Erster Sonntag nach Ostern

Wundberührung

Datum:
So. 11. Apr. 2021
Von:
Pfarrer Ronald Givens

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn,

 

Es ist Sonntag, für Maria und die Apostel ein gewöhnlicher Arbeitstag. Die Straßen von Jerusalem sind nach dem Sabbath, nach dem Ruhetag, laut und geschäftig. Auch die Jünger werden den ganzen Tag unterwegs gewesen sein, einkaufen, Besorgungen erledigen, arbeiten. Der Abend ist jedoch für diese kleine Gruppe anders. Während draußen noch gefeilscht und gehandelt wird, Kinder durch die Gassen von Jerusalem toben,  kommen sie zum Beten und zum Brotbrechen zusammen. Ängstlich und zögerlich, die Türen gut verriegelt. Das Bild der Soldaten mit Schwertern und Knüppeln steckt ihnen allen noch in den Knochen. Das was sie an diesem ersten Sonntag nach Ostern feiern wollen, ruft bei den Nachbarn, bei den Freunde, bei den Menschen, die ihnen draußen begegnet sind, nur Kopfschütteln oder Spott hervor. Andere gehen da noch weiter und beschimpfen sie. Saulus würde sie gerne aufspüren und verhaften.

Einer fehlt. Thomas. Es ist kein Zufall. Er will nicht. Mit der Botschaft der Maria von Magdala kann er nichts anfangen. Mit dem Brotbrechen der Emmaus Jünger kann er nichts anfangen. Petrus ist für ihn keine Autorität im Glauben mehr. Johannes schon gar nicht. Als die anderen ihm erzählen, dass bei Ihrer Zusammenkunft, dass trotz der verschlossenen Türen, trotz der Angst sie Frieden gefunden haben, sie erlebt haben, dass der Gottesdienst, dass ihr Beten wahr gemacht hat, dass Jesus in ihrer Mitte war, da bricht es aus ihm heraus: Was ist mit den Wunden?

Wer bei seiner Familie erzählt, dass er in den Gottesdienst geht, dass er an Jesus glaubt, dass er Katholik ist, der wird die Frage des Thomas hören: Und was ist mit den Wunden? Die Wunden, die die Kirche schlägt und nur noch Kopfschütteln hervorrufen. Die Wunden von denen fast täglich in den Nachrichten zu hören ist. Die Wunden, die eine schwere Diagnose in den eigenen Glauben schlägt.  Jeder von uns kann berichten, wie ihm Thomas am Arbeitsplatz, in der Schule, im Freundeskreis, in der Familie begegnet und auf die Wunden deutet: was ist damit. Deshalb glaube ich nicht.

Es ist Sonntag. Wieder. Für Maria, die Jüngerinnen und die Apostel ein gewöhnlicher Arbeitstag. Die Straßen von Jerusalem sind nach dem Sabbath, nach dem Ruhetag laut und geschäftig. Auch die Jünger werden den ganzen Tag unterwegs gewesen sein, einkaufen, Besorgungen erledigen, arbeiten. Einer nach dem anderen kommt. Klopft an die Türe des Hauses der Mutter von Markus. Hat etwas für das anschließende Abendessen mitgebracht. Markus und seine Mutter haben einen Raum ganz leer geräumt, damit all die Frauen und Männer, die an Jesus glauben, Platz finden. Sitzkissen sind im Raum verteilt. Sie sind da, weil ihnen der Sonntagabend vergangener Woche gut getan hat. Weil der Friedensgruß ihr Herz gestärkt hat, weil das gebrochene Brot ihnen eine Woche lang geholfen hat, draußen in den Gassen wo die Kinder lärmen, die Händler streiten, die Soldaten suchen, die Nachbarn spotten. Andreas ist erleichtert. Thomas ist da. Wahrscheinlich war es Barnabas, der ihn überredet hat doch zu kommen, nicht schon wieder wegzubleiben.

Jesus ist erleichtert als er durch die Gasse zum Haus der Mutter des Markus geht. Er sieht, dass die Türen zwar verschlossen sind, aber er hört sie. Sie beten, sie erzählen, sie weinen und sie lachen. Hoffnungswörter und Hoffnungslieder. Sie sind da. Er braucht sie. Er hat in dieser Welt nur noch sie. Diese Frauen und Männer dort oben in dem Zimmer. Er hat Thomas gesehen. Mirijam hat ihn mitgebracht. Extra für Thomas hat sie frische Feigen und Schafskäse zubereitet, für das Abendessen, nach dem Beten, nach dem Brotbrechen.

Es wird ein langer Abend. Sie sitzen im Hof. Sie essen, sie erzählen. Immer und immer wieder, wie sie den Moment erlebt haben als Thomas die Wunden Jesus betastet hat. Maria, die Mutter von Jesus will von Thomas wissen, wie sich die Wunden angefühlt haben. Sie fragt ganz ruhig, aber jeder im Raum spürt, wieviel Schmerz und Sorge in der Frage liegen.

Thomas ist unsicher. Wie soll er beschreiben, dass es nicht Berührung war, die ihn berührt hat? Wären die anderen heute Abend weggeblieben, so wie er letzten Sonntag, dann hätte er ein Leben lang nur die blutenden Wunden und das Todesschreien vor Augen gehabt. Thomas sucht mit seinen Augen Mirijam und Barnabas. Er muss ihnen unbedingt sagen, dass sie ihn berührt haben. Weil sie nicht weggelaufen sind, weil sie da waren zum Beten, zum Brotbrechen. Sie haben die Wunden verwandelt. Seine Wunden.

Natürlich, Schwestern und Brüder, weiß ich nicht, ob es so war oder ganz anders. Aber eines weiß ich, wäre es für Maria von Magdala, Barnabas, Mirijam, Petrus und die Mutter des Markus, für die kleine Gruppe von Frauen und Männer am Abend des ersten Tages der Woche nicht mehr wichtig gewesen zusammenzukommen, zu beten, das Brot zu brechen, miteinander zu erzählen, zu weinen und zu lachen, hätte Jesus keine Chance gehabt, den Thomas zu berühren und seine Wunden zu verwandeln. Darum sind wir hier. Amen.

Pfarrer Ronald Ashley Givens