Impuls: Panik

Kann es sein, dass wir gerade wieder etwas Demut lernen?

Baumkronen (c) Thomas Kempf in: Pfarrbriefservice.de
Baumkronen
Datum:
Fr. 13. März 2020
Von:
SWR1 Anstöße / SWR4 Morgengruß am 13.03.2020 von Martin Wolf, Kaiserslautern/Mainz

Eigentlich ist es ein Gefühl, das uns Menschen Jahrtausende lang begleitet hat. Es scheint erst in neuester Zeit verloren gegangen zu sein. Das Gefühl, die Schöpfung eben doch nie völlig beherrschen zu können. Stattdessen ein Teil von ihr zu sein. Sich mit ihr arrangieren zu müssen. Wohl oder übel. Mit aller Vorsicht und nie ohne aufeinander achtzugeben.

Eine unsichtbare Trennlinie scheint zu verlaufen zwischen Leuten, die sich mit Bergen von Nudeltüten und Fertiggerichten eindeckt haben ...

Alles ausverkauft, keine Chance. Ein Fläschchen Desinfektionsmittel für die Hände wollte ich kaufen. Ich bin viel in öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs und habe immer eines im Rucksack dabei. Aber jetzt stehe ich vor leeren Regalen. Ist das schon Panik, die sich hier still und heimlich breitmacht? Auch im Zug, im Bus oder im Büro drehen sich inzwischen viele Gespräche um Viren, Ängste und mögliche Vorsichtsmaßnahmen. Und eine unsichtbare Trennlinie scheint zu verlaufen zwischen Leuten, die sich mit Bergen von Nudeltüten und Fertiggerichten eindeckt haben und den anderen, die über all das nur verständnislos den Kopf schütteln. Sicher ist nur, dass es gerade Sinn macht, besonders vorsichtig zu sein.

„Ich will, dass ihr in Panik geratet“ hat Greta Thunberg im letzten Jahr auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos gesagt. Wie es scheint, hat sich ihr Wunsch erfüllt. Anders allerdings, als von ihr beabsichtigt. Denn kippende Ökosysteme und schmelzende Arktisgletscher scheinen nicht mehr die größten Aufreger zu sein, obwohl sie es noch immer sein sollten. Aber die sind halt viel weiter weg als der hustende Mann in der S-Bahn neben mir. Und vielleicht ist es ja genau das, was nun auch Panik auslöst. Das Empfinden, plötzlich mittendrin im normalen Alltag bedroht zu sein. Etwas nicht mehr im Griff zu haben. Einer unheimlichen Natur gegenüber zu stehen, die ich selber kaum beeinflussen kann. Während da unsichtbar und vielleicht unbemerkt etwas unter uns ist, das meine tägliche Lebensroutine in Frage stellt. Etwas, dass sich auch nicht mehr einfach als Lüge abkanzeln oder mit Geld ruhigstellen lässt.

Eigentlich ist es ein Gefühl, das uns Menschen Jahrtausende lang begleitet hat. Es scheint erst in neuester Zeit verloren gegangen zu sein. Das Gefühl, die Schöpfung eben doch nie völlig beherrschen zu können. Stattdessen ein Teil von ihr zu sein. Sich mit ihr arrangieren zu müssen. Wohl oder übel. Mit aller Vorsicht und nie ohne aufeinander achtzugeben. Es gibt ein altes, schönes Wort für das Gefühl. Vielleicht müssen wir es ja gerade wieder lernen: Demut.