Nächstes Jahr in Jerusalem

Pilgerreise 39

Datum:
So. 3. Mai 2020
Von:
Pfarrer Ronald Givens

Virtuelle Pilgerreise 2020, 39 Hauptmann

Am See hatte der Alltag begonnen. Rufus und Kleophas blieben bei Magdalena. Sie hatte ein großes Anwesen und lebte von der Fischverarbeitung. Den Betrieb hatte sie von ihrem Vater übernommen. Für Rufus und Kleophas gab es hier genug Arbeit. Dazu hatte Magdalena vor ein paar Jahren noch eine Weberei eingerichtet, in der vor allem Witwen arbeiteten. Hatten diese keine Söhne, standen sie oft mittellos nach dem Tod des Mannes einer ungewissen Zukunft gegenüber. Durch ihre Handelskontakte hatte Magdalena genug Möglichkeiten, die Weberarbeiten zu verkaufen. Salome und Maria waren zu ihren jeweiligen Familien zurückgekehrt.

Sie trafen sich jedoch regelmäßig, denn sie alle wohnten um den See. Am Sabbat kamen sie in Migdal in der Synagoge zusammen. Jairus hatte den Vorschlag gemacht, dass die Freunde Jesu, sich im Anschluss an den Synagogen-Gottesdienst im Hof seines Hauses, das an die Synagoge angrenzte, zu einem gemeinsamen Essen trafen. So konnten Frauen und Männer beisammen sein. Zudem gab es auf diese Weise auch keinen Ärger mit den Pharisäern und Schriftgelehrten, die argwöhnisch die Gruppe derer, die einst mit Jesus losgezogen waren, beobachteten.

Auch der Hauptmann von Kafarnaum konnte so mit der Gruppe zusammenkommen, da er als Nichtjude die Synagoge nicht betreten durfte. (Lukas 7,1-10)

Dazu kamen noch ehemalige Jünger von Johannes dem Täufer. Nachdem dieser hingerichtet worden war, und sie ihn in Sichem beigesetzt hatten, löste sich ihr Kreis auf. (Matthäus 14,12) Johannes hatte sie zusammengehalten, aber nach seinem Tod war jeder seines Weges gegangen. Ohne Johannes kam niemand mehr an den Jordan, um sich taufen zu lassen.

Die Witwen aus dem Dorf hatten Magdalena und den anderen, die aus Jerusalem zurückgekehrt waren, das gleiche Schicksal prophezeit. Nach der Hinrichtung Jesu wird es nicht lange dauern, bis auch ihre Gruppe sich aufgelöst habe. Das hatte Magdalena zugesetzt, aber sie konnte nicht leugnen, dass die heimgekehrten Johannes-Jünger den mitunter schwarzsehenden Witwen Recht gaben.

Als sie am gestrigen Sabbat beim Essen nach dem Gottesdienst davon erzählte, hatte der Hauptmann um das Wort gebeten. Noch bevor die Gruppe an den See zurückgekehrt war, wusste er, dass der Rabbi, der seinen Diener geheilt hatte – Jesus - vom römischen Statthalter gekreuzigt worden war.

Ein guter Freund von ihm, der mit ihm im römischen Heer diente, war zu ihm an den See gekommen. Es war jener Hauptmann, der die Kreuzigung Jesu überwacht hatte.

Alles war wie immer gewesen. Der Hauptmann hatte gegenüber Pontius Pilatus die Verantwortung, dass die Hinrichtung nach der vorgeschriebenen Ordnung verlief. Er, der Hauptmann, war auf Golgota der Herr über Leben und Tod gewesen. Er hatte darüber gewacht, dass die Kleider der Verurteilten zum Lohn für die Soldaten wurden. Er hatte das Schild über dem Kreuz Jesu angebracht, wie Pilatus es befohlen hatte.

Als er die Hohepriester und die vielen Religiösen am Hinrichtungsplatz sah, hatte er seinen Männern befohlen, besonders wachsam zu sein. Bei der Hinrichtung eines religiösen Unruhestifters konnte es zu einem Tumult kommen. Aber nichts geschah. Niemand, auch nicht auf dem Weg zur Hinrichtung, hatte sich für diesen religiösen Spinner eingesetzt.

Sie waren unter Zeitdruck gewesen, daher hatte er befohlen, ihnen die Knochen zu brechen, damit sie schneller sterben.

Dann lief es aus dem Ruder. Dieser eine, dieser Rabbi, hatte alle Kraft zusammen genommen und gebetet - am Kreuz. Laut und mit fester Stimme hatte er eines der jüdischen Gebete gesprochen. Dann war er gestorben.

In diesem Augenblick hatte der Hauptmann gespürt, dass er hier nicht der Herr über Leben und Tod gewesen war. Auch im Sterben ging von diesem Verbrecher eine Kraft aus, die anders war, die er bei keiner Hinrichtung so gespürt hatte. Und es war, als hätte das auch die Natur gespürt. Es war dunkel geworden. Die Erde zitterte. (Matthäus 27,54)

Er hatte daraufhin bei Pilatus nachgefragt, woher dieser Unruhestifter gekommen sei. Pilatus hat ihm erzählt, dass ihn schon das Verhör nachdenklich gemacht habe, dass er diesen „König“ am liebsten losgeworden wäre und dass er wohl aus Kapernaum käme.

Vor ein paar Tagen war der Freund nun aus Jerusalem hierhergekommen. Er hatte ihm alles erzählt. Als er auch noch hörte, wie der Diener durch Jesus geheilt worden war, wie viel Gutes dieser Rabbi in Kapernaum und am See getan hatte, war er erschüttert.

Beide hatten sie viel erlebt und gesehen. Sie waren nicht zimperlich. Sie hatten getötet, wenn es von ihnen gefordert wurde. Leid gehörte zu ihrem Beruf. Das durfte sie nicht berühren.

Der Tod dieses Rabbis hatte das verändert. Als er von Golgota zurückritt, hatte er die Straßen Jerusalems anders gesehen. Zum ersten Mal sah er wieder das Leid anderer Menschen. Die Bettler, die Krüppel, die verhärmten Alten und Witwen. Es war, als habe dieser nackt am Kreuz Sterbende, ihn erkennen lassen, was der Mensch ist. Ecce Homo. (Johannes 19,5)

Aber er war nicht nur mit seinem Erlebnis von der Kreuzigung nach Kapernaum gekommen, sondern er hat auch erzählt, wie die Soldaten, die das Grab bewacht hatten, berichteten, dass der Tote das Grab verlassen und mit irgendwelchen Frauen gesprochen habe. Nichts konnte die Soldaten bewegen, noch einmal zu diesem Grab zurückzukehren.

Der Hauptmann von Kapernaum hatte gestern die Gruppe darum gebeten, dass auch sein Diener und eben jener Freund, am nächsten Sabbat auch dabei sein durften. Sie wollten mehr von diesem Mann wissen, über den sein Freund gesagt hatte: Er war Gottes Sohn.

Magdalena saß vor ihrem Webstuhl und hatte eine Idee. Sie begannen in das Tuch, an dem sie arbeitete, purpurne Fäden einzuweben. Sie wollte - für das gemeinsame Essen bei Jairus - ein Tuch schaffen, in das sie alle diese Berichte von der Auferstehung Jesu hineinweben würde.

Das was sie, Maria und Salome erlebt hatten, aber auch das, was der Hauptmann ihnen berichtete. Die kostbaren Purpurfäden sollten sie alle ermutigen, dass es anders war, als bei Johannes dem Täufer. Dieser lag in Sichem begraben. Aber Jesus lag nicht in Jerusalem begraben. Er würde zu ihnen an den See kommen. Bis dahin würden Jairus und sie die Freunde Jesu zusammenhalten. Dieses Tischtuch würde ihnen dabei helfen. Jeder würde seinen Faden sehen. Seine Geschichte mit Jesus.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag. Ich lade Sie ein, um 12:00 Uhr den Engel des Herrn zu beten. In der nächsten Woche wird nicht nur der Engel des Herrn auf dem Video vorgebetet, sondern es gibt im Monat Mai auch ein Marienlied zum Mitsingen. Um 18:00 Uhr beten wir dann gemeinsam die Komplet.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Pilgertag.

In diesem Sinne: L'Shana Haba'ah B'Yerushalayim (לשנה הבאה בירושלים)

Ihr Pfarrer Dr. Ronald Ashley Givens