Nächstes Jahr in Jerusalem

Pilgerreise 38

Datum:
Sa. 2. Mai 2020
Von:
Pfarrer Ronald Givens

Virtuelle Pilgerreise 2020, 38 - Weihrauch

Der Speisesaal des Kibbuz hat den Charme einer Fabrikhalle. Aber das Frühstück ist lecker. Der Kibbuz im Negev produziert hervorragende Milch- und Käseprodukte für ganz Israel. Es gibt frisches Obst und Kaktusmarmelade. Sehr früh geht es heute Morgen los. Schon jetzt im Mai kann es bis zu 40° heiß werden. In den beiden Ausgrabungsstätten, zu denen wir heute fahren, gibt es kaum Schatten. Jeder von uns muss mindestens 3 l Wasser für diesen Tag dabeihaben.

Unser Bus verlässt den Kibbuz und wir fahren Richtung ägyptische Grenze. Es gibt kaum noch PKWs. Dafür werden die Lastwagen immer größer. Sie bringen Waren von oder nach Ägypten.

Weil es der Marienmonat Mai ist, singen wir zur Laudes das Lied Maria Maienkönigin als Hymnus. Es ist schon ein wenig befremdlich, aus dem Busfenster zu schauen, ringsum nur Wüste, und dabei zu singen, wie es grünt und blüht im Mai. Jeweils einer aus der Gruppe betet für uns alle einen Psalm vor. Jeden Tag bereitet jemand anders den Segen vor und spricht ihn über alle im Bus. Es tut gut, den Tag mit einem Segen zu beginnen und zudem zu hören, wie unterschiedlich jeweils das Segensgebet ist, das der- oder diejenige an diesem Tag formuliert hat.

Mohammed kennt die Ausgrabgrabungsstätte von Shivta nicht. Noch nie war er mit einer Gruppe hier. Daher beobachte ich mit einem Auge die Straße, damit wir die Abzweigung nicht verpassen. Mit dem anderen Auge versuche ich, im Gotteslob mit zu beten. Gut, dass die anderen mich im Gebet mittragen. Wir verlassen die 211 und fahren über eine Schotterstraße an einem großen Militärlager vorbei. Ein Panzer neben dem anderen steht aufgereiht hinter den Absperrungen. Dann ist nur noch Wüste vor uns. Es geht bergab - in Richtung eines Wadis. Auf einer kleinen Anhöhe, über dem Wadi, liegen die Ruinen von Shivta.

Es gibt hier keine Kontrollen oder eine Aufsicht, obwohl es ein Nationalpark ist, aber es kommen hier so gut wie keine Touristen vorbei. Aber es gibt Toiletten. Das ist nicht unwichtig.

Die Nabatäer haben Shivta errichtet. Diese Stadt lag auf einer Nebenroute der sogenannten Weihrauchstraße. Später als Shivta im dritten Jahrhundert christlich geworden ist, war hier ein Bischofssitz und eine Pilgerstation auf dem Weg in den Sinai zum Katharinenkloster. Noch später haben die Araber Shivta erobert. Erst als die Handelsrouten sich verändert habe, und es keine Pilger mehr gab, die in den Sinai zogen, verlor Shivta seine Bedeutung und wurde aufgegeben.

Hier im Negev regnet es nur sehr wenige Tage im Jahr. Dann aber so heftig, dass die ausgetrockneten Wadis sich in reißende Flüsse verwandeln. In diesen wenigen Tagen muss das Wasser für das ganze Jahr gesammelt werden. Daher waren die Häuser und die Straßen in Shivta so angeordnet, dass jeder Tropfen Wasser in kleine Kanäle floss, die in zahlreichen Zisternen mündeten.

Die Nabatäer organisierten nicht nur das Netz der Handelsrouten der Weihrauchstraße, sondern sie hatten auch das Monopol für den Transport von Weihrauch, verschiedenen Gewürzen, Gold und Salz. Sie hüteten ihr Geheimnis woher der Weihrauch kommt. Das machte sie reich. Sie konnten es sich leisten, ihre Städte ganz aus Stein zu bauen. Weihrauch war nicht nur begehrt für den Opferkult und den Gottesdienst, sondern galt schon in der Zeit vor Christus als wichtiges Heilmittel.(Levitikus 2,2)

Weihrauchduft, der in den Himmel aufsteigt, soll die Götter oder Jahwe beruhigen und gnädig stimmen. Zugleich war und ist der nach oben aufsteigende Weihrauch ein sichtbares Zeichen für das Gebet, das zum Himmel empor steigt. Weihrauch macht die Verbindung zwischen Himmel und Erde sichtbar. (Offenbarung 5,8 und 8,3)

Hier in Shivta gibt es zwei ausgegrabene Kirchen. Man kann gut erkennen wie im Eingangsbereich der Kirche ein kreuzförmiges Taufbecken im Boden eingelassen war. Die Taufbewerber stiegen auf der einen Seite des Kreuzes über Stufen hinab in das Taufwasser, wurden untergetaucht und stiegen auf der anderen Seite wieder hinauf. Dort wurde ihnen das weiße Taufgewand angezogen, als Zeichen dafür, dass ihr neues Leben begann, dass sie Christus angezogen hatten.

Das Mittelschiff der Kirche war unterteilt in eine Frauen- und in eine Männerseite. Rings um die Wände waren steinerne Bänke zum Sitzen. Zum Gottesdienst selbst stand man oder legte sich flach auf den Boden als Zeichen der Verehrung. Wir setzen uns alle an diesem Morgen auf die ehemalige Männerseite, weil dort die Mauer etwas Schatten gibt.

Auf der Fahrt hierher haben wir, nach dem Beten der Laudes, einen Teil der Abrahamsgeschichte im Bus gelesen. Jetzt wir feiern, im Mauerschatten der byzantinischen Bischofskirche,  miteinander die Eucharistie.

Vom Abendessen im Kibbuz haben wir israelischen Rotwein mitgebracht und vom Frühstück frisches Fladenbrot. Wir haben in unserer Pilgergruppe nicht nur einen Diakon dabei, sondern auch Mesnerinnen, Kantorinnen und sogar Messdiener und dazu bei allen die große Bereitschaft, im Gotteslob die passenden Lieder auszusuchen, den Lektorendienst zu übernehmen und Gebete für den Gottesdienst zu formulieren und vorzubereiten.

Auf dem Boden liegt ein schlichtes, weißes Tuch, darauf Brot und Wein, die Gruppe auf der steinernen Bank oder auf dem Boden um die Gaben sitzend.

Eine aus der Gruppe liest den Text aus dem Buch Genesis vor, wie Hagar in die Wüste flieht. ( Genesis 16) Sarah hatte sie so hart behandelt, dass die schwangere Hagar nur noch davonlaufen wollte. Auf dem Weg durch die Wüste, auf dem Weg in den sicheren Tod, stellt sich ihr ein Engel Gottes in den Weg und fragt sie: Woher kommst du? Und wohin willst du?

Über diesen Satz kommen wir miteinander ins Gespräch.

Eine Pilgerin erzählt, dass diese Stadt an der Weihrauchstraße, sie daran erinnert, wie es ihr den Boden unter den Füßen weggezogen hat, als sie die Diagnose einer Krebserkrankung erhalten hat. Sie berichtet, wie sie in den ersten Tagen im Internet alles gelesen hat: über Therapien und Heilmittel - eben auch, über die Wirkung von Weihrauch.

Dieses „den Boden unter den Füßen zu verlieren“ hatte bei ihr ähnlich zu der Frage geführt: Woher kommst du? Und wohin willst du?

Jemand anders erzählt davon, wie es gewesen ist, als er zum ersten Mal seiner Familie, seine Freundin und zukünftige Frau vorgestellt hat. Er hat die eigene Familie damals neu wahrgenommen, durch die Augen der Freundin. Das hat für ihn eine Versöhnung gebracht und zugleich ein neues und besseres Maß an Nähe und Abstand, dass er verloren hatte. Die Liebe zu seiner Frau hat ihm geholfen, die Frage zu beantworten: Woher kommst du? Und wohin willst du?

Behutsam brechen wir das heilige Brot und jeder trinkt vom Blut Christi. Auch Jesus hat diese Frage beschäftigt: Woher komme ich? Und wohin möchte ich? Diejenigen, die sich auf seinen Weg einlassen und es zulassen, dass er sie fragt: Woher kommst du? Und wohin willst du? - gibt er als mögliche Antwort auf die zweite Frage: zum geöffneten Himmel. (Johannes 14,1-14)

Zum Segen stellen wir uns um das kreuzförmige Taufbecken. Beim Blick auf die Stufen, die in das Becken hinab führen, beten wir: Woher kommst du? Dann richten wir den Blick auf die Stufen, die aus dem Taufwasser heraufführen und beten: Und wohin willst du? Wir bitten Gott, dass er unsere Fragen und unsere Antworten segnen möge.

Mohammed hat die Zeit während unserer Besichtigung genutzt, um sich mit der Straßenkarte für dieses Gebiet vertraut zu machen. Er ist ein richtig guter Busfahrer mit einer großen Ruhe und Freundlichkeit. Wir steigen in den kühlen Bus ein und er steuert das nächste Ziel an, das wir im Negev besuchen wollen.

Ich lade Sie ein, das Lied „Maria Maienkönigin“ (Gotteslob 912) miteinander in Ihrer Pilgergruppe zu singen und gemeinsam über die Frage des Engels ins Gespräch zu kommen: Woher kommst du? Und wohin willst du?

Gemeinsam feiern wir Gottesdienst um 12:00 Uhr und um 18:00 Uhr zum Engel des Herrn.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Pilgertag.

In diesem Sinne: L'Shana Haba'ah B'Yerushalayim (לשנה הבאה בירושלים)

Ihr Pfarrer Dr. Ronald Ashley Givens