Nächstes Jahr in Jerusalem

Pilgerreise 45

Datum:
Sa. 9. Mai 2020
Von:
Pfarrer Ronald Givens

Virtuelle Pilgerreise 2020, 45 Jaffo

Es ist ein wenig mühsam, mit unserem großen Bus in die engen Altstadtgassen von Jaffo in einzufahren. Unser Fahrer Mohammed bleibt gelassen. Wir sind in dem christlichen Gästehaus Beit Immanuel untergekommen. Nachdem alle ihre Zimmer gefunden haben, treffen wir uns im kleinen Garten des Gästehauses, mitten in der Altstadt. Vom Mittelmeer her weht eine angenehme Brise. Wir riechen das Meer und den Hafen, hören die Möwen.

Bevor wir zu einem abendlichen Spaziergang durch die Gassen von Jaffo aufbrechen, ordnen wir dieses kleine Fischer-Dorf, in Sichtweite von Tel Aviv, in der Bibel ein.

Jaffo war in biblischer Zeit ein wichtiger Hafen. König David und König Salomo eroberten diese kleine Stadt, befestigten den Hafen, denn vor allem Salomo brauchte den Hafen für das große Bauprojekt, dass sein Vater ihm zum Erbe und Auftrag gemacht hat. Hier im Hafen von Jaffo kam das Holz an, das für den Tempel von Jerusalem gebraucht wurde. Der König von Tyrus lieferte das Zedernholz, aber auch die Zimmerleute und Handwerker, die für den Bau des Tempels benötigt wurden. (2 Chronik 2,15; Esra 3,7)

Jaffo war aber nicht nur der Hafen für das Baumaterial des Tempels von Jerusalem, sondern auch der Hafen für einen, der vor Gott geflohen ist: (Jona 1,3)

 „Soll er sich doch einen anderen suchen!“ Jona hat in aller Eile das Wichtigste, das er brauchte, in ein großes Tuch eingeschlagen, das Bündel verknotet und sich auf den Weg gemacht – in die entgegengesetzte Richtung. „Mach dich auf den Weg“, so hatte Gott zu ihm gesagt. Und Jona war auf dem Weg. Er lachte, als er am Hafen von Jaffo angekommen war. „Ich hab mich auf den Weg gemacht, aber in die entgegengesetzte Richtung.“ Sollte Gott doch selber nach Ninive gehen! Er, Jona, ging nicht. Er wollte frei sein - von Gott.

Mit dem Kapitän und der Mannschaft war es schnell einig geworden. Sie hatten sich gewundert, dass er keine der Kabinen, die oben lagen, für sich gewählt hatte, sondern ganz unten im Schiff. Sie schüttelten den Kopf, weil er die tiefste, die unterste Kabine gewählt hatte. Er hatte bezahlt, in Silbermünzen. Was kümmerte sie die Verrücktheiten dieses Ausländers?

„Hier unten höre ich ihn nicht. Soll er doch rufen! Wir wollen ja mal sehen, ob er lauter ist als der Wind, das Meer und die Wellen, ob er mich hier unten findet.“ Wieder lachte Jona. Er hatte ein Versteck vor Gott gefunden.

Unsanft wird Jona geweckt. Der Kapitän war tief  in das Innere des Schiffs, zur untersten Schlafstatt hinab gestiegen. Oben an Deck kämpfte seine Mannschaft verzweifelt gegen den Sturm. Die gesamte Ladung, alles was sie nicht brauchten, was drohte, das Schiff auf ein Riff zu drücken, hatten sie über Bord geworfen. Aber der Sturm war noch schlimmer geworden.

Jetzt waren alle oben an Deck versammelt. Sie hatten sich mit Tauen und Seilen an die Bordwand und den Mast gebunden, damit die peitschenden Wellen sie nicht ins Meer spülten. Jeder schrie zu seinem Gott. Seine Mannschaft kam aus ganz unterschiedlichen Orten und jeder brachte den eigenen Glauben, an die eigene Gottheit, mit. Einer dieser Götter musste doch helfen.

Aber einer fehlte: Dieser Fremdling, der in Jaffo an Bord gegangen war, der sich seit der Abfahrt tief unten im Schiff verkrochen hatte.

Als der Kapitän ihn am Kragen packte, konnte er es nicht fassen: Dieser merkwürdige Typ schlief doch tatsächlich - mitten in diesem Sturm! Er zerrte ihn nach oben. Er schrie gegen den Sturm und gegen die Wellen an: Welchen Gott verehrst du? Wie heißt dein Gott?

Widerwillig bekannte Jona: „Es ist Jahwe. Aber mit dem habe ich nichts mehr zu tun.“ Die Mannschaft erschrak, als sie das hörte. Wie konnte man mit seinem Gott brechen?

Der Kapitän schrie ihn an: “Was hast du getan?“ „Ich entziehe mich Gottes Wort. Ich laufe vor ihm davon. Lass mich mit Jahwe in Ruhe.“

Da befahl der Kapitän der ganzen Mannschaft, sie mögen zum Gott dieses Fremden, zu Jahwe, rufen. Aber auch das gemeinsame Rufen und Beten zu Jahwe besänftigte den Sturm nicht. Jona betete nicht mit.

Er hatte die Arme verschränkt und einen Entschluss gefasst: „Werft mich über Bord. Werft mich ins Meer. Dann werdet ihr verschont und Ruhe finden. Auch ich finde in der Tiefe des Meeres, im Tod, endlich meine Ruhe vor diesem Gott. Dort unten findet er mich nicht.“

Sie zögerten. Das war gegen jedes Recht. Der Gast - auch auf dem Meer - war heilig. Aber Jona bestand darauf und das Meer schrie. Da packten sie ihn, baten Jahwe, um Verzeihung für dieses Unrecht und warfen Jona in die schwarzen Wellen.

Es wurde still. Das Meer wurde glatt wie ein Spiegel. Der Kapitän und die Seeleute schauten sich ungläubig um. Die Sonne stand über einem unschuldigen Meer, dem man nicht ansah, wie es eben noch gewütet hatte. Voller Angst und Ehrfurcht sanken sie auf die Knie und dankten diesem Jahwe, der so mächtig war.

„So also war der Tod - ganz still. Eben hatte er noch die starken Hände der Seeleute gespürt, die ihn gepackt hatten. Jetzt war es still und warm. Merkwürdig.“ Jona betastete sich. Konnte man sich im Tod betasten? War er schon auf dem Grund des Meeres?

Da hörte er: „Jona“. Gott hatte ihn gefunden - sogar im Tod. Jona wunderte sich. So hatte ihn noch keiner nach ihm gesucht. So hatte ihn noch keiner geliebt. Gott ließ nicht ab von ihm. Damit hatte Jona nicht gerechnet. „Hier bin ich, Herr.“

Jeder von uns hat sein Gotteslob dabei und wir singen gemeinsam eines der Osterlieder. Die Möwen kreisen und schreien. Das Licht des Abends ist golden geworden. Die meisten aus der Gruppe haben auch eine Heilige Schrift dabei, sodass wir nun aus dem Buch Jona, gemeinsam das Gebet des Jona sprechen können. Jede und jeder aus der Gruppe betet für die anderen einen Vers vor. Inzwischen sind uns die unterschiedlichen Stimmen der Pilgergruppe sehr vertraut:

Jona 2:

2 Da betete Jona zum HERRN, seinem Gott, aus dem Inneren des Fisches heraus:

3 In meiner Not rief ich zum HERRN und er erhörte mich. Aus dem Leib der Unterwelt schrie ich um Hilfe und du hörtest meine Stimme.

4 Du hast mich in die Tiefe geworfen, in das Herz der Meere; mich umschlossen die Fluten, all deine Wellen und Wogen schlugen über mir zusammen.

5 Ich sagte: Ich bin verstoßen aus deiner Nähe. Wie kann ich jemals wiedersehen deinen heiligen Tempel?

6 Das Wasser reichte mir bis an die Kehle, die Urflut umschloss mich; Schilfgras umschlang meinen Kopf.

7 Bis zu den Wurzeln der Berge bin ich hinabgestiegen in das Land, dessen Riegel hinter mir geschlossen waren auf ewig. Doch du holtest mich lebendig aus dem Grab herauf, HERR, mein Gott.

Als meine Seele in mir verzagte, gedachte ich des HERRN und mein Gebet drang zu dir, zu deinem heiligen Tempel.

9 Die nichtige Götzen verehren, verlassen den, der ihnen Gutes tut.

10 Ich aber will dir opfern und laut dein Lob verkünden. Was ich gelobt habe, will ich erfüllen. Vom HERRN kommt die Rettung.

11 Da befahl der HERR dem Fisch und dieser spie den Jona an Land.

Nach dem Gebet des Jona halten wir eine kurze Stille und jede*r geht der Frage nach: Gab es in meinem Leben schon eine Situation, in der ich mit Gott nichts mehr zu tun haben wollte? Kann man mit Gott brechen?

Nach dieser Stille, in der jeder für sich selbst reflektiert hat, lege ich meine Gedanken dar:

Ich selbst kann mit Gott brechen. Ich spreche nicht von einem leichtfertigen Bruch, sondern davon, dass das Leben so erschüttert werden kann, dass der Glaube an Gott, wie bei einem Erdbeben in einer sich plötzlich auftuenden Erdspalte versinken kann. Er ist einfach weg.

Und er soll auch nicht zurückkommen. Weil damit auch die Erinnerung zurückkäme - das vergebliche Glauben und Hoffen auf Gott.

Aber Gott kann mit uns nicht brechen. Er ist, wie die Seeleute auf dem Schiff, an seine Liebe und Treue gebunden. Davon kann er sich nicht lösen, weil das das Wesen seines Gottseins ist. Darum sucht er uns. Gott kann nicht von uns lassen.

Das ist einer der Gründe für den Tod Jesu. Damit das Grab, damit der Tod kein Ort ist, an den die Liebe Gottes nicht vordringen kann, legt Gott Jesus wie ein trojanisches Pferd ins Grab. Plötzlich ist hinter dem Grabstein, Gottes Stimme zu hören und zu spüren. Gott schmuggelt sich im Tod ein, um uns zu finden.

Wir schließen mit dem Vater unser unsere Andacht ab und machen uns auf den Weg zum Hafen von yon Jaffo - dem Hafen des Propheten Jona.

Heute am Samstag, dem Sabbat, lade ich Sie ein, miteinander über die Flucht des Jona und über die Treue Gottes ins Gespräch zu kommen.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Pilgertag.

In diesem Sinne: L'Shana Haba'ah B'Yerushalayim (לשנה הבאה בירושלים)

Ihr Pfarrer Dr. Ronald Ashley Givens