Betrachtung zum 4. Fastensonntag

Jahr der Barmherzigkeit

Datum:
So. 6. März 2016
Von:
Ronald Givens
Betrachtung zur 1. Lesung und zum Evangelium des 4 Fastensonntages (Laetare) und einem Foto.

Betrachtung zur 1. Lesung und zum Evangelium des 4. Fastensonntags

Wie lange wird es gedauert haben? Eine Stunde? Zwei? Ein ganzer Abend lang? Viel Zeit bleibt Jesus jetzt nicht mehr. Hinter ihm liegen Wege durch Galiläa und Judäa. Begegnungen mit Heiden, frommen Juden, Blinden, Aussätzigen, Freunden und Feinden. Die Jünger hat er mitgenommen, damit sie sehen, hören, begreifen wie er es macht, was ihm wichtig ist, was er sagt, was er tut, wie  betet, mit wem er isst, wen er berührt, wem er sich entzieht. Das liegt jetzt alles hinter ihm. Vor ihm liegt der Tod. Die Auseinandersetzung mit denen, die in Jerusalem religiös und politisch das Sagen haben, hat sich so zugespitzt, dass ihm keine Zeit bleibt. Dieses Mahl, das letzte Abendmahl, ist die Zeit, die ihm bleibt um den Jüngern etwas mitzugeben für die Zeit danach, für die Wege danach. Irgendetwas, das sie erinnert, wie er war, was er getan, was er gedacht, wie er gebetet hat. Er nimmt Brot. Bricht es. Das soll erinnern, lebendig halten, wachrufen, bestärken, ermutigen.

 

In jenen Tagen sagte  der Herr zu Josua: Heute habe ich die ägyptische Schande von euch abgewälzt. Als die Israeliten in Gilgal ihr Lager hatten, feierten sie am Abend des vierzehnten Tages jenes Monats in den Steppen von Jericho das Pascha. Am Tag nach dem Pascha, genau an diesem Tag, aßen sie ungesäuerte Brote und geröstetes Getreide aus den Erträgen des Landes. Vom folgenden Tag an, nachdem sie von den Erträgen des Landes gegessen hatten, blieb das Manna aus; von da an hatten die Israeliten kein Manna mehr, denn sie aßen in jenem Jahr von der Ernte des Landes Kanaan. (Josua 5, 9a.10-12)

 

Vierzig Jahre lang hat der Vater geführt, gekämpft, für Leib und Seele gesorgt. Vierzig Jahre lang durch die Wüste, jetzt lässt der Vater los. Noch einmal Manna. Noch einmal füttert er das Volk, dann müssen sie, dürfen sie, sollen sie selber sorgen, für sich. Er hat das Volk geführt, manchmal getragen, jetzt müssen sie auf eigenen Füßen stehen und gehen. Was werden Sie bewahren? Was vergessen? Was verleugnen? Was bleibt? Kein Manna mehr vom Himmel, sichtbares, fühlbares, essbares Zeichen seiner Gegenwart. Nicht Manna, sondern Brot aus Korn von ihnen selbst gepflanzt. Korn von ihnen selbst geerntet. Brot von ihnen selbst gemahlen. Kein Himmelsbrot mehr, Manna, sondern Erdenbrot. Werden sie ihn vergessen ohne dieses Himmelsbrot?

 

Da erzählte er ihnen ein Gleichnis und sagte: Weiter sagte Jesus: Ein Mann hatte zwei Söhne. Der jüngere von ihnen sagte zu seinem Vater: Vater, gib mir das Erbteil, das mir zusteht. Da teilte der Vater das Vermögen auf. Nach wenigen Tagen packte der jüngere Sohn alles zusammen und zog in ein fernes Land. Dort führte er ein zügelloses Leben und verschleuderte sein Vermögen. Lk 15, 11-13

Wie alt war der jüngere Sohn des Vaters, als er gesagt hat: ich kann das jetzt selber. Ich komm schon alleine klar. Ich teil mir das selber zu. Gib mir meinen Teil. Ich will jetzt frei sein. Wie lange hatte der Vater Zeit etwas Bleibendes dem Sohn mitzugeben? Sechzehn Jahre? Achtzehn Jahre? Volljährigkeit? Laß los!

 

Essend sollen sich die Jünger erinnern. Wenn das Brot gebrochen wird, in seinem Namen. Wenn der Wein getrunken wird, rot wie sein Blut, sollen sie sich erinnern, wie er berührt hat, wie er gebetet hat, wie er vergeben hat, wie er den Vater gesehen hat. Nichts Goldenes. Nichts Steinernes. Nichts Ewiges. Essbar, gewöhnlich, verwechselbar. Vergängliches Brot als bleibendes Gotteszeichen.

 

Essend soll Israel sich erinnern. An das Manna, an die Wüste, an die Gebote, an den weiten Weg in die Freiheit. Ein befreiender Gott. Ein sorgender Gott. Ein führender Gott. Ein begleitender Gott. Ungesäuertes Brot. Kein Tempel. Kein Buch. Kein goldenes Kalb. Essbares, gewöhnliches, verwechselbares als Gotteszeichen. Pascha-Mahl.

 

Lukas 14-16 :Als er alles durchgebracht hatte, kam eine große Hungersnot über das Land, und es ging ihm sehr schlecht. Da ging er zu einem Bürger des Landes und drängte sich ihm auf; der schickte ihn aufs Feld zum Schweinehüten. Er hätte gern seinen Hunger mit den Futterschoten gestillt, die die Schweine fraßen; aber niemand gab ihm davon. Da ging er in sich und sagte: Wie viele Tagelöhner meines Vaters haben mehr als genug zu essen, und ich komme hier vor Hunger um. Ich will aufbrechen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt. Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein; mach mich zu einem deiner Tagelöhner.

 

Beim Essen, am Futtertrog, ganz unten bei den Schweinen. Erinnert er sich. An die Zeit mit dem Vater. Im Hunger am Futtertrog kommt der Vater ins Herz. Das Erbe, greifbar, tragbar, golden, fest, kostbar: alles weg, alles verschleudert. Geblieben: die Erinnerung, die Zeit, die der Vater sich genommen hat, was er ihm vorgelebt hat, die Zärtlichkeit die er gegeben hat, die Zuwendung an den Sohn. Beim Essen, im Dunkel des Drecks, strahlt durch, was der Vater mitgeben hat, bevor er das Erbe aufgeteilt hat. Beim Essen mit den schweinen erinnert sich das Herz an die Würde, an die Tischgemeinschaft, an die Liebe, die es einmal gab, die immer noch da ist, wenn auch fern und fremd geworden.

 

Der Vater hat zwei Söhne. Einer ist daheim geblieben. Auch erinnert sich. Beim Essen, beim Festmahl seines Bruders. Auch in seinem Herzen steigen die Bilder auf. Vom Vater.

Lukas 25 -30: Sein älterer Sohn war unterdessen auf dem Feld. Als er heimging und in die Nähe des Hauses kam, hörte er Musik und Tanz. Da rief er einen der Knechte und fragte, was das bedeuten solle. Der Knecht antwortete: Dein Bruder ist gekommen, und dein Vater hat das Mastkalb schlachten lassen, weil er ihn heil und gesund wiederbekommen hat. Da wurde er zornig und wollte nicht hineingehen. Sein Vater aber kam heraus und redete ihm gut zu. Doch er erwiderte dem Vater: So viele Jahre schon diene ich dir, und nie habe ich gegen deinen Willen gehandelt; mir aber hast du nie auch nur einen Ziegenbock geschenkt, damit ich mit meinen Freunden ein Fest feiern konnte. Kaum aber ist der hier gekommen, dein Sohn, der dein Vermögen mit Dirnen durchgebracht hat, da hast du für ihn das Mastkalb geschlachtet.

 

Jetzt ist es endlich ausgesprochen. Endlich ins Wort gebracht. Das Mahl, das Fest, die Barmherzigkeit zum gestrauchelten Bruder hat es hervorgelockt, hervorbrechen lassen. Ausgesprochenm kann es seine erste Macht verlieren. So wie beim jüngeren Bruder, der am Futtertrog ausspricht, was er einsehen muss. Aussprechen, formulieren, beichten ist der erste große Schritt das eigene Herz zu befreien. Zurückzufinden zur Würde.

 

Lukas 15,31-32: Der Vater antwortete ihm: Mein Kind, du bist immer bei mir, und alles, was mein ist, ist auch dein.  Aber jetzt müssen wir uns doch freuen und ein Fest feiern; denn dein Bruder war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wieder gefunden worden.

 

Der Vater verliert kein Wort über die Bitterkeit seines Sohnes. Nicht über sein Auf- und Abrechnen. Er erinnert nur daran, dass alles was er hat, allein dem Leben dienen soll. Es gibt da kein Leben, dass es ihm nicht wert, wäre alles zu geben.

 

Es war irgendwo hinter Berlin. Auf eine heruntergekommene Hauswand hatte jemand ein brennendes Herz gesprüht. Auf zwei Beinen läuft es über zwei graue Tore hinweg. Der Vater hat das Erbe aufgeteilt. An beide Söhne. Auch der, der geblieben ist, hat seinen Anteil bekommen. Der Vater lässt los. Gibt frei und gibt alles mit, was er hat. Dem, der bleibt, gibt er genauso seinen Teil, wie der dem, der geht. Jeder bekommt was er braucht um zu leben, was der Vater geben kann.

Als Israel am Ziel ist, gibt der himmlische Vater frei. Sein Volk. Mitgegangen ist er. Jetzt lässt Gott los, nicht fallen, aber los. Mit dem Gelobten Land gibt er ihnen alles was sie brauchen um leben zu können.

Im Abendmahlsaal gibt Jesus, was ihm geblieben ist. Um sein letztes Hemd wird man bald würfeln, so gibt er im Brot sich selbst. Das ist ihm geblieben, das gibt er jetzt. Dann läßt er los. Jeder der Jünger bekommt ein Stück Brot. Einen Teil des Ganzen. Sein Leben. Jeder.

Das brennende Herz läuft über die beiden Tore. Hofft darauf, vertraut darauf, dass sie nicht verschlossen bleiben, dass sie das Herz spüren, dass sie es sehen, dass es Einlass bekommt. Die Fassade ist nicht wichtig. Wichtig ist, sich zu öffnen, sich zu erinnern, was das Leben licht und reich und warm und brennend macht. Zu sehen, was ich ausgeschlossen habe, worin ich mich eingeschlossen habe. Beiden Söhnen hält der Vater sein Herz hin. Hofft darauf, dass seine Art zu leben, zu handeln, zu schenken, freigebend zu sein zum Vorbild wird. Was für ein Zutrauen hat dieser Gott, der seinen Kindern soviel Freiheit gibt und mit nicht mehr, als mit Brot und seiner Liebe sie an sich binden möchte.