Fronleichnam

Sakramente

Datum:
Do. 11. Juni 2020
Von:
Pfarrer Ronald Givens

Liebe Schwestern und Brüder!

 

Frustriert wirft die Polizistin von Scotland Yard das Buch, das sie gerade eben noch gelesen hat, gegen die Wand. Allein sitzt sie vor dem elektrischen Kaminfeuer ihres leergeräumten Elternhauses und fragt sich zum ungezählten Male, warum es ihr nicht gelingt, eine dauerhafte Beziehung aufzubauen. Das geworfene Buch ist einer der vielen Ratgeber, die ihr in unterschiedlich abgewandelten Formulierungen empfehlen, dass sie in sich die Quelle der Zufriedenheit und des Glücks nur entdecken und sprudeln lassen muss, damit andere von dieser positiven Energie angezogen, sich wie von selbst ihr zuwenden.

Als ich mir diese Szene des Hörbuches ausgemalt habe, musste ich lachen. Jetzt, im Nachdenken zum Fronleichnamsfest, ist mir diese Szene aus dem Hörbuchkrimi wieder eingefallen. An Fronleichnam ziehen wir hinaus aus dem Kirchengebäude und zeigen durch die Prozession der Welt, was uns wichtig ist: Eine Gemeinschaft zu haben, die miteinander glaubt und diesen Glauben in Liedern und Gebeten ausdrückt. Miteinander auf die Worte der Heiligen Schrift zu hören und darüber nachzudenken, welche Bedeutung diese Worte für das eigene Handeln haben. Gemeinsam zu einer Mahlzeit eingeladen zu sein, die Leib und Seele stärken möchte.

Nicht selten erleben wir genau die Situation der Polizistin von Scotland Yard: Wir erhalten den Rat, dass unsere Probleme sich ganz einfach lösen würden, wenn wir nur eine bessere oder positivere Einstellung hätten.

Fronleichnam sagt etwas anderes. Fronleichnam erzählt davon, dass wir an unsere Grenzen kommen. Nicht alles haben wir in der Hand und nicht alles können wir aus eigener Kraft und eigenem Willen verändern. Darum wird als erstes, wenn wir zur Kirchentür hinausgehen, das Kreuz voraus getragen. Wir bekennen uns dazu, dass das Leben durchkreuzt werden kann. Jesus Christus war ein gläubiger Mensch, der in sich eine starke, friedensstiftende Kraft als Quelle seines Handelns gepflegt hat. Dennoch wurde sein junges Leben durchkreuzt und er hat es nicht verhindern können. Wer wachen Auges und offenen Ohres das Leben seiner Familie und seiner Freunde begleitet, wer die täglichen Nachrichten mit einem fühlenden Herzen verfolgt, der wird Zeugnis davon geben können, wie oft und wie tragisch das Leben durchkreuzt wird.

Wir tragen nicht nur das Kreuz, dem wir folgen, vor uns her, sondern wir führen auch den Himmel mit. Dieses tragbare Zelt erzählt davon, dass es einen Ort gibt, einen Schutzraum, in dem es himmlisch zugeht. Wer schon einmal im Zeltlager war, der kennt die Momente, in denen unter dem Zeltdach, mitten in dem Durcheinander von Schlafsäcken und unaufgeräumter Wäsche, eine Atmosphäre der Geborgenheit entsteht - die Kinder und Jugendlichen, die sich zuvor nicht kannten, zu einer Gruppe zusammenschweißt. Der Himmel oder der Baldachin, den wir in der Prozession mit uns tragen, beinhaltet das Versprechen, dass der Himmel ein Ort ist, der uns Geborgenheit schenkt und der uns so zusammenführt, dass es nichts Trennendes mehr gibt, sondern nur die Freude darüber, gemeinsam mit allen bei Gott leben und aufatmen zu können.

Schließlich halten wir das Brot hoch. Es ist - mit dem Wein - Zentrum der Mahlzeit, die uns so kostbar ist wie ein Abendessen mit Freunden, wie das Geburtstagsessen mit der Familie, wie das behutsame Füttern im Pflegeheim, wie das geteilte Pausenbrot mit dem besten Freund oder der Freundin. Wir legen Gold, Silber und Edelsteine um ein kleines Stück Brot, weil wir die Erfahrung gemacht haben, dass es Momente gibt, die nicht mit Gold und Diamanten aufgewogen werden können. Nichts stärkt, nichts heilt, nichts ermutigt mehr als das, was andere uns an Liebe und Zuwendung schenken. Das alles kommt nicht aus unserem eigenen Inneren, sondern das fließt uns aus der Zärtlichkeit, aus den strahlenden Augen, aus den helfenden Händen, mit dem guten Wort zu und erfüllt unser Herz.

Fronleichnam widerlegt den Satz: „Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied“. An Fronleichnam feiern und bekennen wir, wie wichtig es uns ist, in der Gemeinschaft der Glaubenden verbunden zu sein und wie viel Kostbares uns daraus zufließt - für die Lebensmomente, die unsere eigene Kraft und Möglichkeit überfordern. Kreuz und Schrift, Gesang und Gebet, Himmel und Brot, Schwestern und Brüder sind alles Sakramente, mit denen Gott sich uns zuwendet und uns befreit von der Selbstüberforderung, alles machen zu können und zu müssen. Wir gehen hinaus in die Straßen und zeigen aller Welt, wie reich beschenkt wir sind, gerade dann und dort, wo wir selbst armselig und schwach sind.

Auch wenn wir in diesem Jahr Fronleichnam ganz anders feiern, bleibt die Freude darüber, dass da ein Gott ist, der seit undenklichen Zeiten Wege sucht, um sein Volk zu begleiten und zu stärken. Mit einem Zelt in der Wüste, mit einem guten und heilenden Wort, mit einem Stück Brot und einem Schluck Wein, mit einem Kreuz, das vom offenen Himmel erzählt.

Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes Fronleichnamsfest und die Freude darüber, an diesem Tag Zeichen zu suchen, die von der Zuwendung Gottes in Ihrem Leben sprechen.