Schmuckband Kreuzgang

250 Jahre Kirche St. Michael Ober-Ingelheim

Barbara Timm vom Historischen Verein Ingelheim hat zum Jubiläum 2017 recherchiert.

StMichaelOI.jpg (c) unbekannt
Datum:
Mi. 1. März 2017
Von:
Barbara Timm

Mit der folgenden  Zusammenfassung der Ereignisse zwischen 1705 und 1767 soll an die Menschen erinnert werden, die trotz unwiderruflichen Verlusts ihres ehemaligen Gotteshauses, eigener Hoffnungslosigkeit und äußerer Widerstände am 1. Mai 1721 den Grundstein legten, auf dem sie ihre neue Kirche bauten.

Der 8. Oktober 2017 wird für die katholische Pfarrgemeinde St. Michael Ober-Ingelheim ein besonderer Gedenktag sein. Vor 250 Jahren weihte an diesem Tag Christoph Nebel, Weihbischof des Erzbistums Mainz, mit einem festlichen Akt ihre neue Kirche im Neuweg. Mit der folgenden  Zusammenfassung der Ereignisse zwischen 1705 und 1767 soll an die Menschen erinnert werden, die trotz unwiderruflichen Verlusts ihres ehemaligen Gotteshauses, eigener Hoffnungslosigkeit und äußerer Widerstände am 1. Mai 1721 den Grundstein legten, auf dem sie ihre neue Kirche bauten.

Gründe für den Bau der neuen Kirche

Das Schicksal, ihr angestammtes Gotteshaus ab Mitte des 16. Jahrhunderts aus konfessionellen Gründen als Folge reformatorischer Bestrebungen unwiderruflich aufgeben zu müssen, ereilte zu Beginn des 18. Jahrhunderts viele Pfarreien in der Kurpfalz. Auch in Ober-Ingelheim verlor die katholische Gemeinde aufgrund des kurfürstlichen Religionsdeklarationsgesetzes vom 21. Oktober 1705 nicht nur die seit 1326 urkundlich belegte Nutzung der Kirche St. Wigbert (heute Burgkirche), sondern auch alle Rechte an ihren kirchlichen Besitzungen. Mit der Umsetzung dieses Beschlusses zur Neuordnung der Gotteshäuser wurde die Pfarrei für 60 Jahre Filiale von St. Remigius Nieder-Ingelheim. Der damals für beide Pfarrgemeinden zuständige Pfarrer Caspar Wilhelm Fischer wollte diesen Verlust jedoch nicht akzeptieren. Er widersetzte sich der kurfürstlichen Anordnung, die Kirche in Ober-Ingelheim, die ab 1692 von Katholiken und Reformierten simultan genutzt wurde, sowie das Pfarrhaus in der Kirchgasse zu verlassen. Erst nach dem 29. März 1707 zog er unter anhaltendem Protest nach Nieder-Ingelheim in das Pfarrhaus auf dem Belzer.

In den ersten Jahren nach dem endgültigen Verlust von Kirche und Besitz kamen die Katholiken Ober-Ingelheims in einem ihnen von der politischen Gemeinde zugewiesenen Raum im alten Rathaus  (Kirchgasse, Ecke Ringgasse) zu Andachten und Christenlehre zusammen. Zur Teilnahme an der sonntäglichen Feier der Heiligen Messe waren sie gezwungen, nach Gau-Algesheim oder Nieder-Ingelheim zu gehen. Der kath. Schul- und Religionsunterricht fand im Tanzhaus statt, das neben dem Rathaus stand. In diesem bekam auch der kath. Lehrer eine Stube zugewiesen. Da das bereits baufällige Rathausgebäude ein Notbehelf blieb, hofften viele Katholiken nach dem Tod von Dekan und Landdechant Fischer wieder auf Trennung von Nieder-Ingelheim und Bestellung eines eigenen Pfarrers für Ober-Ingelheim. Um dies zu realisieren bevollmächtigte der katholische Kirchenvorstand im August 1718 Schultheiß und Anwalt Biebesheimer, sich mit ihrer Bittschrift zum Oberamt Oppenheim und von dort weiter zur kurfürstlichen Regierung nach Mannheim zu begeben. In dieser Petition führten sie u.a. aus, dass die erhoffte neue Pfarrei für Ober-Ingelheim etwa 400 Seelen betragen würde und der erbetene neue Pfarrer ausreichend besoldet wäre, wenn das Einkommen des verstorbenen Landdechanten zwischen Nieder- und Oberingelheim geteilt würde. Am 13. August 1718 schickte die kurpfälzische Regierung die Petition weiter an das Erzbischöfliche Vikariat nach Mainz mit der Bitte zu prüfen, ob von einem geteilten Pfarreinkommen auch zwei Pfarrer leben könnten, ohne in absehbarer Zeit eine Aufstockung ihres Lebensunterhalts zu fordern. Das Gesuch der Ober-Ingelheimer Katholiken um Autarkie wurde abgelehnt. Damit blieben die katholischen Pfarreien beider Ingelheim weiterhin aneinander gebunden.

Die Ober-Ingelheimer ließen sich von dieser Ablehnung der Eigenständigkeit jedoch nicht entmutigen. Am 1. Mai 1721 legten sie im Namen ihrer Churfürstlichen Durchlaucht Carl Philipp von der Pfalz und bei Rhein im Neuweg einen Grundstein, über den sie einen neuen Sakralbau im barocken Stil errichteten. Bis zur sehnlichst erhofften Eigenständigkeit und Nutzung ihres neuen Gotteshauses sollten aber noch mehr als 40 Jahre vergehen.

Johannes Mihm – erster Pfarrer in St. Michael

Am 9. April 1765 verstarb Johann Friedrich Förster, letzter katholischer Pfarrer beider Ingelheim. Nur wenige Tage nach dessen Tod beschloss Kurfürst Karl IV. die beiden Ingelheimer kath. Gemeinden aus heylsamen ursachen wieder zu separieren. Er berief Pfarrer Philipp Grau aus Godramstein auf die vakante Pfarrstelle St. Remigius und besetzte die neu geschaffene Pfarrstelle in Ober-Ingelheim mit dem seit 1763 in Nieder-Ingelheim tätig gewesenen Kaplan Johannes Mihm. Im Pfarrarchiv St. Michael sind nur wenige Dokumente bewahrt, die Zeugnis über Mihms Herkunft und Werdegang ablegen. Nach einer 1751 in Latein verfassten Abschrift seines Taufeintrags wurde er in Kranlucken (Diözese Fulda) geboren und am 18. November 1729 in der Kirche von Schleid getauft.

Über seine Kindheit, Schul- und Jugendzeit ist nichts bekannt. Es kann jedoch vermutet werden, dass sein Taufpate gleichen Namens und Pfarrer in Batten für den heranwachsenden Johannes zum Vorbild auf seinem weiteren Lebensweg wurde. Aufgrund des Ausstelljahres ist anzunehmen, dass sich der 22-jährige Johannes die Taufbescheinigung zu Beginn seines theologischen Studiums ausfertigen ließ. Die unten links von anderer Hand und Tinte gesetzte Beischrift deutet ferner darauf hin, dass Theologiekandidat Mihm das Dokument 1763 als Beleg in Vorbereitung zur Verleihung eines Titulus Mensae nach Worms an den „Suffragan“ (= Weihbischof) schickte. Dieser Titel bedeutete, dass er bis zur Priesterweihe seine Versorgung vom Landesherrn oder Bistum erhalten hat. Zur damaligen Zeit war der Weihbischof von Worm für die Weihe der Pfarranwärter in der Diözese Mainz zuständig. Stationen von Mihms theologischer Ausbildung sind ebenfalls nicht belegt. Nach eigener Aussage in einem Brief vom 17. April 1765 war er an der Universität Heidelberg als Repetitor tätig, wo er sein Studium wohl auch abschloss. Seiner Berufung in den Priesterstand ging ein Schreiben vom 19. April 1763 voraus, mit dem die kurfürstliche Regierung in Mannheim bestätigte, dass Ihro Churfürstliche Hoheit auf unterthänigstem Ansuchen des Theologie Candidati Joannis Mihm um große Ertheilung des in deren geistlichen Rechten erforderten sogenannten Tituli Mensae [zustimmt], damit derselbe hiermit ad sacros ordines promoviret werden möge, (…) bis zu Erlangung eines zulänglichen Beneficii Ecclesiastici; wie die Sacri Canones erforderen und sonsten gewöhnlich ist, (…),  umb sich deren gehörigen Orth nothdürftig bedienen zu können, (…).

Noch im selben Jahr kam Johannes Mihm als Kaplan nach Nieder-Ingelheim an die Kirche St. Remigius. Hier unterstützte er für zwei Jahre Pfarrer Johann Friedrich Förster. Nach dessen Tod schickte der bereits 36-jährige an seine kurfürstliche Durchlaucht ein weiteres Gesuch, mit dem er sich um die Pfarrstelle der nun wieder eigenständigen kath. Gemeinde in Ober-Ingelheim bewarb. In diesem drückte er u.a. die Hoffnung aus, durch diese höchste Gnade der Beförderung seine ihm an hertzen liegende arme Mutter und geschwistrigen versorgen zu können. Am 2. Mai 1765 antwortete das Oberamt Oppenheim, dass am 3. Juni nächstkünftig ein abermaliges Examen derer eingebohrenen kurpfälzischen Clericorum gehalten werde; welches Catholische Pfarr Curat zu N:Ingelheim Mihm (…) wissend gemacht wird.

Da sich die Ankunft von Pfarrer Philipp Grau in St. Remigius um drei Monate verzögerte, betreute  Kaplan Mihm von April bis Juli 1765 als Pfarr-Administrator beide Pfarreien. So war es Mihm erst ab August möglich, seine neue Stelle in Ober-Ingelheim vollständig anzutreten und in das Pfarrhaus im Neuweg, Ecke Grabengasse (heute Parkplatz) umzuziehen. Am Sonntag, den 15. Dezember 1765 wurde Johannes Mihm der katholischen Gemeinde offiziell vorgestellt.

Privilegierter Altar

Nachdem 1762 die neue Kirche bis auf den Außenputz fertiggestellt war, vergingen noch fünf Jahre bis zum festlichen Akt ihrer heiligen Weihe. Diesem denkwürdigen Ereignis ging ein Schreiben des Erzbischöflichen Vikariats Mainz vom 21. August 1766 an alle Dekane betreffend Altarprivileg voraus. Johannes Mihm antwortete dem Vikariat am 29. August 1766, dass weilen bis hierher die OberIngelheimer Kirch nur gleichsam eine Filialkirche war, so scheint keine Altare privilegiatum da gewesen zu sein; wenigstens hat sich kein Document einer Concession vorgefunden; nunmehr aber da besagte Kirche eine Pfarrkirch ist, so gelangen an Hochwürdigstes Erzbischöfliches Generalvikariat meine flehentliche Bitte, mir und meinen Pfarrkindern das Glück zu vergönnen, dass deren armen Seelen zum Trost unser hoher Altar das nämliche Privilegium durch eine gnädigste Concession überkomme,(…). In Erwartung gnädigsten Erhörs harre in tiefester Submission unterthänigster Caplan Johs. Mihm zu OberIngelheim. Durch erzbischöfliche Urkunde vom 22. April 1776 ist die Bestimmung des Hochaltars der Ober-Ingelheimer Pfarrkirche als „Privilegierter Altar“ belegt. Ob auch schon vorher – etwa auf das Gesuch Pfarrer Mihms vom 29. August 1766 – dieser oder ein anderer Altar der Kirche in dieser Weise ausgezeichnet war, bedarf noch einer Überprüfung.

Endlich, nach mehr als 60 Jahren konnten die Katholiken in Ober-Ingelheim wieder eine vollwertige Kirche in Besitz nehmen. Am 8. Oktober 1767 begrüßten Pfarrer Mihm, Kirchenvorstand und mehr als 400 Katholiken in Ober-Ingelheim Weihbischof Christoph Nebel aus Mainz, der an diesem Tag erstmals Kirche und Altar in einem festlichen Akt auf den Namen des hl. Michael und Titulus der heiligsten Dreifaltigkeit konsekrierte. Dem damaligen Kirchenvorstand gehörten an: Caspar Kops (Unterschultheiß), Carl M. Verde (Kaufmann, Schöffe und Ratsherr, lt. Pfarrchronik ab 1768 Kirchenverwalter), Jacob Reitz (Bäcker), Johann Schoeneck (Lehrer), Peter Mayer (Schöffe, Schneidermeister), Sebastian Emmert (Bäcker), Johann Nicolaus Dickescheidt (Schöffe, Ratsherr),    M. Wiegandt und Andreas Dörr. Eigene Kirchenglocken läuteten an diesem Tag jedoch nicht, denn Turm und Glocken waren von den Erbauern wegen Geldmangels nicht vorgesehen gewesen. Ob die Glocken der reformierten Kirche Ober-Ingelheims das freudige Ereignis läutend begleiteten, bleibt offen.

Für mehr als 33 Jahre leitete Johannes Mihm die Pfarrgemeinde St. Michael in Ober-Ingelheim. In diesen mehr als drei Jahrzehnten hat er gepredigt, getraut, getauft und beerdigt, sich mit seinem Amtsbruder in Nieder-Ingelheim wegen eines Weinbergs gerichtlich auseinandergesetzt, und hat 1775 einen Dachreiter für zwei Glocken auf die Kirche setzen lassen. Seinen Haushalt führte seine zwei Jahre jüngere, ledige Schwester Katharina Mihm, die am 29. März 1809 in Ober-Ingelheim verstarb.

Bereits im beginnenden Frühjahr 1798 verstarb Pfarrer Mihm im Alter von 67 Jahren. Nach Ausführung des Verfassers der Pfarrchronik soll er seine letzte Ruhe vor dem Hochaltar in der Kirche gefunden haben. Zur Bestätigung dieser Aussage lassen sich jedoch belegbare Hinweise im Kirchenarchiv wie in der Kirche selbst nicht finden. Sehr wahrscheinlich führten mehrere Umgestaltungen des Altarbereichs sowie der Heizungseinbau 1928/29 dazu, dass heute seine Grabstätte nicht mehr feststellbar ist. Ab dem 30. April 1798 betreute Pfarrer Heinrich Graf aus Nieder-Ingelheim auch die Pfarrgemeinde St. Michael mit. Erst im Jahr 1805 erhielt diese mit Pfarrer Joseph Molinari wieder einen eigenen Geistlichen.