Fastenzeit 2022

Vaterunser 3. Fastensonntag

Datum:
So. 20. März 2022
Von:
Pfarrer Ronald Ashley Givens

Betrachtung zum Vaterunser 3

Geheiligt werde dein Name. Er braucht eine Idee. Der Maestro blättert unentschlossen durch die verschiedenen Texthefte, die sich auf seinem Schreibtisch türmen. Er stutzt. Skeptisch liest er die Zusammenfassung einer Geschichte. Es ist eine fromme Geschichte. Etwas Religiöses? Die Menschen, die seine Opern hören, sind aufgeklärt. Religion, Glaube ist eher etwas fürs Private. Noch gehört die Religion irgendwie zur bürgerlichen Konvention dazu, aber ein Feuer, eine Begeisterung entfacht der Glaube nicht. Er liest weiter. Es ist eine Liebesgeschichte, voller Tragik, die am Ende doch gut ausgeht. Es geht um ein Volk, dessen Land angegriffen und besetzt wird, von einem unnachgiebigen Herrscher. Es geht in dieser Geschichte um Freiheit und die Sehnsucht nach einer Heimat. Sehnsucht nach einem Ort, wo der Mensch in Würde und Sicherheit aufrecht leben kann.

Er legt das Textheft beiseite. Schaut aus dem Fenster. Seine eigene Heimat ist besetzt. Überall stehen fremde Soldaten. Die Zensur ist streng, jedes Wort, jeden Satz muss er vorlegen, nichts kommt auf die Bühne, ohne die Erlaubnis der Zensur. Die Geschichte hat was. Sie wäre wie ein Spiegel der Gegenwart. Er könnte daraus eine Oper komponieren, die Mut macht. Eine Oper, die die Werte sichtbar macht, die ihm wichtig, ihm heilig sind. Er selbst ist fromm. Jeden Tag besucht er die Messe. Nicht nur aus Gewohnheit, sondern weil sie ihn verbindet, mit seiner geliebten Mutter, mit ihrem unerschütterlichen Gottvertrauen. Sein Glaube hat ihn oft über Wasser gehalten, als die Tränen ihn zu ersticken drohten. Beten hilft ihm. Geheiligt werde dein Name.

Er schaut sich das Textheft genauer an. Jerusalem ist umzingelt. Der fremde König hat seine Soldaten bis an die Mauern herangeführt. Das Volk, die Juden haben sich in den Tempel geflüchtet. Der Hohepriester macht ihnen Mut, da dringen die fremden Soldaten ein, die Stadt wird niedergebrannt, der Tempel entweiht. Der Fremde Herrscher krönt sich nicht nur zum König von Jerusalem. Berauscht von der Größe und Schönheit des Tempels, lässt er sich auch als Gott verehren. Er hat sich über Himmel und Erde hinweggesetzt. Er ist über Leichen gegangen. Er bestimmt über Leben und Tod. Er ist wie Gott. Da trifft ihn der Schlag und er verliert den Verstand. Seine Tochter reißt die Krone an sich, verurteilt die Juden zum Tod oder zur Gefangenschaft und schickt die eigene Schwester aufs Schafott. Der Maestro hält inne. Wie oft hat er mit seinen Freunden in den letzten Tagen, nach dem Gottesdienst, darüber gesprochen, wie armselig der Glaube ist, gegenüber der erdrückenden Macht der Soldaten, die ihr Land besetzt haben,  die ihnen jedes Wort zensieren, alle Bewegung kontrollieren. Geheiligt werde dein Name.

Er liest weiter. Er kennt den Psalm 137, den der Textschreiber umgeformt hat, und den nun die gefangenen Juden voller Sehnsucht nach Jerusalem, nach ihrer Heimat, nach ihrem Tempel singen. Er spürt, das dieses Lied, dieser Psalm etwas sein könnte, das seinem Volk, das ihm selbst Hoffnung geben könnte, Mut machen könnte. Atemlos liest er von da an den Rest der Geschichte. Der entmachtete und in seinem Zimmer eingesperrte König, dessen Verstand zurückgekehrt ist, muss vom Fenster aus zusehen wie seinen Tochter zur Hinrichtung geführt wird, von der eigenen Schwester. Mit aller Klarheit sieht er, der eben noch als Gott und König sich gefeiert hat, seine Ohnmacht. Da wendet er sich an Gott, an Jahwe. Geheiligt werde dein Name. Da wird die Tür wird aufgerissen, seine Getreuen befreien ihn, die Geschichte wendet sich.

Diese Geschichte hat ihn gepackt. Note für Note macht er eine Oper, seine Oper daraus. Das Gebet der verzweifelten Juden muss ein Lied werden, das Mut macht, das seine Landsleute an das erinnert, was ihnen heilig ist. Er hört in seinem inneren Ohr den Chor singen und beten. Dieses Lied muss all das Heilige sichtbar machen, das die Zensur, das der Zweifel, das die Waffen aus der Welt gedrängt haben. Am 9. März 1842 erklingt auf der Bühne der Mailänder Scala zum ersten Mal Guiseppe Verdis Nabucco. Das Gebet der Juden, der Gefangenenchor, aber wird zur heimlichen Hymne, für all die, die noch Träume haben, Sehnsucht haben, die in ihrer Ohnmacht den Himmel bestürmen, dass er Kraft gebe.

Va, pensiero, sull'ali dorate. Flieg, Gedanke, getragen von Sehnsucht

Geheiligt werde dein Name. Wenn wir diesen Satz des Vaterunsers beten, dann ist es der Wunsch, dass Gott aus seiner Verborgenheit heraustrete, dass seine Heiligkeit sichtbar werde, gerade dort wo wir das Gefühl haben, nichts ist mehr heilig, alles darf mit Füßen getreten werden. Wer diesen Satz betetet, bittet darum, dass Gott in einem heiligen Rest von Menschen auf dieser Erde die Hoffnung und den Mut stärke, mit ihren Worten und mit ihren Taten sichtbar zu machen, dass es Heiliges gibt. Das Leben, die Würde, die Freiheit und die Gerechtigkeit. Wer auf der Erde sich für das Heilige, das Unantastbare einsetzt, der braucht einen Himmel, der für das Heilige bürgt, der einmal Rechenschaft verlangt, von denen, denen nichts mehr heilig ist. Geheiligt werde dein Name ist die Bürgschaft Gottes für unseren Einsatz für das Heilige.