Nächstes Jahr in Jerusalem

Pilgerreise 44

Datum:
Fr. 8. Mai 2020
Von:
Pfarrer Ronald Givens

Virtuelle Pilgerreise 2020, 44 Aschdod

Wir haben vom Negev Abschied genommen. Es war nicht so einfach, aber schließlich haben wir die Erlaubnis bekommen, dass wir uns im Land bewegen und die Unterkunft wechseln dürfen. In Deutschland gibt es die ersten Lockerungen und natürlich hoffen wir darauf, dass der Flughafen in Tel Aviv wieder öffnet. Bis dahin nutzen wir die Zeit für unsere Pilgerreise.

Unserem Busfahrer Mohammed ist es etwas mulmig zumute, weil wir auf der Nationalstraße 25 direkt auf den Gazastreifen zufahren. Überall begegnet uns Militär, auch auf der 34, die uns bis nach Aschkelon bringt.

Schlagartig verändert sich die Landschaft. Vor uns breitet sich das Mittelmeer aus. Die Ausgrabungen zwischen Aschkelon und Aschdod sind nicht spektakulär, aber die Geschichte, die sich im Buch Samuel dort ereignet hat, ist es schon. (1 Samuel 6,18)

Hier hatten die Israeliten und die Philister gegeneinander gekämpft. Es ging um die Vormacht im Land und um die Kontrolle der Handelswege entlang des Mittelmeeres,  die die gesamte Region mit Ägypten verbanden. Aber es war nicht nur eine Schlacht, sondern auch eine Tragik.

Israel war sesshaft geworden. Aus einem Glauben, der unterwegs war, der sich auf dem Weg bewähren musste, war ein Glaube geworden, der ein Haus aus Stein hatte und eine „Holzkiste“ - die Bundeslade - in der Gott tragbar gehalten wurde. Der Prophet Samuel war dafür ein lebendiges Bild. War er als junger Prophet durchs ganze Land gezogen, um Gott zu dienen und ihn zu verkünden, saß er jetzt den ganzen Tag auf dem Stuhl vor dem Heiligtum, schwerfällig und unbeweglich. Ein alter Mann, der nur noch darüber wachte, dass nichts verändert wurde.

Aber auch bei den Philistern war es nicht besser. Erst als sie endlich das bekamen, was sie wollten und wofür sie gekämpft hatten, merkten sie, dass nicht immer das, was man unbedingt will und wofür man kämpft, einem auch gut tut.

Kaum hatten sie die Bundeslade erbeutet, brach bei ihnen die Pest und eine Mäuseplage aus. Die Geschichte endete damit, dass sie aus Gold Pestbeulen  und kleine goldene Mäuse anfertigten. Nun konnten sie handgreiflich sehen, wie teuer es sie zu stehen kam, dass sie alle Energie darauf verwandt hatten, etwas zu bekommen, das sie nicht wirklich brauchten. Sie hatten ja ihren Glauben. Sie hatten ihre Städte. Sie hatten den Sieg, aber sie hatten noch nicht genug. Es musste auch noch das sein, was den anderen so wichtig war: Wie Kinder, die genau das Spielzeug haben müssen, dass jetzt der andere hat. Wie Geschwister, die überzeugt sind, dass sie diesen Teil des Erbes auch noch unbedingt brauchen.

Als wären Pest und Mäuseplage, Niederlage und Verlust der Bundeslade noch nicht genug. Das Drama hatte noch einen Höhepunkt. Die beiden Söhne von Samuel, die ihre Position missbraucht hatten, um sich zu bereichern, starben in dieser Schlacht bei Aschkelon. Als Samuel die Nachricht bekam, dass die Bundeslade verloren gegangen ist, fällt er vom Stuhl und bricht sich das Genick. Seine schwangere Schwiegertochter stirbt bei der Geburt des Sohnes. Sie nennt ihn: Ikabod, was übersetzt heißt: Fort ist die Herrlichkeit. (1 Samuel 4,1-22)

Im Bus, auf der Weiterfahrt entlang des Mittelmeeres in Richtung Jaffo, halten wir eine Andacht. Wir singen miteinander und beten die Psalmen. Drei Impulse dienen als Betrachtung für jeden selbst:

  • Enttäuschung ist mitunter wichtig. Samuel und Israel haben sich darin getäuscht, dass es genügt, Gott zu verwalten und zu bewahren. Ihre Erwartungen an Gott waren eine Täuschung. Sie haben die Vergangenheit verklärt und großzügig darüber hinweggesehen, wie viel Unrecht gerade im Umfeld des Heiligtums in Schilo begangen wurde - mit Wissen und mit Billigung von Eli durch seine Söhne. (1 Samuel 2,12-36) Der Glaube an Gott wird gereinigt durch Enttäuschung. Kyrie eleison.
  • Auch die Philister hatten sich getäuscht. Sie glaubten, es genüge die Bundeslade bei sich aufzustellen und schon wäre Gottes Segen da. (1 Samuel 5,1-12) Das ist so ähnlich, wie wenn man ein Kreuz oder ein Bild der Muttergottes in der Wohnung aufhängt, aber ansonsten sich keinen Deut darum schert, für welche Haltung das Kreuz oder Maria stehen. Christe eleison.
  • Die Geburt von Ikabod ist tragisch. Alle werden in ihrer Vorstellung der Geburt enttäuscht. Die Mutter gibt ihm einen Namen, der ihn befreit von dem Übergroßvater Eli. Sie löst ihn von der Familientradition und Erwartung. (1 Samuel 4,19-22) Ikabod steht auch für einen Neuanfang. Kyrie eleison.

Heute sind Sie eingeladen, über Enttäuschungen Ihres Lebens und Ihres Glaubens zu sprechen, die sich als not-wendend erwiesen haben.  Auch darüber, wie wichtig es ist, dass Enttäuschungen offengelegt werden. Auch unsere Kirche hat getäuscht und viele sind enttäuscht. Die Bibel verschweigt die Enttäuschungen nicht, weil sie die Voraussetzung für eine Neuorientierung sind.

Ich wünsche Ihnen darüber ein geistliches Gespräch in Ihrer Pilgergruppe und einen gesegneten Pilgertag.

In diesem Sinne: L'Shana Haba'ah B'Yerushalayim (לשנה הבאה בירושלים)

Ihr Pfarrer Dr. Ronald Ashley Givens