Betrachtung zum Evangelium des 1. Fastensonntags

Datum:
So. 14. Feb. 2016
Von:
Ronald Givens
Betrachtung zum Evangelium von der Versuchung Jesu nach dem Lukas Evangelium, anhand eines der mittelalterlichen Glasfenster des Straßburger Münsters.

Lukas 4, 1-13:


In jener Zeit 1 verließ Jesus, erfüllt vom Heiligen Geist, die Jordangegend. Darauf führte ihn der Geist vierzig Tage lang in der Wüste umher, 2 und dabei wurde Jesus vom Teufel in Versuchung geführt. Die ganze Zeit über aß er nichts; als aber die vierzig Tage vorüber waren, hatte er Hunger. 3 Da sagte der Teufel zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, so befiehl diesem Stein, zu Brot zu werden. 4 Jesus antwortete ihm: In der Schrift heißt es: Der Mensch lebt nicht nur von Brot. 5 Da führte ihn der Teufel auf einen Berg hinauf und zeigte ihm in einem einzigen Augenblick alle Reiche der Erde. 6 Und er sagte zu ihm: All die Macht und Herrlichkeit dieser Reiche will ich dir geben; denn sie sind mir überlassen, und ich gebe sie, wem ich will. 7 Wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest, wird dir alles gehören. 8 Jesus antwortete ihm: In der Schrift steht: Vor dem Herrn, deinem Gott, sollst du dich niederwerfen und ihm allein dienen. 9 Darauf führte ihn der Teufel nach Jerusalem, stellte ihn oben auf den Tempel und sagte zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, so stürz dich von hier hinab; 10 denn es heißt in der Schrift: Seinen Engeln befiehlt er, dich zu behüten; 11 und: Sie werden dich auf ihren Händen tragen, damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt. 12 Da antwortete ihm Jesus: Die Schrift sagt: Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht auf die Probe stellen. 13 Nach diesen Versuchungen ließ der Teufel für eine gewisse Zeit von ihm ab.

 

Im Innern des Straßburger Münsters ist die Südseite der Kathedrale ein riesiges aufgeschlagenes Evangeliar aus Glas. Die ganze Wand ist durchbrochen und durch farbige Glasfenster ersetzt, die das Leben Jesu erzählen. Auch in Straßburg folgt auf die Taufe Jesu im Jordan seine Versuchung in der Wüste.

Man muss nur ein paar Kilometer weiter fahren, ebenfalls in eine mittelalterliche Kirche, um zu erahnen was Jesus in der Wüste erlebt hat. Auf dem Isenheimer-Altar ist die Wüstenerfahrung des heiligen Antonius zu sehen. Er liegt rücklings auf dem Boden und an seinem Bart, an seinem ganzen Leib, zerren schrecklich groteske Gestalten. Hacken mit ihren spitzen Schnäbeln in die Hände, wollen ihn fesseln und besiegen. All das, was Grünewald gemalt hat, war letztlich im Herzen von Antonius. Kroch in der Nacht in seinen Träumen und Gedanken hervor. Kam  in der Stille, spukte beim Beten durch seine Gedanken, stand in der Einsamkeit der Wüste ihm plastisch vor Augen. Nur für ihn sichtbar und spürbar und doch so real wie die Steine, wie der Sand, wie die Sonne und die Sterne in der Nacht.

In Straßburg tritt der Teufel, der Versucher, Jesus nackt entgegen. Grotesk ist sein Gesicht, halb Mensch, halb Tier.

Vierzig Tage hat Jesus gefastet, die stille Einsamkeit der Wüste ausgehalten, sich von allem und jedem zurückgezogen. Schicht für Schicht abtragen, abschleifen lassen von der unerbittlichen Wüste was im Alltag zugedeckt, was bedeckt, was beschönigt, was verbrämt war und jetzt ist nackt vor Augen. Nicht der Teufel ist nackt, sondern eigentlich Jesu: er sieht seine nackte Wirklichkeit. Jetzt muss er ansehen, muss erkennen, muss sich dem stellen was im Alltag still war, was in der Ablenkung untergegangen ist: seine drei Versuchungen.

Mit 30 ist er losgezogen, fort von Nazareth, fort von der Familie und dem bisherigen Umfeld. So wie einst Israel ausgezogen ist aus Ägypten, weil es versklavt nicht mehr leben wollte, weil es sich von all dem befreien wollte, was es klein und unfruchtbar machen wollte. Kaum jedoch war Israel in der Wüste und hat gespürt wie mühsam es ist, selber den Tag zu strukturieren, auszuhalten, dass nichts mehr sicher ist, Hunger zu haben und keine ägyptischen Fleischtöpfe mehr zur Sättigung, da schreit das Volk und will zurück. Lieber unfrei, aber satt.

Steine zu Brot, schlägt der Teufel vor, mach es Dir einfach, richte Dich in der Welt ein. Bleib doch während deinem Studium daheim, das ist doch bequemer und billiger und Mutti kann die Wäsche waschen. Schweig und schluck es hinunter, was dir weh tut, was dich lähmt. Es gibt doch nur Krach, wenn du das wieder ansprichst und aussprichst. Rede dir ein eure hart wie Stein gewordene Liebe, Freundschaft, Ehe würde dich schon satt machen. Steine zu Brot, das ist doch einfacher als auf Unbekanntes, Unsicheres zu hoffen, zu warten, zu wagen. Wer weiß ob du satt wirst wenn du von mir weg gehst, lockt der Teufel.

Auch in der zweiten Szene ist der Teufel nackt. So nackt wird sich Jesus oft vorkommen, später, wenn er Jünger sucht, Gefolgsleute, Zeugen, Boten. Ist das nicht der Sohn des Zimmermanns? Was kann schon aus Nazareth Gutes kommen? Am Palmsonntag lächerlich auf einem Esel und schließlich nackt am Kreuz. Es ist so unendlich mühsam sich auf die Jünger einzulassen, um ihr Herz zu kämpfen, geduldig mit ihnen zu gehen. Es kostet ihn selbst, wenn er sie nicht mit Geld, nicht mit den Plätzen links und rechts neben sich, nicht mit Königskronen und Ansehen zu ködern will, sondern mit Fußwaschung und Kreuztragen. Nur liebende und Arme können oder müssen es sich leisten, den anderen nackt für sich zu gewinnen.

Aber der Teufel hat in Straßburg schon die nächste Versuchung im Griff und im Blick. Während er Jesus noch das Ansehen der ganzen Welt anbietet, greift seine linke Hand, seine Herzhand nach der Tempelzinne, die als Kirchturm dargestellt ist.

Das ist die größte Versuchung Jesu beim Evangelisten Lukas. Darauf läuft Jesu Abgrund hinaus: wird dein Herz verzagen im Angesicht der Passion, im Anblick des Leides? Hast Du das verdient, das Leid, den Schmerz, den Tod? Wenn du so einen guten Draht zu Gott hast, wenn du so viel betest, dass Du den Jüngern das Beten lehren kannst, dann wird Gott dich doch vor dem Leid bewahren, oder? Dann muss er doch gerade hier zeigen, dass er mit dir ist, dass du sein Sohn bist?

Im Garten Gethsemane und unter dem Kreuz wird der Versucher noch einmal seine große Stunde haben: Steig doch herunter, lauf doch davon, zeig doch, dass Gott mit dir ist, beende dein Leid. Zu was soll das gut sein? Das ist auch die große Versuchung und Herausforderung der Kirche, von jedem Einzelnen der zur Kirche dazugehört. Darum ist auf dem Straßburger Versuchungsfenster der Jerusalemer Tempel als Kirche dargestellt: warum passiert mir das? Hat Gott mich vergessen? Hört er denn nicht auf mein Gebet?

Auf dem Fenster drängt Jesus den Teufel in die Ecke, macht ihn klein, stutzt ihn zurecht, nur mit einer Handbewegung: dem Segenszeichen.

Mehr hat Jesus nicht: du bist mein geliebtes Kind. Das ist der Segen des Vaters den Jesus bei seiner Taufe über sich hören darf. Ein Segenswort, das muss Jesus genügen. Es genügt um den Teufel in die Ecke zu drängen. Mit mehr gehen wir am Ende des Gottesdienstes auch nicht aus der Kirche: Nur mit einem Segenswort, das muss genügen um auszuhalten, auch in der Versuchung.