Heiliger Kuss

Datum:
So. 24. Dez. 2017
Von:
Ronald Givens
Predigt an Heilig Abend

Liebe Schwestern und Brüder,

 

es war bitterkalt. Es war Februar und ich war in New York unterwegs. Ich hatte meinen Reiseführer in der klammen Hand und sehnte mich nach einem heißen Kaffee, und einem dicken Stück Schokoladenkuchen. Das Café hatte ich mir schon am Morgen im Reiseführer ausgesucht. Nicht nur wegen dem heißen Kaffee.

Damals, an diesem eiskalten Morgen, bin ich zum ersten Mal auf die Untergrund Eisenbahn, Underground Railroad, gestoßen. Durch ganz Amerika hatten Menschen Tunnel gegraben und durch diese Eisenbahnschienen verlegt. Die Tunnel waren geheim. Die Bahn war geheim. Die unterirdischen Bahnhöfe wurden unter Ställen, Häusern, oder eben unter jenem Cafe in New York, getarnt. Durch die Underground Railroad wurden Sklaven aus dem Süden in die Freiheit geschmuggelt. Tausende Farbige gelang so die Flucht aus dem Süden, von den Baumwollplantagen in die Freiheit der nordamerikanischen Städte.

Jetzt, im Advent habe ich ein dickes Buch über die Undergroundrailroad gelesen. Am Leben einer jungen Frau, Cora, wird die Arbeit der Undergroundrailroad beschrieben. Es gab Seiten, da musste ich das Buch weglegen, so grausam waren die Berichte über das, was der Mensch dem Menschen antun kann. Sklaven und Herren. Schwarze und Weiße. Frauen und Männer. Cora flieht. Flieht von der Farm, wo sie als Kind von Sklaven geboren worden ist. Sie wird gefangen, die wird misshandelt, sie flieht erneut. Mit Hilfe der Undergroundrailroad kommt sie immer weiter in den Norden. Unzählige Menschen berühren ihr Leben. Cora teilt diese Menschen ein. Nicht nach Hautfarbe. Nicht ob sie Mann oder Frau sind, sondern, was sie aus ihrem Menschsein gemacht haben. Ob sie gemein geworden sind, sobald sie Macht hatten. Ob sie gemein geworden sind, sobald einer da war, der noch schwächer war als sie.  Oder ob sie gut geworden sind, ob sie ihr Menschsein eingesetzt haben, damit nicht nur sie selbst, sondern auch andere leben können.

Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf. Heute Nacht hat Gott in Bethlehem seine eigene Undergroundrailroad aufgebaut. Das Kind in der Krippe wird groß werden. Obwohl Jesus Macht haben wird, wird er nicht gemein werden. Dieses Kind wird mit seinem Leben erzählen wie es gehen könnte nicht gemein zu werden. Dieses Kind wird mit seinen Gleichnissen durchbuchstabieren, wie Gott ist. Nicht gemein. Nicht niederdrückend, sondern suchend nach mir. Dieses Kind wird als Erwachsener sich dagegen wehren, dass wir Gott missbrauchen um zu anderen gemein zu sein, um sie in Gottes Namen zu demütigen, wenn etwas schief gelaufen ist, sie auszuschließen, wenn ihr Weg nicht gerade ist. Dieses Kind wird uns bitten nicht gemein zu werden, sondern selig. Am Ende seines Lebens, wenn der Mensch dem Menschen Jeus zeigt, zu was der Mensch fähig ist, wird Jesus nicht gemein werden, sondern sagen: Vater verzeih ihnen, rechne es nicht an. Dann am Kreuz er wird seine Undergroundrailroad vollenden, er wird eine Lebensstation im Grab einrichten, bei denen, die wir vermissen, die uns fehlen, die der Tod uns genommen hat. Er wartet dort, um sie in sein Leben zu führen. Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf.

Heute Nacht, in der Heiligen Nacht baut Gott eine Station seiner Undergroundrailroad. Nicht unter einem New Yorker Café, sondern in jedem von uns, der heute die Kommunion, das heilige Brot, ihn selbst empfängt. Er teilt seine Macht, seine Leben mit uns durch dieses heilige Brot. Warum?

Tatjana, war ein Barmädchen. Im Rotlichtmilieu. Heilig Abend hatte sie Dienst, mit den anderen Mädchen. Für das Zimmer, in dem sie die Männer empfing, musste sie viel Geld bezahlen. Dennoch hatte sie den Chef gefragt, ob sie heute Nacht, in der heiligen Nacht für zwei Stunden weg darf. Zur Messe. Das war ihr geblieben, die Messe an Heilig Abend, so wie früher, daheim. „Tschüss“, sagte Tatjana, zu ihren Kolleginnen als sie um 22 Uhr hinauseilte, zur Christmette. Lächelnd kam sie zurück, direkt nach der Messe. Sie will gleich wieder an die Arbeit, ihren Platz an der Bar einnehmen. Aber als sie an die Bar kommt wird es still. Alle schauen sie an. Da fragt eines der Mädchen: „Und? Hast du die Kommunion empfangen?“ „Ja“, sagt Tatjana. „Hast du, mit deinen Lippen, die heilige Hostie berührt?“ Jetzt wird es ganz still. Tatjana, nickt. „Also“, fragt ein anderes Mädchen, „also, hast du jetzt den lieben Gott in Dir?“ Alle starren sie an. „Gewiss“, sagt Tatjana. „Dann“, sagt das andere Mädchen: „Dann, gib mir einen Kuss. Mit deinen Lippen, mit denen zu das Heilige berührt hast.“ Ganz behutsam küsste Tatjana das Mädchen in der Bar. Berührte sie mit dem Heiligen. Da kam ein Mädchen nach dem anderen: „mich auch.“ Ehrfurchtsvoll und fromm empfing eine nach der anderen einen Kuss, kam mit dem Heiligen in Berührung. (nach Willi Hoffsümmer)

Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf. Von heute Nacht an, liegt es an uns, ob wir diesem Kind die Macht geben, sein heilendes Leben durch uns weiterzuschenken. Amen.