Nächstes Jahr in Jerusalem

Pilgerreise 54

Datum:
Mo. 18. Mai 2020
Von:
Pfarrer Ronald Givens

Virtuelle Pilgerreise 2020, 54 Chorazim

Er berührte die Mesusa, als ihm die Tür geöffnet wurde, verneigte sich vor Miriam und wünschte ihr und der im Haus versammelten Familie: „Shalom“. Nur Miriam und die Kinder antworteten auf seinen Gruß ebenfalls mit dem Wunsch nach Frieden. Die Männer und die Alten schwiegen.

„Du bist hier nicht willkommen“ flüsterte Miriam.

Er hatte nichts mehr zu bieten. Als er unten am See noch Zöllner gewesen war, da hatten sie ihn ehrerbietig gegrüßt. Regelmäßig hatten sie ihm eine Amphore mit Olivenöl geschenkt oder ihm etwas gebracht von dem, was ihre Felder hergaben. Aber jetzt hatte er keinen Einfluss und bestimmte nicht mehr, welche Waren mit welchen Zöllen belegt wurden. Matthäus schmerzte das nicht. Ihm war bewusst, dass die meisten ihn nicht als Menschen wahrnahmen, sondern sein Amt gesehen hatten. Er empfand es als eine Befreiung und genoss es umso mehr, wenn jemand - wie Miriam - ihm trotzdem die Tür öffnete oder die Kinder ganz unbefangen Shalom riefen.

Er hatte die Nacht bei Petrus und seiner Familie zugebracht. Er hatte der Schwiegermutter des Petrus geholfen, verschiedene Schriftstücke auszufüllen, denn er war einer der wenigen, die schreiben konnten. Mara, so hieß sie, führte den Fischereibetrieb, in dem Petrus, Andreas und viele andere aus der Familie zusammenarbeiteten. Als Petrus und Andreas ihr zum ersten Mal von Jesus erzählten, wollte sie davon gar nichts wissen. Sie ärgerte sich schon jedes Mal, wenn Andreas wieder für ein paar Wochen verschwunden war, um bei Johannes dem Täufer zu sein oder sich für ein paar Tage in die Wüste zurückzog. Als auch noch Petrus damit anfing, sich mehr um seinen Glauben zu kümmern, wurde es ihr zu viel.

Aber auch bei Mara war es wie bei so vielen gewesen. Die persönliche Begegnung mit Jesus hatte alles verändert. Sie hatte damals seit ein paar Tagen Fieber und keines der Hausmittel hatte geholfen. Einen Arzt wollte sie nicht rufen lassen. Er hätte aus Tiberias mit dem Boot geholt werden müssen und hätte den Umsatz einer ganzen Woche gekostet. Petrus und Andreas hatten Jesus von ihr erzählt, als die drei gemeinsam beim Gottesdienst in der Synagoge von Kafarnaum waren. Anschließend hatte Jesus Mara bei der Hand genommen und seither war er im Haus des Petrus ein- und ausgegangen, war ein Teil der Familie geworden. (Matthäus 8,14-15)

Mara war es auch gewesen, die Matthäus abgeraten hatte, nach Chorazim zu gehen. Sie war eine Geschäftsfrau und sie wusste: Matthäus würde nur noch eine Hand voll Freunde haben und keine Tür würde sich ihm mehr öffnen, jetzt da er kein Amt mehr hatte. Er war dennoch gegangen. Er wollte Miriam treffen. Er hatte angefangen, die Menschen zu befragen, die Jesus erlebt hatten. Wie Markus und Lukas schrieb er auf, was sein eigenes Leben und das so vieler tief verändert hatte. Nach der Begegnung mit dem Auferstandenen war ihm das lebenswichtig geworden. (Matthäus 11,21)

Matthäus wollte nicht nur festhalten, wie von Mara das Fieber gewichen war oder wie Petrus berufen wurde, sondern er wollte auch festhalten und weiterschenken, was Jesus in den umliegenden Dörfern und Synagogen gepredigt hatte.

Gemeinsam mit Miriam und den Kindern war er zum Dorfplatz von Chorazim gegangen. Von hier oben hatte man einen wunderschönen Ausblick auf den See und er konnte auch seine ehemalige Zollstation von hier aus gut erkennen. Fast alle waren gekommen. Er brachte Abwechslung und selbstverständlich waren sie neugierig auf den ehemaligen Zöllner, der jetzt ein Jünger von diesem Jesus geworden war.

Wären nicht die vielen Kinder gewesen, die unter den Bäumen und zwischen den Menschen spielten, hätte Matthäus den Dorfplatz als trostlos beschrieben. Alle Häuser waren aus schwarzem Basalt errichtet - schwarz und grau.

Er erinnerte sich als sie mit Jesus hier gewesen waren. Jesus hatte lange in der Synagoge von Chorazim gelehrt. Anschließend hatte er zwei Aussätzige geheilt, die außerhalb des Dorfes in eine Hütte leben mussten. Nach ihrer Heilung zeigten sie sich bei den Ältesten der Synagoge, um wieder als gesund aufgenommen zu werden, aber niemand hatte ihrer Heilung beeindruckt. Außer Miriam gab es hier niemanden, der Jesus hören wollte. (Lukas 5,12-16)

Matthäus kam gar nicht dazu, von Jesus zu erzählen. Die frommen Frauen und die Ältesten verlachten ihn als den Anhänger eines Verbrechers. Für sie war dieser Jesus, als Aufwiegler und Feind des rechten Glaubens gekreuzigt worden. Matthäus sei ein Narr.

Miriam schaute Matthäus an und er verstand. Sie hatte ihn an das Wort Jesu erinnert, dass er damals, als er das Dorf verließ, gesprochen hatte: „Wenn man euch nicht hören will, dann schüttelt den Staub von euren Füßen, zum Zeugnis gegen sie.“ (Matthäus 10,14)

Matthäus ging zur Mikwe neben der Synagoge, legte seine Kleider ab und stieg hinab in das frische Quellwasser. Die Reinigung tat ihm gut. Er ließ nicht nur den Staub zurück, sondern auch die bösen Worte und Blicke, die bigotte Frömmigkeit. Mit jedem Untertauchen wurde sein Herz wieder frei. Miriam hatte ihm ein Tuch gebracht, sodass er sich abtrocknen konnte. Dann wünschten sie sich den Friedensgruß und er zog wieder hinab nach Kafarnaum.

Der Weg hierher war nicht vergeblich gewesen. Den Glauben an Jesus mit Miriam zu teilen, hat ihm gut getan. Dazu hatte er wichtige Worte von Jesus in sein Pergament schreiben können und eine Erfahrung gemacht, die er sich bewahren wollte: Er würde darauf achten, welche Menschen und welche Worte er in sein Leben hinein nahm. Die Reinigung in der Mikwe hat ihm eine neue Leichtigkeit geschenkt.

Es war ein wunderschöner Weg hinunter an den See. Überall blühten die Blumen, vor ihm lag der türkisblaue See, es ging ein angenehmer Wind. Spatzen und andere Vögel flogen zwischen den Büschen und Bäumen. Unten am See würden Menschen auf ihn warten, die wie er ein Jesus glaubten. Er dachte an Mara und Magdalena, an Petrus und Andreas, an Markus und Jairus, an den Hauptmann und seinen Diener, an den Gelähmten und seine Freunde, an so viele Menschen, für die sich der Himmel geöffnet hatte.

Sie müssen als Pilgergruppe heute nicht in eine Mikwe hinabsteigen, aber vielleicht nutzen Sie die Dusche am Morgen oder am Abend dazu, um sich zu reinigen von den Blicken, von den Enttäuschungen, von den Bigotterien der letzten Tage und Wochen. Das Herz frei machen, um unbeschwerter sehen zu können, die Vögel, die nicht säen und nicht ernten, die Schwestern und Brüder, die gemeinsam auf dem Weg sind.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Pilgertag.

In diesem Sinne: L'Shana Haba'ah B'Yerushalayim (לשנה הבאה בירושלים)

Ihr Pfarrer Dr. Ronald Ashley Givens