Nächstes Jahr in Jerusalem

Pilgerreise 47

Datum:
Mo. 11. Mai 2020
Von:
Pfarrer Ronald Givens

Virtuelle Pilgerreise 2020, 47 Gilboa

Es dauerte mehrere Stunden bis Markus wieder aus Bet Shean zurückgekehrt war. Die Jünger hatten sich geweigert, ihn in diese Stadt zu begleiten. Es war eine durch und durch heidnische Stadt. Auch Jesus war hier nie eingekehrt, obwohl sie oft an Beit Shean vorbeikamen.

Aber weil es ein wichtiger Handelsknotenpunkt war, hoffte Markus darauf, dass er eine Händlerkarawane finden würde, um einen Brief an seine Mutter nach Jerusalem auf den Weg zu bringen. Von Samuel aus Sichem hatte er den Namen und die Adresse eines befreundeten Händlers erhalten, an den er sich hier wenden konnte.

Aber nicht nur weil diese Stadt heidnisch war, wollten die Jünger Markus nicht begleiten. Hier starb König Saul mit seinen Söhnen. Die Philister hingen seinen Leichnam an die Stadtmauern. Jedes Kind kannte das berühmte Klagelied, dass David über seinen Freund Jonatan angestimmt hatte, als er die Nachricht bekam, dass Jonatan in der Schlacht gefallen war (1 Samuel 28, 4; 2 Samuel 1).

Am Fuße des Har Gilboa gab es zahlreiche heiße Quellen und schattige Plätze. Diese natürlichen Wasserbecken dienten auch als religiöse Reinigungsbäder. So nutzten die Jünger die Zeit, um sich zu reinigen. Nicht nur vom Staub der Reise, sondern auch von möglichen Verunreinigungen durch die Begegnung mit Heiden auf dem Weg.

Markus brachte bei seiner Rückkehr auch Proviant für den weiteren Weg mit. Es würde noch zwei oder drei Tagesreisen dauern, dann wären sie wieder am See bei den anderen Jüngern und bei ihren Familien.

So sehr sich Petrus auf seine Familie freute und den Fischfang auf dem See, so unruhig und niedergeschlagen wurde er bei dem Gedanken, dass es dort am See auch zur Begegnung mit Jesus kommen sollte. Petrus schob den Gedanken an das Wiedersehen beiseite. Noch waren sie in Gilboa.

Markus hatte den Brief an seine Mutter auf den Weg gebracht und auch eine Überraschung dabei. Der Händler hatte von Samuel einen Brief von Lukas erhalten.

Markus hatte ihn auf dem Weg zu den Quellen schon gelesen. Jetzt erzählte er den Jüngern, was Lukas schrieb: „Er berichtet, dass er bei befreundeten Apothekern in Damaskus eine interessante Geschichte gehört habe. Sie haben ihm von einem Heilkundigen erzählt, der vor drei Jahrzehnten aus Jerusalem zurückgekehrt war. Mit zwei Freunden war er aufgebrochen, weil ein Sternbild ihnen die Geburt eines weisen Königs angezeigt hatte. Nach seiner Rückkehr erzählte er, dass dieser König nicht in Jerusalem geboren sei, sondern unter ärmlichsten Verhältnissen in einem Dorf bei Jerusalem, das Bethlehem oder so ähnlich hieß.“ (Matthäus 2,1-12)

Markus schaute die anderen an und sagte: „Nun will Lukas von mir wissen, ob ich davon schon einmal gehört habe, ob Maria, die Mutter Jesu, davon erzählt habe? Ich frage mich nur, warum Lukas so viel Interesse an der Geburt und Kindheit Jesu hat?“

Petrus kannte diese Geschichte. Jesus selbst hatte kaum etwas aus seiner Kindheit erzählt. Jetzt sagte Petrus: „Wenn wir nachts mit dem Boot zum Fischen auf dem See waren, dann wollte er von uns genau wissen, wie wir uns an den Sternen orientieren. Eines Nachts, als Jakobus ihm ein Sternbild erklärte, hat Jesus erzählt, dass er durch einen Stern schon am Anfang seines Lebens mit Nichtjuden in Berührung gekommen sei. Das war in der Nacht, nachdem der Hauptmann von Kafarnaum Jesus um Hilfe gebeten hat. Josef, sein Vater, habe seit dieser Begegnung mit den Fremden, anders über Nichtjuden gedacht und gesprochen. Das würde zu der Erzählung, die Lukas gehört hat, vielleicht passen.“

Markus dachte darüber nach. Dann sagte er: „Lukas schreibt auch in seinem Brief, dass wir anfangen sollen, die Worte und die Gebete zu sammeln und aufzuschreiben, die Jesus gesprochen habe. Das sei wichtig, damit sie nicht verloren gehen. Ich habe ihm von der Schriftrolle bei den Samariter, eine kurze Notiz zukommen lassen, damit er sieht, dass wir denselben Gedanken haben.“

Petrus schaute sich um, während sie Markus zuhörten und gemeinsam aßen. Hier in Gilboa war es wunderschön. Überall blühten Lilien. Es war grün. Es gab Bäume und viel Wasser. Er erinnerte sich an ein Wort Jesu:

„Wer von euch kann mit all seiner Sorge sein Leben auch nur um eine kleine Spanne verlängern? Und was sorgt ihr euch um eure Kleidung? Lernt von den Lilien des Feldes, wie sie wachsen: Sie arbeiten nicht und spinnen nicht. Doch ich sage euch: Selbst Salomo war in all seiner Pracht nicht gekleidet wie eine von ihnen. Wenn aber Gott schon das Gras so kleidet, das heute auf dem Feld steht und morgen in den Ofen geworfen wird, wie viel mehr dann euch, ihr Kleingläubigen!“ (Lukas 12,26-28)

Die anderen Jünger staunten, dass Petrus ihnen das auswendig aufsagen konnte. Petrus hatte es sich gemerkt, weil es für ihn ein Wort des Lebens war. Er war ein Mensch voller Sorgen. Es sorgt sich um seine Familie. Er sorgte sich um seinen Freund Jesu und Petrus hatte viel Angst, etwas falsch zu machen. Gerade weil er oft spontan aus dem Herzen heraus handelte, fürchtete er etwas falsch zu machen und die Menschen, die er liebte, zu enttäuschen. Manchmal wünschte er sich, er hätte etwas von dem tiefen Vertrauen, das sein Bruder Andreas in das Leben hatte. Aber das war ihm nicht in die Wiege gelegt, darum war ihm dieses Wort Jesu so wertvoll. Würde es ihm doch nur die Angst vor der Begegnung mit Jesus nehmen!

Markus und die anderen hörten Petrus zu. Schließlich sagte einer: „Beit Shean ist eine laute Stadt, aber hier außerhalb der Mauern, ist ein guter Ort. Hier hat David für seinen Freund Jonatan gebetet und ein Lied gesungen. Die Lilien, die hier blühen, haben bei Petrus ein Wort seines Freundes Jesus in Erinnerung gerufen. Wir haben uns im klaren Wasser der Quellen gereinigt und geheiligt. Der Brief unseres Freundes Lukas aus dem fernen Damaskus hat uns hier gefunden. Hier bei den Lilien des Königs Salomo hören wir durch den Brief, wie ein Heilkundiger von einem Stern dazu gebracht wurde, aufzubrechen und ein Kind zu suchen. Was für ein Ort!“

Der Morgen in unserem Pilgerhaus in Jaffo ist wunderschön. Das Haus wird von Juden, Muslimen und Christen gemeinsam bewirtschaftet. Sie haben uns in dem kleinen Garten Tische für das Frühstück aufgestellt. Es gibt frischen Orangensaft. Wir hören, wie draußen vor dem Tor die Altstadt erwacht.

Zum Sonnenaufgang waren wir am Hafen, um dort gemeinsam die Laudes zu beten. Mit der aufgehenden Sonne über dem Meer haben wir Osterlieder gesungen und an unsere Familien und Freunde gedacht, die weit hinter dem Horizont, auf der anderen Seite des Mittelmeeres, mit uns verbunden sind, weil das Gebet Jesu wie eine Luftbrücke ist. Auch wenn im Moment kein Flugzeug landen oder starten kann, das Vaterunser schafft eine tiefe Verbindung mit den Menschen, die wir vermissen.

Am heutigen Pilgertag lade ich Sie ein, eine Blume zu suche und diese den anderen Mitpilger*innen zu zeigen und davon zu erzählen: Was sind Ihre Sorgen und Ihre Ängste?  Welche Freundschaften helfen Ihnen, auf die eigenen Sorgen einen anderen Blick zu bekommen? Und ich lade Sie ein, miteinander das Wort Jesu, das Petrus hier zitiert, zu beten.

In diesem Sinne: L'Shana Haba'ah B'Yerushalayim (לשנה הבאה בירושלים)

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Pilgertag.

Ihr Pfarrer Dr. Ronald Ashley Givens