Impuls: „Werde ich getröstet sein?“ – Von (echtem) Trost und was er bewirken kann …

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Datum:
Di. 31. März 2020
Von:
Norbert Nichell, kath. Klinikseelsorger an der Universitätsmedizin Mainz

In einer Geschichte von Peter Spangenberg wird davon erzählt, dass „die Häsin krank lag“. Der Igel kam zu Besuch, brachte frische Kleeblätter mit und sagte: 

„Kommt Zeit, kommt Rat.“  Die Eule sah herein und meinte: „Gut Ding will Weile haben.“ Als die Feldmaus durchs Fenster guckte, fiepte sie: „Kopf hoch, Frau Nachbarin!“ Auch die alte Katze erkundigte sich kurz nach dem Befinden. „Es wird schon werden“, bemerkte sie schnurrend und meinte es ja auch ehrlich.
Als dann noch der Maulwurf durchs Fenster rief: „Keine Sorge! Ende gut, alles gut!“, empfand die Häsin nur noch Bitterkeit.

In der Küche tobten die Jungen, nichts war fertig geworden. Dazu noch die Angst. Es sollte witzig klingen, als die Elster hoch vom Baum rief: „Kommen wir über den Hund, kommen wir über den Schwanz, Geduld, Geduld!“
„Können die sich denn gar nicht vorstellen, wie mir zumute ist?“, dachte die Kranke. 

„Müssen die alle solch gut gemeinten Unsinn reden?“
Während sie noch enttäuscht darüber nachdachte, dass all der beiläufige Trost keiner war, kamen die Ameisen herein, grüßten kurz, stellten Feldblumen auf den Tisch, machten die Küche sauber, versorgten die jungen Hasen, waren bei alledem sehr leise und verabschiedeten sich geräuschlos. 

Da kehrte Ruhe ein. Und die Hoffnung wuchs.

 

Eine Geschichte, die wir nur allzu gut aus unserem Alltag kennen: Begegnungen, die von Floskeln bestimmt sind, gut gemeint, aber das Gegenteil bewirkend. Falscher Trost oder „Ver-Tröstung“, die nichts mit Trost zu tun hat und die ich jetzt am wenigsten gebrauchen kann … Eher ein Ausdruck von Hilflosigkeit meines Gegenübers, der eben nicht wort-los mir begegnen will, obwohl es doch gar keine Worte für das gibt, was geschehen ist: un-fassbar, un-begreiflich, unermesslich - schmerzhaft.

 

Es tut so weh und es muss jetzt auch weh-tun-dürfen – mit allem, was dazu gehört: Wut, Tränen, Leere, abgrundtiefe Traurigkeit … und die „Wahr-Nehmung“ (im wahrsten Sinn des Wortes!): es wird nie mehr so werden, wie es war und auch niemals „gut sein“!

Was jetzt zählt, ist eine Geste.

 

All das erleben wir auch in diesen Tagen einer nie dagewesenen Krise, die uns mit unfassbarer Wucht und tiefster Erschütterung auf allen Ebenen unseres bisherigen Lebens getroffen hat – bis hin zu einem neuen Blick auf unseren Umgang mit „Sterben, Tod und Trauer“, Menschen, die nicht mehr weiterleben konnten und Menschen, die Abschied nehmen müssen … Kann und will ich mich angesichts dessen, was sich gerade rasant verändert, überhaupt „trösten“ lassen und was ist überhaupt „echter Trost“?

 

Wirklicher Trost ist tiefste Empathie, die mir mein Gegenüber mit oder ohne Worte ausdrückt: wenn ich spüren kann, dass da einer verlässlich mitgeht, vor dem ich sein darf, wonach mir gerade ist – verstehen können wir beide nicht.

 

Als Menschen wollen wir instinktiv Verletzungen, Schmerz und Leiden ausweichen, aber wir können es nicht. Wir sind auf uns selbst zurückgeworfen, finden womöglich nicht einmal einen Ausdruck für unsere Schmerzen und für unser Leiden, der genau das artikuliert, was wir erfahren: Schmerz ist nicht kommunizierbar – und muss doch artikuliert werden, wenn  er die leidende Person nicht ganz in der Welt des empfundenen Schmerzes aufgehen lassen will. Wir Menschen sind trostsuchende Wesen: „Trost ist etwas anderes als Hilfe – sie sucht auch das Tier;  aber der Trost ist das merkwürdige Erlebnis, das zwar das Leiden bestehen lässt, aber sozusagen das Leiden am Leiden aufhebt, er betrifft nicht das Übel selbst, sondern dessen Reflex in der tiefsten Instanz der Seele“ [Georg Simmel, zit. Hans Blumenberg, „Die Beschreibung des Menschen“, 2006, S. 626]. Nach Blumenberg ist die „Abwälzung“ des Schmerzes oder des Leids auf andere eine einzigartige menschliche Fähigkeit, die er ästhetisch deutet: das Imaginäre wird not-wendig, ich brauche die fiktive Distanzierung von der Wirklichkeit als Strategie, den Schmerz oder das Leid überhaupt ertragen zu können, denn ich weiß selbst am besten, dass jeder Trost eine Illusion ist, aber Trost zu erfahren ist mir, der ich ohne Illusion leide („es wird ja nichts geändert, wenn getröstet wird“) ein Bedürfnis. Dieses kann dann in Freiheit umschlagen, wenn ich mich zwischen „Realität“ und „Illusion“ bewegen kann, wenn ich spüre, dass ich weiterleben kann trotz des Schmerzes, dass ich mich trösten lassen kann trotz der Untröstlichkeit, dass ich Leiden mitteilen kann, trotz der absolut subjektiven Erfahrung meines Leidens, die nicht objektivierbar ist [vgl. Haker, H., Vom Umgang der Verletzlichkeit des Menschen, in: Bobbert, M. (Hg.), Parteilichkeit und Ethik (Ethik in der Klinikseelsorge, 3) Münster/Berlin 2011].

 

So gehört der Trost in die erste Verarbeitungsphase des Leids, des Schmerzes, des Verlustes. Er überbrückt das akute Gefühl, dass „es unerträglich ist“ und die noch bestehende Fähigkeit, sich erinnern zu können. So gehört Trost zu dem, was mir ein Weiterleben dennoch möglich macht, obwohl es einen Punkt gab,  der es unmöglich zu machen schien.

Mein Bedürfnis nach Trost und die Fähigkeit, mich getröstet zu fühlen, sind wesentliche Instrumente mitten in aller Verneinung, in allem Verlust, in aller Trauer über das, was nicht mehr „ist“ (und die Menschen, die nicht mehr bei mir „sind“).