Nächstes Jahr in Jerusalem

Pilgerreise 50

Datum:
Do. 14. Mai 2020
Von:
Pfarrer Ronald Givens

Virtuelle Pilgerreise 2020, 50 Heimkehr

Er beobachtete wie das Schwarz ganz sachte von einem bläulichen Schimmer verdrängt wurde. Das zaghafte Licht trennte das Land vom Wasser. Es war wie am Schöpfungstag, als Himmel und Erde ins Leben gerufen worden sind. (Genesis 1,3-5) Zaghaft wurden die Umrisse des Sees und der Berge sichtbar. Wie liebte er diesen Flecken der Erde, der ihm Heimat und Freundschaft bedeutete.

Er saß am Eingang der Eremoshöhle. Die ganze Nacht hatte er im Gebet verbracht. Er hatte dem Vater gezeigt, wo die Frauen und Männer, die ihm Freunde und Familie waren, wohnten, und was sie ihm bedeuteten.

Es schien nur ein Wimpernschlag vergangen zu sein, als sie ebenfalls gemeinsam unter der Eiche von Mamre gesessen hatten. Zu Dritt waren sie eingekehrt. Abraham und Sara hatten sie bewirtet. Sara hatte gelacht. Oft hatte der Vater davon gesprochen, dass ein Geschöpf ihm durch ein Lachen widersprochen habe. (Genesis 18,1-15)

Jetzt war er allein. Die beiden waren vorausgegangen. Er würde ihnen folgen.

Für jeden einzelnen seiner Jünger hatte er in dieser Nacht gebetet. Es bereitete ihm keine Sorge, ihnen alles anzuvertrauen.

Er selbst würde reich beschenkt zurückkehren. Er hatte erfahren, was es bedeutete zu lieben, zu lachen und zu weinen, zu beten und zu vertrauen. Er hatte Freunde gesucht und gefunden, gelernt, wonach das Herz sich sehnt und wie kostbar es ist, den Weg des Lebens nicht alleine gehen zu müssen.

Er schaute nicht nur auf den See, sondern auch hinüber zum Berg Arbel. Er würde Josef wiedersehen. Er hätte ihm gerne schon früher gesagt, wie sehr er ihm Vater gewesen und wie stark der Vater in ihm und durch ihm und mit ihm in seinem Leben aufgeleuchtet ist. Trotz Maria und Josef war Nazareth schwierig gewesen. Auch diese Erfahrung würde er mitnehmen. (Lukas 2,39; Markus 6,1-6)

Die Sonne war inzwischen höher gestiegen und hinter den Bergen glühte es rötlich. Er beobachtete wie die Boote heimkehrten. Er wusste, dass sie in dieser Nacht nichts gefangen hatten. Er sah es  an ihrer Haltung, so langsam wie sie sich dem Ufer näherten.

Er lächelte, denn nun wusste er, wie er ihnen begegnen würde. Er hatte lange überlegt. Er ahnte, wie schwer ihr Herz war, weil sie die Nacht, in der sie geschlafen hatten und ihn allein ließen, mit sich trugen. Er kannte Petrus gut genug, um zu wissen, dass jeder Schrei eines Hahnes ihm Tränen in die Augen trieb. (Lukas 22,61-62)

Aber jetzt würde die Begegnung einfach sein.

„Fahrt hinaus und werft eure Netze auf der rechten Seite des Bootes aus.“ Wie oft hatten seine Jünger diesen Satz wiederholt, der ganz am Anfang ihrer Freundschaft gestanden hat. (Lukas 5,1-11)

Sie kamen barfuß über den Kies am Ufer. Auch Markus war dabei. Magdalena und die anderen Frauen hatten schon am Ufer gewartet. Sie waren alle da. In seinem Herz war nur noch unendliche Liebe für diese Frauen und Männer, die ihm alles waren, denen er alles anvertrauen würde. Wie sehr hatte er sich danach gesehnt, sie wieder zu sehen.

Er beobachtete Petrus. Natürlich, wie er es erwartet hatte, blieb Petrus zurück bei dem Netz am Ufer des Sees. Er blickte nicht auf, aber er wusste, dass sein Freund auf ein Wort wartete. Petrus erwartete das Gericht.

„Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich?“ Dieses Wort hatten sie beide gebraucht. „Herr, du weißt alles, du weißt auch, dass ich dich liebe.“ Auch dieses Wort hatten sie beide gebraucht. (Johannes 21,1-14)

Er wünschte sich, dass diese Frauen und Männer, die man seine Jünger nennt, diesen Morgen am See nie vergessen würden. Wann immer ein Bruder seinem Bruder, wann immer eine Schwester ihrer Schwester, wenn immer einer dem andern, etwas vorzuwerfen hat, dann wünscht er sich, dass sie sich an diesen Morgen erinnern würden.

Es war nicht seine Frage. Es war die Frage des Vaters: „Liebst du mich?“ „Du weißt, dass ich dich liebe.“ Danach war er aufgebrochen, hatte seine göttliche Macht in die Hand des Vaters gelegt und war Mensch geworden. Ein sterblicher Mensch, wie die, in deren Hand er alles legen würde, bevor er heimkehrt. Im Garten Gethsemane hatte er die Frage des Vaters in seinem Herzen noch einmal gespürt: „Liebst du mich?“ Unter Tränen hat er damals geantwortet: „Du weißt, dass ich dich liebe.“ Er hatte innegehalten und gegen seine Angst gesagt: „Nicht mein Wille geschehe, sondern dein Wille geschehe.“ (Lukas 22,42)

Wie hätte er Petrus, seinem Freund, eine andere Frage stellen können? Wie hätte Petrus anders antworten können? Damals, hier am See, als er ihn zum Menschenfischer machte, hatte er darauf vertraut, dass in diesem Petrus genau diese Antwort verborgen ist.

 „Liebst Du mich?“ - Wie wäre das, wenn dies die erste Frage wäre, die ihnen gestellt würde, wenn sie einmal vor Gott stehen? Sprechen Sie mit Ihrer Pilgergruppe darüber.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Pilgertag.

In diesem Sinne: L'Shana Haba'ah B'Yerushalayim (לשנה הבאה בירושלים)

Ihr Pfarrer Dr. Ronald Ashley Givens