Kar und Ostertage 2022

Predigt Gründonnerstag

Datum:
Do. 14. Apr. 2022
Von:
Pfarrer Ronald Ashley Givens

Ich will mit einer Fluchtgeschichte beginnen.

Das ganz Haus ist erfüllt vom Duft des Brotes. Behutsam nimmt die Frau das frischgebackene Brot, stellt es auf den festlich gedeckten Frühstückstisch. Vorsichtig streicht sie mit ihren Fingern über das frische Brot und schreibt ein unsichtbares Kreuz auf den Laib.

Scheibe um Scheibe schneidet sie für jeden am Tisch eine Scheibe ab, bestreicht das Brot mit Honig, reicht jedem am Tisch das Brot. Sie erinnert sich. Sie waren auf der Flucht. In der Nacht strandeten sie in einem polnischen Dorf. Geschunden. Verängstigt. Hungrig. Sie finden Unterschlupf. Die Frau, deren Familie ihnen die Tür geöffnet hat, stellt ihr Mehl, ein Schälchen Sauerteig, Milch und Salz vor die Tür, zeigt hinüber zum Backhaus, wo die Frauen des Dorfes sich sammeln, um  Brot zu backen. Sie hat noch nie Brot gebacken. Ist ratlos. Die junge Polin begreift. Nimmt sie bei der Hand, führt sie zum Backhaus. Die Frauen am Backhaus lächeln ihr zu. Eine nimmt ihre Hände, führt sie zur Schüssel, zeigt ihr wie der Teig geknetet werden muss. Immer wieder nimmt sie ihre Hände führt sie, lenkt sie, bis ihre Hände sicherer sind. Es wird viel gelacht in dieser Nacht. Am Backhaus. Mit Händen und Gebärden lernt sie Brot backen. Glückselig holt sie am Morgen im Kreis der anderen Frauen ihren frischen Brotlaibe aus dem Ofen. Fühlt seine Wärme, spürt die Kraft, die in ihm steckt.  Eine der Frauen  schenkt ihr einen kleinen Topf mit Honig.

Es ist zum Davonlaufen. Wir sind eine Minderheit in dieser Stadt, in unserem Land geworden. Gründe gibt es genug, die meisten hat die Kirche selbst geliefert. Nichts ausgelassen an Abgründen, an Dummheiten, an Lügen und Verbrechen. Dann auch noch Corona und jetzt der Krieg. Wozu hier heute Abend sitzen und Mahl halten? Abendmahl.

Jesus weiß, dass es zum Davonlaufen ist. Es ist womöglich der letzte Abend seines jungen Lebens. Was er noch nicht weiß, aber ahnt, dass seine Freunde tatsächlich davonlaufen, fliehen. Einer wird überlaufen. Für Geld. Einer wird schwören, dass er nicht einmal weiß, wer dieser Jesus ist. Einer wird seine nackte Haut retten. Dennoch will er feiern und er lässt alles dafür vorbereiten. Einen schönen Raum, etwas gutes zu Essen, Wein und große Gefäße, um die Füße zu waschen.

2000 Jahre später  sitzen wir da und sind ein wenig ratlos. Ein goldener Kelch, eine goldene Schale, gestanzte Brotstücke, Wein, ein wenig Wasser, ein schöner Raum und eine Sprache, die wir nicht sprechen, oft mühsam verstehen.

Und so nimmt Jesus uns am Gründonnerstag bei der Hand führt unsere Hände, so wie damals die Frauen am Backhaus irgendwo auf einer der Fluchtrouten. Zuerst öffnet er uns die Hände, bringt sie auf die Höhe des Herzens und erinnert uns daran, wie von Herzen gern er gefeiert hat. In Kana bei einer Hochzeit, in Jericho bei Zachäus, in Bethanien bei seinen drei Freunden, im Haus des Petrus oder bei Simon dem Aussätzigen. Am letzten Abend seines Lebens hebt er unsere Hände behutsam auf Herzhöhe um uns zu erinnern an das Gute, das Fröhliche, das Kostbare, das wir in unserem Leben schon gefeiert haben, geschenkt bekommen haben. Da ist nicht nur Corona, Krieg, Zukunftsangst, Enttäuschung, da ist auch Herzstärkendes, Schönes, Feierliches.

Dann legt er sich uns in die Hände. Er will uns berühren. Wir dürfen das Brot nicht schnell essen. Ruhig es liegen lassen und uns einfühlen, so wie Jesus sich eingefühlt hat. In dieser Brotberührung heute Abend teilt er mit uns seine erste Berührung mit einem Aussätzigen, läßt uns nachspüren, wie vor Angst die Hand des Petrus zitterte, als er diesen mitten aus den Wellen gezogen hat, oder wie schön es war den Kindern segnend die Hände aufzulegen. So wie die Frauen am Backhaus geduldig die Hände geführt, berührt, gelenkt haben, so oft berührt er geduldig unsere Hände bis unsere Hände sicherer geworden sind, im Berühren, im Retten, im Segnen.

Und schließlich sollen wir ihn zerbeißen. So wie Liebende einander vorsichtig beißen, weil sie sich mit Haut und Haaren spüren wollen. Nicht außen vor will er bleiben, sondern mitten hinein, in uns in unser Leben. Er ist kein Bleibmirvomleibgott.

Jede und jeder von uns rettet heute Nacht ein Stück von ihm, in uns. Das Wunder dabei ist, dass wenn wir ein Stück von ihm retten, von seiner Art zu feiern, zu glauben, zu hoffen, zu lieben, zu leben, dass wir dann ein Stück von uns selbst retten. Jener Teil von uns, der sich nach Leben sehnt, nach Frieden, nach einer Schöpfung, die wieder aufgerichtet wird.  Mitten in der Nacht, mitten in der Not, mitten im Fliehen nimmt er heute unsere Hände, auf dass wir dieser Welt erzählen von einem jungen Mann, der am letzten Abend seines Lebens ein Fest gefeiert und das dieses Fest bis heute Menschen dazu befähigt, nicht davonzulaufen, sondern zum Brot für die Welt zu werden. So wie dieser Jesus, von dem wir heute Abend ein Stück in uns tragen werden.