Betrachtung zum 5. Fastensonntag

Jahr der Barmherzigkeit

Datum:
Di. 15. März 2016
Von:
Ronald Givens
Betrachtung zum Evangelium des fünften Fastensonntages anhand eines Fenster im Straßburger Münster

Johannes 8, 1-11: In jener Zeit ging Jesus zum Ölberg. Am frühen Morgen begab er sich wieder in den Tempel. Alles Volk kam zu ihm. Er setzte sich und lehrte es. Da brachten die Schriftgelehrten und die Pharisäer eine Frau, die beim Ehebruch ertappt worden war. Sie stellten sie in die Mitte und sagten zu ihm: Meister, diese Frau wurde beim Ehebruch auf frischer Tat ertappt. Mose hat uns im Gesetz vorgeschrieben, solche Frauen zu steinigen. Nun, was sagst du? Mit dieser Frage wollten sie ihn auf die Probe stellen, um einen Grund zu haben, ihn zu verklagen. Jesus aber bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde. Als sie hartnäckig weiterfragten, richtete er sich auf und sagte zu ihnen: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie. Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde. Als sie seine Antwort gehört hatten, ging einer nach dem anderen fort, zuerst die Ältesten. Jesus blieb allein zurück mit der Frau, die noch in der Mitte stand. Er richtete sich auf und sagte zu ihr: Frau, wo sind sie geblieben? Hat dich keiner verurteilt? Sie antwortete: Keiner, Herr. Da sagte Jesus zu ihr: Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!

 

Schon beim Fotographieren ist mir dieses Fenster im Straßburger Münster aufgefallen. Nicht nur weil der Glasmaler diese Szene an eine so prominenten Stelle im Fenster gesetzt hat, ganz oben, wie eine Art Zusammenfassung des Lebens Jesu, sondern auch, weil er dem Schreiben Jesu auf den Boden des Tempelplatzes so viel Raum gibt. Jetzt, zum Fünften Sonntag in der Fastenzeit habe ich mir das Bild angeschaut und mir vorgestellt, welche Ängste am frühen Morgen auf dem Tempelplatz die Menschen auf dem Fenster bewegt hat.

 

Die Frau:

Natürlich ist die erste Angst, die mir in den Sinn kommt, die Angst, dass sie gesteinigt wird. Sie ist an diesem Morgen nur Mittel zum Zweck. Sie ist hineingezerrt in den tödlichen Konflikt zwischen Jesus und seinen Gegnern. Über sie wird gesprochen und geurteilt und sie muss fürchten, dass es zum Äußersten kommt, dass sie getötet wird. Sie war am falschen Ort, zur falschen Zeit. In der Nacht beim Ehebruch und jetzt am Morgen zwischen Jesus und seinen Feinden. Ihre Schuld wird benutzt um Jesus zu beschuldigen.

Die Frau bringt aber noch andere Ängste in den Blick. Ehebruch, Bruch einer Beziehung, Eindringen in eine Freundschaft oder in eine Ehe, hat mit Angst zu tun. Es ist die Angst zu kurz zu kommen. Die Angst übersehen zu werden, die Angst zu alt, zu unattraktiv, zu… sein. Diese Angst macht blind, nicht nur für das Eigene, die eigene Schönheit, die eigene Attraktivität, sondern auch für Grenzen. Jeder, der in eine Ehe eindringt, jeder, der eine Beziehung stört, jeder, der einen Seitensprung riskiert, weiß irgendwo im Hinterkopf: das ist nicht richtig. Aber die Angst, sonst womöglich niemand anderen zu finden, zu alt zu sein, die Angst vor der Mühe des Suchens und Wartens, macht blind für die Grenzen.

 

Die Jünger und die Zuhörer Jesu:

Jesus hat an diesem Morgen gelehrt. Die Menschen haben ihn gerne gehört, da er mit einer Vollmacht sprach, die begeistert und erstaunt hat. Jetzt ist die Frau in diese Lehrstunde hineingezerrt worden, und mit ihr die Frage nach der Praxistauglichkeit. Hält das, was Jesus lehrt, dem Leben stand? Matthäus, der ehemalige Zöllner dürfte ganz Ohr gewesen sein. Wird Jesus der Frau vergeben? Hat er dazu die Vollmacht? Mit der Antwort Jesus steht oder fällt auch Neuanfang von Matthäus, von anderen Sündern. War es richtig ihnen eine Chance zu geben? War es richtig, zur Kommunion zuzulassen? Wenn Jesus jetzt etwas Falsches sagt, dann wird die Hoffnung von manchem, der an diesem Morgen ihm zugehört hat, ihm vertraut hat, sein Gleichnis vom barmherzigen Vater ernst genommen hat, enttäuscht werden. Mit der Frage der Schriftgelehrten kommt den Zuhörern Jesu die Angst ins Herz, dass alles beim Alten bleibt, dass sie auf ihre Sünde festgelegt bleiben, dass er nur ein Scharlatan war, dass er es zu billig, zu einfach gemacht hat.

 

Die Schriftgelehrten und die Pharisäer:

Es ist die Angst all derer, die Verantwortung für den Rahmen haben. Es ist die Angst und die Sorge aller, die Verantwortung für eine Institution tragen. Papst, Bischöfe, Politiker,… Was passiert, wenn man Fünfe gerade sein lässt? Was passiert, wenn Gesetze aus humanitären, aus barmherzigen, aus gerechten Erwägungen heraus, ausgesetzt, nicht angewendet, nicht verfolgt werden? Brechen dann die Dämme? Hält das ein Staat aus? Hält das die Kirche aus? Ist man dazu überhaupt befugt? Hat man dazu die Weihe empfangen? Schafft man sich dadurch nicht selber ab? Die Angst kann dazu verführen sich hinter der Institution zu verstecken. Die Angst findet gute Gründe Dinge zu tun oder zu sagen, die man nicht tun, nicht sagen würde, wenn es um das eigene Kind, den eigenen Freund, den eigenen geliebten Menschen geht.

Aber es ist auch die Angst vor dem eigenen Verlust. Jesus hat Erfolg, die Menschen kommen zu ihm, hören ihm zu. Als Pfarrer kann man schon einmal vergessen, dass der erfolgreichere Nachbarpfarrer für das gleiche Reich Gottes arbeitet. Vergessen, dass der jüngere oder bessere Kaplan/ Mitbruder einem nichts nimmt. Es ist die Angst vor der Schwäche, vor dem Versagen, im Letzten, wie beim Ehebruch: die Angst nicht geliebt zu sein. Das gibt es an jedem Arbeitsplatz: die Angst vor dem Verdrängtwerden, vor dem Überholtwerden, vor der eigenen Schwäche.

 

Jesus

Er wird gespürt haben, dass diese Situation wieder ein Mosaiksteinchen im Kampf zwischen ihm und seinen Feinden ist. In ihm wird wohl die Angst aufgestiegen sein, die ihn immer wieder nach Galiläa oder sogar ins heidnische Gebiet hat ausweichen lassen: die Angst vor dem tödlichen Konflikt. Er wird die Angst bei seinen Zuhörern gespürt haben, die Angst der Frau. Er wird wissen, dass nicht nur sein Leben, seine Lehre, sein Gottesverhältnis auf dem Spiel steht, sondern auch das, was seine Zuhörer für ihr Leben mit ihm verknüpft haben. Vielleicht hat ihm das Angst gemacht, welche Last da an diesem Morgen mit diesem Konflikt auf seine Schultern gelegt wird.

 

Auf dem Glasfenster nimmt Jesus und sein Schreiben viel Raum ein. Es öffnet sich der Himmel hinter ihm. Er nimmt sich auf dem Fenster Raum in dieser bedrängenden Situation. Damit malt der Glasmaler was Johannes in seinem Evangelium leise verpackt: Jesus ist, bevor das alles passiert, auf dem Ölberg. Dort, außerhalb der Stadt, ist Ruhe, ist Stille, ist Sammlung. Dort lehrt er auch seine Jünger das Vaterunser. Dorthin wird er sich in seiner größten Angst, in der Nacht vor dem Karfreitag, zurückziehen. Jesus weiß, dass er der Angst nur begegnen kann, nur Herr über sie sein kann, wenn er gesammelt ist. Am Ölberg sammelt er sich, im Gebet, im Zwiegespräch mit dem Vater, in der Stille. Bevor er seinen Tag beginnt, nimmt er sich Zeit Herr zu sein über sein Herz. Das hilft ihm in dieser bedrängenden Situation, das hilft ihm immer wieder um zu ergründen was der Wille des Vaters ist. Wenn Menschen an Jesus herantreten, mit ihrer Not, ihrer Krankheit, ihrer Sünde, ihren Fragen, ihrem Hass. Jesu Alltag ist nicht viel anders als die Herausforderungen unseres Alltags. Er stärkt sich in der Stille für seinen Alltag. Er lässt nicht zu, dass die Angst ihm seine Lösungen diktiert.

 

Auf dem Fenster nimmt Jesus nicht nur Raum, sondern er bückt sich auch. Er macht sich auch klein. Er gibt auf dem Fenster dem Himmel Raum.  Raum dem Willen des Vaters und macht das eigene Ich davor klein. Er nimmt sein Ich zurück, um dem Du so begegnen zu können, dass Lebensraum entsteht.

Mit dieser Haltung bewirkt Jesus ein dreifaches Wunder: Seine Feinde kehren an diesem Morgen um. Sie durchbrechen ihre eigenen Verhaltensmuster, ihre üblichen Antworten. Sie bewegen sich. Seine Ruhe, sein Raumgeben, ermöglicht in einer harten Situation Bewegung. Das ist das erste Wunder, das Jesus bewirkt.

Das zweite Wunder ist, dass seine Zuhörer etwas hören, das keinen Jota des Gesetzes außer Kraft setzt und doch denen eine Chance lässt, die das Gesetz gebrochen haben. Jesus hat sie nicht aus der Gemeinschaft mit Gott und seinen Geboten herausgeführt, sondern er hat sie zurückgeführt. Seine Ruhe, sein Raumgeben verhindert das die Angst die ersten schritte des Neuanfangs wieder zunichte macht, sie ins Alte zurückfallen. Das ist das zweite Wunder.

 

Das dritte Wunder ist die Chance der Frau: er schenkt ihr die Chance zu gehen. Andere haben sie hergezerrt. Andere haben über sie geurteilt. So wie die Sünde des Ehebruches sie gefangen gehalten hat, hat das Wollen anderer sie auch gefangen gehalten. Jetzt bekommt sie die Chance selbst ihren Weg zu bestimmen: Geh und sündige nicht mehr.

Jesus lädt ein sich nicht von der Angst leiten zu lassen, sondern den Weg so zu gehen, dass Leben entsteht.