Eine Schande für die Kirche

Zum Missbrauchsskandal

Datum:
Mo. 24. Jan. 2022
Von:
Herbert Kohl
Predigt Pfarrer Dr. Ronald A. Givens vom 23.1.2022

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn! In der vergangenen Woche haben wir hingeschaut auf die sogenannte Wannsee-Konferenz, die vor 80 Jahren stattgefunden hat. In dieser Villa in Berlin, bei der sich eine Runde von Männern getroffen hat, die miteinander an dieser Konferenz überlegt und entschieden haben. Wie könnte es gehen, dass man effizient und gut alle Juden in Europa ermorden kann? Da saßen diese Männer an einem Tisch und haben überlegt, wie das strategisch sinnvoll zu bewerkstelligen ist und im Zuge dieser Wannsee-Konferenz gab es in den Medien ganz verschiedene Dokumentationen über diese Zeit und über die Auswirkungen dessen, was da in Berlin in dieser Villa beschlossen worden ist. Unter anderem hat man in Hamburg eine Gruppe von Polizisten zusammengestellt, die man brauchte, um in den eroberten Ostgebieten die Wannseekonferenz umzusetzen und diese Gebiete auch zu sichern. Und da sind ganz unterschiedliche Männer aus allen sozialen Schichten und Berufen zu einer Polizeitruppe zusammengestellt worden, da waren Bäcker und Metzger, waren Ärzte, da waren Akademiker und da waren Handwerker, da waren Familienväter und Alleinstehende. Sie wurden in einem Schnellkurs ausgebildet und dann ging es ab in den Osten, wo sie als Polizeitruppe die Gebiete für das Reich sichern sollten.

Das war doch ein Befehl

Eines Tages kommt der, der da die Verantwortung für 500 dieser Polizisten hat, zu seinen Männern und sagt unter Tränen: Ich habe einen furchtbaren Auftrag erhalten, den wir miteinander erfüllen sollen. Wir sollen in dem Dorf da drüben 1500 Juden ermorden. Männer und Frauen und Kinder. Ich stelle es euch frei, ob ihr diesen Befehl ausführen wollt. Wer nicht mitmachen möchte, der trete jetzt hervor. Alle stehen. Schließlich wagt sich doch einer nach vorne und sagt: Ich kann das nicht. Er wird von seinem nächsten Vorgesetzten zusammengestaucht, wie er einen Befehl verweigern kann. Aber der, der Verantwortung für die 500 Männer hat, er nimmt ihn in Schutz und sagt: Doch, wenn du das nicht kannst, dann musst du nicht. Nach und nach treten noch eine Handvoll anderer Männer hervor, die ebenfalls sagen: Ich kann das nicht. Sie bleiben bei der Truppe. Sie werden nicht heimgeschickt. Ihnen wird auch nicht das Leben genommen. Sie bekommen Aufgaben, die erniedrigend sind: Kartoffeln schälen, Latrinen putzen, und sie werden verspottet, aber sie bleiben bei dieser Truppe von Polizisten, die nicht nur diese 1500 Frauen, Männer und Kinder ermorden, sondern die im Laufe des Krieges zur effektivsten Gruppe werden innerhalb der Ostgebiete, wenn es darum geht, Juden zu ermorden. Und dann wird eingeblendet wie derjenige, der damals bei den Nürnberger Prozessen Staatsanwalt gewesen ist, wie er erlebt hat, dass das Schlimmste für diese Männer, als sie dann vor Gericht gestellt worden sind, als sie mit ihren Taten konfrontiert worden sind, das Schlimmste für diese Männer gewesen ist: Dass sie nicht verstanden haben, dass sie Unrecht getan haben. Denn sie sagen: Das war doch damals Gesetz. Das hat doch der Staat damals so vorgegeben. Das war doch ein Befehl von denen, die das Gesetz waren. Und warum sollte das jetzt unrecht sein? Nur weil sich die Gesetze geändert haben, nur weil diejenigen, die jetzt an der Macht sind, eine andere Einstellung haben? Sie konnten nicht verstehen, dass das, was sie damals getan haben und dem Gesetz nach Recht war, jetzt dem Gesetz nach Unrecht ist.

Der Teststreifen Jesu

Ich habe vor ein paar Jahren von jemandem so einen Magneten geschenkt bekommen, den man den Kühlschrank befestigen kann und der steht ein Satz von Sophie Scholl: Das Gesetz ändert sich. Das Gewissen ändert sich nie. Das Gesetz ändert sich. Das Gewissen ändert sich nie.

Das, was ich Ihnen heute Morgen mitgebracht habe, das kennen Sie hoffentlich alle. Das sind diese Selbsttests drin, die sie wahrscheinlich alle schon einmal in der Hand gehabt haben. Und auch wenn sie unterschiedlich sind, wenn man sie auspackt, ist doch überall das gleiche drin. Da ist dieses Stäbchen, mit dem man in der Nase so lange bohrt, bis die Tränen kommen, um zu schauen, ob man Viren hat. Da ist eine Gebrauchsanleitung mit Bildern und in allen Sprachen, damit man versteht, wie das gehen kann. So ein Selbsttest. Da ist  der Teststreifen drin. Und wenn man ein paar Tröpfchen dann von dem, was man aus der Nase genommen hat, in diese Flüssigkeit gegeben hat, die man hier hinein tröpfelt und dieser Test zeigt uns dann. Ob ich positiv oder negativ bin. Er hilft uns zu erkennen, ob ich den Virus womöglich in mir trage oder nicht. Im Evangelium haben wir von einem solchen Test gehört. Als Jesus in der Synagoge von Kapernaum ist, da bekommt er die Heilige Schrift, die Thora in einer Buchrolle in die Hand gedrückt.

Und er hat gelernt von seinem Vater, von seiner Mutter, von denen, bei denen er groß geworden ist, wie man mit diesem Test umgeht. Er entrollt die Thora Rolle. Und dann schaut er und findet die Stelle, wo es heißt: „Ich bin gesandt und gesalbt, damit ich die Armen nicht übersehe, damit ich denen, die blind geworden sind, wieder das Licht bringe. Das ich die, die sich niedergedrückt und zerschlagen fühlen, dass ich sie aufrichte. Die, die gefangen sind, das ich ihnen Freiheit schenke. Das mit mir und meinem Leben ein Gnadenjahr beginnt." Das ist so was wie der Teststreifen Jesu. Und immer und immer wieder in seinem Leben schaut er hin, in seinen Begegnungen mit anderen Menschen, in dem, was er tut. Stimmt das, was ich von mir gebe, was ich denke, was da in mir ist, noch mit dem überein, was ich in der Thora damals in meiner Heimatstadt Nazareth vorgelesen habe?

Kirche kann nicht mehr Wahrheit von Lüge unterscheiden

Diese Woche haben wir gehört, dass eine Anwaltskanzlei den Verantwortlichen in der Erzdiözese München erklärt hat: die Art und Weise, wie ihr bisher getestet habt, die taugt nichts. Denn wir alle wissen, wenn sich das Virus verändert, wenn sich etwas anders zusammensetzt, dann muss man schauen: Stimmen denn noch die Teststreifen? Taugt die Flüssigkeit noch was, ist die Anleitung noch brauchbar? Diese Anwaltskanzlei hat der Erzdiözese gesagt: Ihr habt falsch getestet.

Kardinal Ratzinger, Kardinal Wetter, Kardinal Faulhaber, Kardinal Marx, sie alle haben etwas getan, was, wenn am Ende alle 27 Bistümer ihre Gutachten vorgelegt haben, wahrscheinlich überall das gleiche sein wird. Sie alle haben das getan, was in ihrer Zeit üblich war, was alle anderen Bischöfe auch getan haben, wie man mit den Tätern umgegangen ist, und wie man die Opfer zur Seite geschoben hat. Das war für sie damals das Recht, das war für sie das Gesetz, das war gedeckt bis in die höchste Instanz, sogar bis zum Papst hinein. Aber so wie es genauso wie bei dieser Polizei Truppe war, als die ersten herausgetreten sind unter all diesen Männern und gesagt haben: Ich mache da nicht mit und als sie bei dieser Truppe auch geblieben sind die ganze Zeit als die anderen immer effektiver geworden sind und nicht mitgemacht haben. Spätestens da hätten die anderen sich fragen müssen: Stimmen die Gesetze noch? Warum kommt da ein Kamerad neben mir zu einer anderen Entscheidung. Und spätestens als Pater Mertens im Canisius-Kolleg aufgestanden ist und gesagt hat: Wir müssen auf die Opfer hinschauen. Spätestens als Pater O’Ralley in den Vereinigten Staaten von Amerika hingeschaut hat und gesagt hat: wir dürfen nicht länger vertuschen. Da hätten sich die Bischöfe fragen müssen, da hätten sich die Pfarrer fragen müssen, da hätten sich alle Verantwortlichen fragen müssen: Passt unser Teststreifen noch? Ist das, was wir testen, ist das, was wir glauben, dass es die richtige Anleitung ist, ist das noch passend zu dem, was es an neuen Erkenntnissen gibt. Aber stattdessen wurden die Anleitungen immer länger, immer unverständlicher, es blieb beim alten Test. Und wie furchtbar ist das für eine Kirche, wenn eine Anwaltskanzlei ihr erklären muss, was Lüge ist und was Wahrheit. Wenn eine Kirche nicht mehr erkennt, was ein Opfer ist und was ein Täter ist, wenn sie dafür jemand anderen brauchen, um ihr das zu erklären.

Wer braucht diese Kirche und diese Berufe noch?

Aber, die Tests wurden nicht geändert, die Anleitungen immer größer. Und weil Jesus immer noch der Herr dieser Kirche ist, hat er begonnen, den Test zu verändern, hat er begonnen, die Anleitung zu verändern. Es ist kein Zufall, dass wir keine Priesterberufungen mehr haben. Wer braucht noch diesen Beruf, wenn die uns Anleitungen geben, die kein Mensch versteht, und die nicht lebenspraktisch sind. Es ist kein Zufall, dass wir auch keine Gemeindereferenten und Pastoralreferenten mehr haben. Wer braucht diesen Beruf, wenn das nicht mehr taugt, um im Leben Klarheit zu bekommen. Ist das, was ich an meine Kinder, ist das was ich lebe, ist das was ich weitergebe gut? Wer braucht diese Berufe noch, wenn die Menschen sich abwenden und sagen: Das muss ich alleine entscheiden, denn die, die versprochen haben, dass sie mir erklären, wie das Evangelium zu verstehen ist, die sind ja nicht mal in der Lage, für sich selber hinzuschauen, was gut und was böse ist, was Wahrheit und was Lüge ist. Und darum räumt uns der Herr diese Berufe ab. Und es ist kein Zufall, dass es in unsere Kirchen hereinregnet. Dass wir kein Geld mehr haben, die Dächer zu unterhalten, dass wir eine nach der anderen zumachen müssen. Denn wozu braucht der Herr noch heilige Räume, wenn darin nichts Heiliges passiert? Wozu braucht es diese, im Beton gegossenen Macht, wenn diese Macht missbraucht wird? Wozu braucht es all das, wenn die Anleitung für das Leben nicht mehr taugt? Darum hat sich Lukas hingesetzt in seinem Evangelium und hat für seinen Freund Theophilos aufgeschrieben: Ich habe hingeschaut, was mir von Jesus wichtig ist. Er hat es Wort für Wort aufgeschrieben, hat genau nachgeforscht, er hat dem Theophilus eine Anleitung gegeben, wie man leben kann, wie man das Gewissen schärfen kann und darin schreibt er eben vom Teststreifen Jesu. Denn unser Gewissen braucht ja diesen Teststreifen. Wenn die Kirche versagt, dann brauchen wir ja doch irgendwie etwas, an dem wir uns orientieren können für unser Gewissen, damit wir erkennen können, was richtig und was falsch ist. Darum bleibt für Jesus sein ganzes Leben lang, und darum bleibt auch für uns mitten in dieser Krise der alleinige Test, der uns zeigt, ob unsere Kirche, ob wir selbst noch auf dem richtigen Weg sind, der Test Jesu.

„Der Geist des Herrn ruht auf mir, denn er hat mich gesalbt, er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe. Damit ich den Gefangenen Entlassung verkünde, und den Blinden das Augenlicht. Damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe." Das ist unser Test und wer uns wortreich irgendeinen anderen Test unterjubeln will, dem dürfen wir nicht glauben. Amen