Fastenzeit 2022

Vaterunser Gründonnerstag

Datum:
Do. 14. Apr. 2022
Von:
Pfarrer Ronald Ashley Givens

Betrachtung zum Vaterunser 6

Es ist der Abend oder die Nacht der unerfüllten Gebete. Es ist der Abend der Erschöpfung und der Angst.

Dieser Abend beginnt im Haus von Simon dem Aussätzigen. Simon Petrus der Menschenfischer, Simon von Cyrene der Kreuzträger und eben jener Simon, den seine Krankheit so gezeichnet hat, dass sie Teil seiner Identität geworden ist. Wenn wir nichts anderes wüssten, als den Namen dessen, der Jesus und seine Freunde in sein Haus eingeladen hat, dann wäre schon das eine ganze Geschichte für sich. Einer wird seine Vergangenheit nicht los. Oder: einer hat begriffen, wie sehr eine Krankheit unser Leben verändert und prägt. Das bleibt nicht in den Kleidern hängen. Das schreibt sich auf Leib und in Seele. Simon der Aussätzige trägt seine Zeit des Nichtheilseins fortan in seinem Namen, weil das nun zu seiner Persönlichkeit gehört. Weil diese Zeit nicht nur ihn, sondern auch andere geprägt hat, seine Familie. Dort wo bei uns der Familienname steht, steht bei Simon nun die Bezeichnung für eine Zeit, die alle getroffen hat, die zu ihm gehören. Simon der Aussätzige.

Aber nicht Simon wird in dieser Erzählung zum Mittelpunkt, sondern ein zerbrochenes Gefäß, der Duft von kostbarem Öl, der das ganze Haus erfüllt und eine Frau, die keine Worte findet, nur liebende, zärtliche und erotische Gesten. Und Jesus, der zulassen und übersetzen kann. Öl fließt an diesem Abend und Tränen. Noch bevor Jesus im Abendmahlsaal die Füße seiner Freunde wäscht, werden seine Füße mit Tränen gewaschen und mit dem Haar der Frau getrocknet. Dieses Bild wird im Abendmahlsaal so präsent gewesen sein, dass auch die Fußwaschung Jesu noch mit dieser Liebe, noch mit dieser Zärtlichkeit, mit dieser Haut- und Haarhingebung um Bedeutung ringen muss.

Jesus deutet diese Salbung, diese Tränen, diese sprachlose Nähe als das, was sie werden wird: der kostbare Ersatz für einen Himmel, der ihm entflohen ist: „Mein Gott warum hast zu mich verlassen.“ Für eine Erde, die erschöpft sich selbst genügt. „Konntet ihr nicht eine Stunde mit mir wachen.“ „Lasst sie, sie hat ein gutes Werk an mir getan.“

Am Fuß des Ölberges, dort wo die Ölpressen standen, dort wird das Gebet herausgefordert. Es war wohl etwas weiter oben am Hang des Berges, zwischen den Olivenbäumen, in einer großen Grotte, nicht weit vom Haus des Simon des Aussätzigen entfernt, auf halben Weg zwischen dem Haus der Freunde Maria, Martha und Lazarus, da hat Jesus seine Jünger das Vaterunser gelehrt. Dort gab es Schatten, dort konnten sie den Lärm Jerusalems hinter sich lassen, dort konnten sie ihn bitten: „Herr lehre uns beten.“

Es muss den Freunden Jesu viel bedeutet haben, dieses Gebet, sonst hätten wir es nicht in vierzig Tagen nach und nach auf unseren Altar schreiben könnten. Es wäre verlorengegangen, wenn es ihnen nicht eingegangen wäre: ins Herz, in ihren Glauben. Wie vielen vor uns muss es Trost, Hilfe, Stütze gewesen sein, dass es auf dem Weg vom Ölberghang über Meere und Ländergrenzen hinweg, über nichtdenkbare Zeiträume bis es zu uns gekommen ist. Wie viele Worte, wie viele Gebete, sind auf der Strecke geblieben bei diesen Zeit- Räumen.

Aber heute Abend, am Fuß des Ölberges kommt zu der Bitte der Jünger: „Herr, lehre uns beten“ eine weitere Bitte hinzu: „Wacht und betet mit mir.“ Zu erschöpft sind die Jünger. Sie können die Bitte nicht erfüllen. Es ist der Abend der unerfüllten Gebete. Doch wenn schon nicht die Freunde, dann doch der Himmel: „Lass diesen Kelch an mir vorübergehen.“ Auch dieses Gebet wird nicht erfüllt. Es ist die Nacht der unerhörten Gebete.

Der, der uns beten gelehrt hat, erfährt in dieser Nacht, die Nacht des Gebetes.

Vielleicht kann diese Gebetsohnmachtnacht nur verstehen, wer einmal so krank war, dass sie oder er nicht wusste, ob es wieder gut wird. Simon der Aussätzige ist davon geprägt. Vielleicht kann diese Einsamkeitsnacht nur verstehen, wer so sprachlos geworden ist, dass ihm nur noch die eigene Haut bleibt, um sich mitzuteilen. Wer Ostern, wer die Genesung, wer das Willkommen durch andere immer schon mitdenkt, sich damit tröstet an diesem Abend, am Gründonnerstag, der kennt die Nacht des Gebetes nicht.

Für mich hat es eine tiefe Symbolik, die mir erst nach und nach aufgegangen ist, als das Gebet Jesu auf unseren Altar geschrieben worden ist. Dieser Altar wurde an seinen Wundmalen mit Öl gesalbt. Olivenöl. Ölbergöl. Garten Gethsemaneöl. Salböl. Beten können, wenn der Himmel entflohen ist, und wenn die Erde sich selbst genügt, wieviel Nacht gilt es da beim Beten auszuhalten.