In Gott versteckt

Ansprache 6. Sonntag der Osterzeit

Datum:
So. 9. Mai 2021
Von:
Hedi Fieseler

Liebe Schwestern und Brüder!

Kinder sind neugierig und wissbegierig. Sie können einen wahrlich mit Fragen löchern und meistens können wir entsprechend antworten. Aber sie können auch Fragen stellen, auf die wir keine plausible Antwort parat haben.

„Oma, wo war ich eigentlich, bevor ich geboren wurde?“ Die Frage des kleinen Enkelkindes kommt überraschend, selbst für die im Beantworten schwieriger Fragen geübte Großmutter. "Hmm .. ich weiß es nicht. Du warst jedenfalls noch nicht bei uns." Das Kind ist mit der Antwort der Oma nicht zufrieden und versinkt in tiefes Nachdenken. „Aber irgendwo muss ich doch gewesen sein?“ So überlegt es noch eine Weile und sagt dann einen Satz, wie er schöner und tiefer kaum sein kann:

Ich glaube, ich war in Gott versteckt.“  Mich hat dieser Satz, diese Antwort zutiefst berührt und fasziniert ! Von Kindern kann man so viel lernen. Was das Kind da plötzlich ganz sicher weiß, ist nicht weniger als dies: Der Grund, die Quelle, aus der unser Leben entspringt, ist Gott. Die Kraft, die uns ins Leben leitet und lockt, ist Liebe. Und „Liebe“ ist lediglich ein anderer Name für Gott. Einer von vielen Namen für Gott, vielleicht sein schönster. „Ich war einmal in diesem Gott versteckt.“ Ich war von Liebe umhüllt wie von einem wärmenden Mantel. Ich war gewollt. Und dann wurde ich ins Leben geschickt, wurde geboren. Ein Menschenkind aus Fleisch und Blut. Immer begleitet von jener Liebe. Nie fallengelassen. Nur losgelassen, damit ich selber leben konnte. Damit ich glauben, hoffen und lieben lerne. Die Liebe, die mich anfangs so fest umschloss, die mich begleitet hat auf meinem Weg ins Leben, sie hat selbst Hände und Füße bekommen und eine Stimme. Sie hat ein besonderes Gesicht angenommen auf dieser Erde. Diese nicht nur spürbar, sondern auch sichtbar gewordene Liebe hat einen Namen bekommen: Jesus Christus.

Jetzt sind wir nicht länger „in Gott versteckt“, und auch Gott selbst verbirgt sich nicht mehr nur in einem fernen Himmel. Jesus Christus hat der Liebe Gottes ein Gesicht gegeben – das Gesicht eines Menschen. Er will uns dafür begeistern, in der Liebe Gottes weiter zu wachsen und zu reifen. So verstehe ich die Worte, die uns Johannes im heutigen Evangelium überliefert hat. "Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch. Bleibt in meiner Liebe! Wenn ihr meine Gebote haltet, so bleibt ihr in meiner Liebe."

Liebe Schwestern und Brüder. Von der Liebe und vom Bleiben in der Liebe ist da die Rede, und das wird verknüpft mit dem Einhalten der Gebote. Das ist die Voraussetzung, die gilt. Das ist – das soll nicht erst noch werden. Das muss nicht erst noch von uns erarbeitet oder verdient werden.

"Wie mein Vater liebt, so liebe ich euch auch.“ Einfach so. Bedingungslos. Voraussetzungslos. Liebe wird nicht verdient, sie wird zugesprochen. Wir sind eingeladen, in der Liebe Gottes zu bleiben. Was auch immer in unserem Leben passiert an Veränderungen: Abschied und Neubeginn, Veränderungen, die wehtun, ein neuer Lebensabschnitt, den ich mit Sehnsucht erwarte und den ich mit großen Hoffnungen beginne, - was auch immer geschieht im Auf und Ab des Lebens, - bei der Liebe Gottes gilt: Wir dürfen bleiben. Wir behalten uneingeschränktes Bleiberecht an der Quelle des Lebens: bei Gott, der uns unser Leben gab. Das ist eine Einladung, ja vielleicht sogar eine Aufforderung: „Bleibt in meiner Liebe!“ Die Liebe, mit der wir uns selbst lieben, und die Liebe, die wir weitergeben an andere Menschen, ist Antwort auf die Liebe Gottes.

Wir leben gerade in einer schwierigen Zeit die vielen Angst und große Sorgen macht, weil die Coronapandemie das Leben stark verändert hat.

Viele leiden und haben kein Vertrauen mehr, dass es einen liebenden Gott gibt, der es gut mit uns meint. Denen würde ich gerne sagen: Schau doch, wie reich du trotz allem bist! Du bist ein von Gott geliebter Mensch und darfst dich selbst lieben! Du darfst das viele Gute, das es trotz allem Schweren gibt, dankbar als Geschenk annehmen: Die Liebe der Menschen die Du liebst und die Dich lieben die Schönheit der Natur und uvm. Es liegt an mir bei allen Sorgen und Problemen, die jeder hat, die Augen und das Herz zu öffnen für das, was unser Leben schön macht und bereichert.

"Wenn ihr meine Gebote haltet, so bleibt ihr in meiner Liebe.“ Gottes Gebote sind keine Verwaltungsvorschriften einer grauen Eminenz, die uns das Leben schwer machen und uns zeigen sollen, wie klein wir doch sind. Die Gebote, an die Jesus uns erinnert, sind kein “Du sollst nicht!“ mit erhobenem Zeigefinger. Bei seinen Geboten geht es viel eher um das uns Menschen angemessene Tun, um das, was uns heute und auch morgen noch guttut. Um das, was gut ist und gut tut, und zwar nicht nur der einen Person, die handelt, sondern auch gut tut all den anderen, die zu spüren bekommen, wie sich die Tat des einen Menschen für sie alle auswirkt. Ich könnte auch sagen: Jesu Gebote sind dazu da, dass wir Freude haben an unserem Tun – an dem, was wir selbst tun genauso wie an dem, was andere tun und lassen. „Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch liebe“, so sagt es Jesus. Mich berührt dieses Wort Jesu sehr. Liebe lässt sich gewiss nicht befehlen, erzwingen, verordnen. Für mich klingt es mehr wie eine Einladung: Gottes Liebe ist der Urgrund, die Voraussetzung von unser aller Leben. Wir waren in Gott versteckt, bevor wir geboren wurden. Aufgeschrieben im Buch des Lebens bei dem, der selbst die Liebe heißt. Ob jung oder alt, ob arm oder reich, ob traurig oder fröhlich: Wir alle werden von seiner Liebe begleitet, komme, was da kommen mag.

Nachher sind wir bei der Kommunion eingeladen, Liebe zu empfangen. Das „Liebesbrot“ will uns stärken und Kraft geben unser Leben zu meistern und uns daran erinnern, dass, egal was uns in unserem Leben passiert ,wir nicht tiefer fallen können als in Gottes liebende Hände.