Betrachtung zum 5. Sonntag in der Osterzeit

Jahr der Barmherzigkeit

Datum:
So. 24. Apr. 2016
Von:
Ronald Givens
Betrachtung zum Sonntagsevangelium Joh 13 im Jahr der Barmherzigkeit anhand eines Fotos

Aus dem heiligen Evangelium nach Johannes (Joh 13, 31-33a.34-35)

 

In jener Zeit als Judas hinausgegangen war, sagte Jesus: Jetzt ist der Menschensohn verherrlicht, und Gott ist in ihm verherrlicht. Wenn Gott in ihm verherrlicht ist, wird auch Gott ihn in sich verherrlichen, und er wird ihn bald verherrlichen. Meine Kinder, ich bin nur noch kurze Zeit bei euch. Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben. Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt.

 

 

Das Viertel durch das ich geschlendert bin, war merklich heruntergekommen. Oben auf dem Hügel stand in byzantinischer Zeit eine Kirche, die heute ein Museum ist. Ihretwegen war ich in dem ehemals nur von Christen bewohnten Viertel. Heute kann man die christlichen Familien in diesem Stadtteil an einer Hand zählen und man erkennt ihre Häuser am Stacheldraht, oben auf der Mauer. Gerade als ich eine sehr desolate Treppe in einer Gasse hinabgestiegen bin, hielt mein Blick fasziniert inne: oben auf der Mauer, die Haus und Garten mannshoch umgab, war in den üblichen Stacheldraht eine bunte Lichterkette hineingehängt worden. Bunte Glühbirnen mitten in diesem tödlichen, dunklen Draht.

 

Es ist ein dunkler Augenblick im Abendmahlsaal. Gerade hat Jesus seinen Jüngern die Füße gewaschen und ihnen anschließend erzählt, dass einer ihn in dieser Nacht verraten würde. Vielleicht war das Ansprechen und Aussprechen dieser dunklen Tat, die letzte Chance für Judas innezuhalten, umzukehren. Vielleicht für Jesus das letzte Atemholen um den ungeheuerlichen Akt in den Blick zu nehmen. Wie auch immer, Judas geht hinaus. An anderer Stelle heißt es zu diesem Hinausgehen: Draußen aber war Finsternis, Nacht, Dunkelheit. Mitten in diese Dunkelheit, die hereinzudringen droht in den Abendmahlsaal, in die Herzen der verunsicherten Jünger, in das Leben Jesu, sagt Jesus: Jetzt beginnt meine Herrlichkeit. Jetzt strahlt Gottes Herrlichkeit in mein Leben hinein.

Das ist so wie die bunten Glühbirnen im dunklen Gewirr des Stacheldrahtes. In einer Situation, die gar nichts Herrliches, nichts Gutes, nichts Lebensbejahendes hat, sondern Verrat, Enttäuschung, Angst und Tod, mitten in dieser Dunkelheit sieht Jesus ein Licht.

 

Zum Abt eines Klosters kam ein Mann aus einem der umliegenden Dörfer und bat um einen Rat: Verehrter Vater Abt, ein mir kostbares Andenken ist mir aus Hand entglitten und hinab in eine metertiefe Grube mit Schlamm und Unrat gefallen. Was soll ich nur tun?

Da antwortete ihm der Abt: Wenn Dir das Verlorene so kostbar ist, dann bleibt Dir nichts anderes übrig, als du selbst hinabsteigst in die Grube als Schlamm und Unrat.

Der Mann schaute entsetzt. Da fügte der Abt hinzu: Nur binde Dir vorher ein Seil um den Leib an dem Du Dich wieder hinausziehen kannst. (nach Willi Hoffsümmer)

 

Jesus begibt sich in der Nacht des letzten Abendmahles tief hinab in die Grubes des Todes aus Sünde und Bosheit, aber er hat sich angeseilt: die Liebe zu seinem Vater. Dieses Rettungsseil gibt er nun weiter an seine Jünger und an uns: Liebt einander, wie euch geliebt habe. Das neue daran ist nicht die Nächstenliebe, sondern, dass es nicht mehr heißt: liebe deinen Nächsten wie dich selbst, sondern liebe deinen Nächsten wie ich dich liebe.

 

Gefangene besuchen, Hungernde satt machen, beginnt damit, dass ich zutiefst begreife, dass Jesus mich liebt, dass er sich abgeseilt hat in die Grube meiner Sünde, meines Unrates, meiner Verlogenheit um das Kostbare, das er in mir sieht ans Licht zu holen. Das Jahr der Barmherzigkeit setzt bei dieser inneren Erschütterung an.

Jesus sieht sich im Abendmahlsaal, als Judas hinausgeht um ihn auszuliefern, nicht als Betrogenen, nicht als Verlierer, nicht als Opfer, sondern geliebt und verherrlicht. Barmherzigkeit für andere hat Vorrausetzung das Begreifen, dass Jesus in den Kranken, in den Armen, in den Sterbenden, in den Hungernden, in den Gefangenen etwas genauso liebenswertes sieht, wie in mir, und dass er mich einlädt , dass wir diese verborgene Herrlichkeit einander mitten in der Dunkelheit, mitten im Stacheldraht, mitten in der Intensivstation, mitten im Gefängnis sichtbar machen.

 

In der FAZ Sonntagszeitung war am vergangenen Sonntag ein Artikel über Hubertus Unzeitig. Er war Priester. Kam ins KZ Dachau und bekam dort schon bald den Namen: „Der Engel von Dachau“. Warum? Er hat nicht nur Russisch und Polnisch im KZ gelernt, sondern auch andere Sprachen um andere Gefangene zu trösten. Er hat sein Essen geteilt und bei anderen um einen Teil ihrer Ration gebettelt, um es mit den Kriegsgefangenen, die noch weniger hatten, zu teilen. Er hat einem SS Offizier das Leben Jesu erzählt. Als für die Pflege der Typhuskranken keiner mehr bereit war, weil die Amerikaner schon nahe waren und die Freiheit winkte, da hat er sich freiwillig gemeldet und wie alle dort in der Krankenbaracke, sich tödlich angesteckt. Im September wird Hubertus Unzeiotig im Auftrag von Papst Franziskus selig gesprochen. (FAZS Nr. 15, S. 6)

Was war das Seil, das ihn gehalten hat? Die Liebe zu Jesus. Die Gemeinschaft mit der Kirche und die Sakramente.

Das Jahr der Barmherzigkeit lädt uns ein, alle drei neu zu sehen: Die Liebe Jesu, die Gemeinschaft der Kirche, die Stärke der Sakramente.