Karwoche

Predigt Palmsonntag

Datum:
So. 28. März 2021
Von:
Pfarrer Ronald Givens

In meinen Händen halte ich grüne Zweige, gesegnete Zweige. In dieser Woche kamen Zweige von einem Olivenbaum aus Nazareth mit der Post bei mir an. Ein Zeichen der Verbundenheit von den Ordensschwestern, die dort in Nazareth eine Schule am Überleben halten, die allen Kindern gleich welcher Religion sie angehören, egal ob Junge oder Mädchen eine Bildungschance bieten.  Die Schule hat es sehr schwer zu bestehen. Ein Ehepaar, dem es wichtig gewesen wäre, heute mit uns Palmsonntag zu feiern, hat darum gebeten, dass ich Ihnen einen von den gesegneten Zweigen mitbringe. Sie gehen durch eine sehr schwere Zeit und brauchen dieses Zeichen von uns als betende Gemeinschaft. Eine Freundin hat mir jedes Jahr aus Venedig einen Zweig von der Palmprozession mitgebracht. In diesem Zweig steckten die Freundschaften, aber auch die Abschiede und Toten, die sie mit der dortigen Gemeinde in der im Laufe der Jahre aufgebaut haben.

An unseren Palmsonntagszweigen hängt sehr viel. Wie oft hat jeder von uns den vertrockneten Zweig bei sich zu Hause vom Kreuz genommen und am Palmsonntag durch einen frischen ausgewechselt. Die beiden Zweige, den alten hart und trocken gewordenen und den frischen in Händen zu halten, macht nachdenklich. Der frische steht für die Hoffnung, dass sich etwas zum Guten hin bewegt. Für die Stunden, in denen wir im Glauben und im Leben fest stehen, das Gefühl haben, meine Füße stehen auf weitem Raum. Die vertrockneten Zweige stehen auch für das große Warum: warum fällt mir das Glauben an die Güte Gottes mitunter so schwer? Warum ist dieses oder jenes in meinem Leben oder im Leben eines Menschen, der mir viel bedeutet, passiert, an Leid, an Enttäuschung, an schwerer Krankheit. Manchmal fürchte ich mich davor, dass ich die frischen Zweige nicht mehr aufstecken könnte, sondern mit dem getrockneten Zweigen gleich das ganze Kreuz abhänge, weil mein Glaube, mein Vertrauen in Gott wie der Zweig geworden ist, vertrocknet und leblos.

Wenn ich bei mir im Pfarrhaus aus dem Fenster schaue, dann erlebe ich Tag für Tag ein spektakuläres Schauspiel. Etliche meiner Nachbarn sind davon nur noch genervt, ich aber bin jeden Tag fasziniert. In den Bäumen sitzen lauter Krähen, die den ganzen Tag einen unglaublichen Lärm machen und dabei lauter vertrocknete Zweige sammeln, von den Bäumen abbrechen und nach und nach zu Nestern zusammensetzen. Diese vertrockneten, toten Zweige nehmen sie unverdrossen, um daraus ihr Nest zu bauen, indem das Leben geboren und geborgen wird.

Der Palmsonntag ist so ein vertrockneter Zweig. Er gehört zu dem Osternest, das Gott baut, um das Leben neu zu schaffen. Der Einzug Jesu in Jerusalem ist ein einziger, dürrer, mickriger und sehr gebrochener Zweig. Die Jerusalemer waren anderes gewohnt. Wenn Pontius Pilatus der Statthalter von seiner Residenz in Cäsarea am Meer hinaufritt nach Jerusalem, dann  sahen die Menschen in Jerusalem einen Einzug voller Kraft und Stärke. Erst die Fahnen, die Standarten, die Soldaten zu Fuß, dann die Offiziere und Würdenträger auf Rössern und schließlich der Statthalter, in Uniform mit allen Zeichen der Macht und Stärke Roms. Das hat beeindruckt, in Staunen versetzt. Das strahlte Leben aus.

Wie lächerlich muss der Einzug Jesu auf Menschen gewirkt haben, die solche Bilder, solche Einzüge erlebt haben. Da wackelt und schaukelt ein mickriger Wanderrabbi auf einem Esel die staubige Straße hinauf, keine Standarten und Fahnen, sondern abgerissene Zweige, vertrocknete Palmwedel und zerlumpte Kleider als Schmuck.

Dieser dürre lächerliche Einzug Jesu in Jerusalem ist gemacht für die Augenblicke, in denen wir den vertrockneten Zweig vom Kreuz nehmen und nachdenklich fragen, ist mein Glaube, ist meine Hoffnung dürr geworden? Vertraue ich noch darauf, dass mein Leben in der guten Hand Gottes liegt und gehalten ist?

Darauf antwortet der Palmsonntag: mit einem dürren und lächerlichen Einzug hat Gott sein Osternest gebaut. Jesus hat vertraut, dass er der schwache und verletzliche Mensch ganz dem Willen des Vaters vertrauen kann, auch wenn er gegenüber dem, was da kommt, was sein Leben auslöschen will, viel zu klein und viel zu schwach ist.

Unser Osternest fügt sich im Laufe des Lebens aus grünen und kräftigen Zweigen zusammen, die so ein Nest tragen und halten, aber auch aus dürren und zerbrochenen Zweigen, die auch dazu gehören, wenn das Leben neu geboren werden soll.

Für die Krähen vor meinem Fenster sind die dürren Zweige kostbar, sie fügen sie zu einem bergenden Nest zusammen. Für mich sind sie nicht immer leicht zu tragen, aber ich will ein Leben lang sie geduldig zusammentragen für mein Osternest, das hoffentlich in der Stunde des Todes so bergend ist, dass ich wie Jesus sagen kann, Vater in deine Hände lege ich mein Leben. Amen.