche dieser Dissertation zu stoßen: die Siebenschläferwallfahrt. Kandler berichtet von einem Ort in der Nähe der türkischen Stadt Tarsus, der verkehrsgünstig gelegen, bis heute besucht wird. Die Landschaft ist hügelig, das Klima angenehm, es gibt in Eshab-i Kehf Imbissbuden und Devotionalienlädchen und natürlich einen Friedhof, der auch von Auswärtigen belegt ist, die für die Wahl ihrer Grablege die Nähe zu einem „heiligen“ Ort suchten. Die Pilger kommen nach Eshab-i Kehf, um um Linderung ihrer Gebrechen oder Heilung von Krankheiten zu bitten, aber auch die Erfüllung des Kinderwunsches ist ein Grund zu pilgern. Zum Schutz vor Feinden werden die Siebenschläfer besucht oder angerufen und bei Seenot, da sie sich doch auskennen mit Wenden und Umdrehen (Vers 18). Die Pilgerstätte trägt, wie viele andere Pilgerzentren, einige Merkmale, die die Forschung der Erholung zuordnet und die den koranischen Paradiesesvorstellungen gleichen: Wasser, Schatten, grünende Vegetation.
Kandler kommt zu dem Schluss, dass die Entwicklung des Wallfahrtsortes der Siebenschläfer ein Beispiel für die Rückbesinnung auf die Werte des Islam sein kann, eine Rückbesinnung, die sich auf friedliche, vielleicht auf touristische und kommerzielle Art, aber sicher auch auf religiöse Weise zeigt.