Kirche -

aus lebendigen Steinen

Licht im Dom (c) sensum

kurz:

Kirche

Wenn eine neue Kirche vom Bischof geweiht wird, ist das eine tiefe und an Symbolen reiche Liturgie, die durchaus 2 oder 3 Stunden dauern kann. Eindrucksvoll ist schon der Anfang: ein ungewöhnlich schlichter Einzug, ohne Kniebeuge oder sonstige Ehrbezeugung: denn die Kirche ist ja vor der Weihe ein schlichtes, säkulares Gebäude; der Altar nichts als ein mehr oder weniger kunstvoll gestalteter Tisch. Keine Verneigung; keine Kniebeuge. Jeder geht schlicht auf seinen Platz.

Dann segnet der Bischof als erstes den Taufbrunnen: denn aus der Taufe erwächst die Kirche. Mit dem Taufbrunnen wird das Wasser geweiht und mit diesem geweihten Wasser, das an die Taufe erinnert, wird nun zu allererst die versammelte Gemeinde besprengt. Dann erst wird auch das Gebäude gesegnet.

In diesem kaum beachteten Zeichen steckt tiefe Theologie. Es will sagen: die eigentliche Kirche ist nicht das Gebäude, sondern die versammelte Gemeinde, die von Gott herausgerufene Versammlung der Christgläubigen! Das Gebäude, so kunstvoll und schön es sein mag, ist im Grunde nur ein Sinnbild, ein steinernes Symbol für diese eigentliche, aus lebendigen Steinen (vgl. 1 Petr 2,5) errichtete Kirche.

ausführlich:

Kirche

Herausgerufen

Das biblische Wort für Kirche ist der griechische (und vom Lateinischen übernommene) Begriff „ekklesia": die Versammlung, oder wörtlich: „die Herausgerufenen". Die von Gott Herausgerufenen bilden die Kirche. Schon im Alten Testament wird von der „qahal Ísrael" (hebräisch), von der Versammlung Israels oder von der Versammlung des Herrn gesprochen (z.B. Dtn 23): Gott ist es, der sein Volk Israel aus allen Völkern herausgerufen und auserwählt hat.

Aber Gott erwählt sich dieses eine Volk nicht, weil ihm alle anderen Menschen gleichgültig wären, sondern weil er durch dieses eine Volk sein Heilsangebot an alle sichtbar machen möchte: „Ich der Herr, ergriff dich (=das Volk Israel) in Huld, ergriff dich bei deiner Hand, formte dich zum Volksbund, setzte dich den Heiden als Licht." (Jes 42,6). Israel, die „ekklesia des Herrn", soll also ein wirkmächtiges Heilszeichen für alle Völker sein. Diese besondere Sendung des Volkes Israel verdichtet sich in der Person Jesus Christus. Er ist das unüberbietbare Heilszeichen Gottes: in ihm ist Gott selbst Mensch geworden. Er ist, wie es in einem Hochgebet der Kirche heißt: „die Hand, die Gott dem Sünder entgegenstreckt", oder, wie es im Lukasevangelium der greise Simeon über Jesus sagt: das „Licht zur Erleuchtung der Heiden" (Lk 2, 32).

Die Kirche als Überbleibsel der enttäuschten Hoffnung auf das Reich Gottes?

Jesus kommt, um den Menschen den Anbruch des Reiches Gottes zu verkünden. Wo Menschen mit ihm in Berührung kommen, spüren sie schon jetzt, dass Gottes Heil wirksam wird: Blinde sehen wieder und Lahme gehen, Aussätzige werden gesund und den Armen wird das Evangelium verkündet (vgl. Lk 7,22). Nun haben wir Jesus heute nicht mehr in dieser Unmittelbarkeit unter uns. Die Kirche aber erhebt den Anspruch, das Volk Gottes, ja der Leib Christi zu sein und so seine Sendung heute fortzuführen. Ist das nicht Anmaßung?

„Jesus hat das Reich Gottes verkündet; gekommen ist die Kirche." Mit diesem Wort des französischen Theologen Alfred Loisy (1857-1940) wird die entscheidende Frage auf den Punkt gebracht: Hat Jesus Christus überhaupt eine Kirche gründen wollen, hat er die Kirche gewollt?

Nun könnte man natürlich auf jenes im Matthäusevangelium überlieferte Jesus-Wort hinweisen, das in zwei Meter hohen Buchstaben in die Kuppel des Petersdomes in Rom eingeschrieben ist, nämlich das Wort, das Jesus zu Petrus sagte: „Du bist Petrus, der Fels, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen!" (Mt 16,18). Aber die moderne Bibelwissenschaft ist sich an dieser Stelle einig, dass dieses Wort so nicht vom historischen Jesus gesprochen wurde, sondern ihm vom Evangelisten erst nachträglich in den Mund gelegt wurde. Der historische Jesus hat wohl den Begriff „Kirche" nicht gebraucht. Er spricht vom Reich Gottes. Ist also seine Idee vom „Reich Gottes" am Kreuz gescheitert und die Kirche gewissermaßen „das Überbleibsel einer enttäuschten Hoffnung und die verunglückte Gestalt dessen, was Jesus eigentlich wollte" (Karl Lehmann)? So bleibt die Frage: Hat Jesus überhaupt so etwas wie Kirche gewollt, also eine Gemeinschaft von Menschen, die seine Sendung fortsetzen, ja durch die Menschen heute mit Gott und seinem Heil in Berührung kommen können?

Kirche: mehr als der Fanclub des Jesus von Nazareth

Jesus hat, das überliefern alle Evangelisten übereinstimmend, sich einen Kreis von zwölf Männern gewählt, die er herausruft und beauftragt, seine Sendung fortzusetzen (vgl. z.B. Mk 3, 13-19). Er stattet sie mit „Vollmacht" aus, das heißt durch sie soll das Anbrechen der Gottesherrschaft zeichenhaft erfahrbar werden. Sie sollen wie er Dämonen austreiben und Krankheiten heilen und das Reich Gottes verkünden. Er setzt sie buchstäblich an seine Stelle: „Wer euch hört, der hört mich und wer euch ablehnt, der lehnt mich ab!" (Lk 10,16). Nach seinem Tod und seiner Auferstehung werden diese Zwölf an Pfingsten durch den Heiligen Geist neu herausgerufen und gesendet. Sie tragen seine Botschaft weiter. Hier beginnt nun Kirche im eigentlichen Sinn. Sie ist die Gemeinschaft des neuen Volkes Gottes, das in der Kraft des Pfingstgeistes durch die Predigt der Apostel gesammelt wird. Und in diesem Sinn kann man ohne Zweifel sagen, dass Jesus die Kirche gewollt hat.

Daher ist Kirche eben auch viel mehr als eine Gemeinschaft von Anhängern der besonderen Gestalt des Jesus von Nazareth. Kirche ist kein Verein oder Fan-Club. Die Getauften heißen nicht „Jesuaner", sondern „Christen": durch sie bleibt kraft des Heiligen Geistes, der in der Taufe und in der Firmung geschenkt wird und der uns aufs engste mit Jesus Christus verbindet, der Herr selbst in dieser Welt gegenwärtig.

Deshalb nennt das 2. Vatikanische Konzil die Kirche „den geheimnisvollen Leib Christi", der aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst (LG 8 ), und das durch die Zeiten pilgernde „Volk Gottes" (LG 9). Ja mehr noch: das Konzil gebraucht sogar den Begriff „Sakrament" und meint damit, dass die Kirche, die Gemeinschaft der Glaubenden, selbst zu einem Werkzeug wird, durch das Gott den Menschen heute seine heilende Liebe erfahrbar machen möchte.

„Die Kirche ist ja in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit." (LG 1)

Autor(en): Tobias Schäfer