Impuls: Haft in Zeiten von Corona

Datum:
Mo. 30. März 2020
Von:
Matthias Klöppinger, Gefängnisseelsorger in der JVA Darmstadt

In diesen Tagen ist so häufig von „systemrelevanten Berufen“ die Rede, und das finde ich ausgesprochen gut! Da kommen die in den Blick, die sonst in unserer Aufmerksamkeit eine eher untergeordnete Rolle spielen. Jene, die scheinbar nicht primär das Bruttosozialprodukt steigern, die nicht im Börsenbarometer verzeichnet sind und nicht das Wirtschaftswachstum ankurbeln: Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte, Rettungs- und Ordnungsdienste, Feuerwehrleute, Polizistinnen und Polizisten, Soldatinnen und Soldaten, aber auch die unermüdlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Supermärkten und in der Logistik.

 Es sind die Lastwagenfahrer, die täglich Waren durchs Land transportieren, damit die Regale in den Geschäften aufgefüllt werden können. Ja, es ist gut, dass wir diese wichtigen Menschen, die uns versorgen und unser Überleben selbst in Krisenzeiten sichern, anerkennend wahrnehmen.
Genau an dieser Stelle will ich Ihre Aufmerksamkeit auf einen Bereich unserer Demokratie lenken, der ebenfalls systemrelevant ist, aber in der Regel kaum bewusst wahrgenommen wird: es ist unser Justizvollzug. Ich arbeite als Seelsorger in einem Gefängnis für 420 verurteilte Männer. Und gleich vorweg, auch wenn unsere Liebe zu Krimis das nahelegen mag: nur die wenigsten sitzen wegen Mord und Totschlag. Die meisten Inhaftierungen haben wir aus dem Bereich der Drogen- und Beschaffungskriminalität, Alkoholdelikte – häufig verbunden mit Gewalt und Sachbeschädigung, Fahren ohne Führerschein, aber auch Betrug – vor allem im Internet – und Ersatzfreiheitsstrafen, weil Menschen ihre Rechnungen und Schulden nicht zahlen können.
Unsere Aufgabe im Justizvollzug ist nicht die Bestrafung, sondern die Umsetzung der Strafe. Unser hochgestecktes Ziel ist Resozialisierung. Es geht darum, nach der Haftzeit einen Neuanfang ohne Kriminalität und Sucht zu ermöglichen. Das ist zutiefst christlich: Umkehr, Buße und Neuanfang. Alleine darauf zielt unsere Arbeit ab. Im Gefängnis müssen die Inhaftierten täglich bewacht, versorgt, therapiert, ausgebildet und manchmal „nur“ beschäftigt und bei Laune gehalten werden.
Was heißen diese „Corona-Tage“ für die Gefangenen? Schule, Ausbildung, Arbeit, Gruppensport, Besuch von Angehörigen – all das, was im „normalen“ Haftalltag immerhin eingeschränkt möglich ist, fällt jetzt komplett aus. Handy- und Internetkontakte gibt es im Gefängnis nicht. Nun sind sogar die Gottesdienste abgesagt, die ich am letzten Wochenende noch halten konnte. Kerzen entzünden oder LED-Teelichte anschalten als Zeichen der Hoffnung ist aus Sicherheitsgründen verboten.
Zwanzig Stunden in einer 5-7qm kleinen Zelle – essen, trinken, schlafen, sich waschen, auf Toilette gehen, ohne bauliche Trennung vom Rest des Haftraums –, eine Stunde gesetzlich vorgeschriebener Hofgang, neuerdings knapp drei Stunden Freizeit und Begegnung mit Mitgefangenen im Hafthaus. Die Männer machen sich Sorgen. Gar nicht so sehr um sich. Sie sind das Weggesperrtsein und die Isolation gewöhnt. Sie wissen, die einzigen, die das Risiko in die Anstalt tragen könnten, sind wir Bedienstete, denen aber die meisten ein gewisses Vertrauen entgegenbringen. Was bleibt ihnen auch anderes übrig als sich auf uns zu verlassen? Aber wie geht es den Angehörigen draußen? Den Eltern und Frauen und Kindern? Die Männer kommen aus vielen Ländern der Welt. Informationen über ihre Heimat haben sie oft nur aus dem Fernsehen, und diese sind alles andere als beruhigend. Ablenkung von der permanenten Angst gibt es kaum.
Was tun die Beamten, Sozialarbeiter und wir Seelsorger in dieser Situation? Wir sind trotz Corona für die Gefangenen da. Wir führen Gespräche, klären auf und halten Ängste und Sorgen mit aus. Wir versuchen Kontakte zu Angehörigen herzustellen. Ja, und wir beten mit ihnen: Dass all das vorüber gehen möge. Und wir bitten um Ihr Gebet für Bedienstete und Gefangene, um Ausdauer und immer wieder neue Kraft – und ganz wichtig: um Hoffnung!