Nächstes Jahr in Jerusalem

Pilgerreise 55

Datum:
Di. 19. Mai 2020
Von:
Pfarrer Ronald Givens

Virtuelle Pilgerreise 2020, 55 Dalmanutha

Für zwei Nächte sind wir an den See Genezareth zurückgekehrt. An Christi Himmelfahrt endet unsere Pilgerreise und wir können nach Hause zurückkehren. Als wir die Nachricht vom Heilig-Land-Verein erhalten haben, waren die Gefühle gemischt. Auf der einen Seite hat es gut getan, so lange in Israel und Palästina unterwegs zu sein, auf der anderen Seite wird es jetzt auch Zeit wieder nach Deutschland zurückzukehren. Umso schöner ist es, die letzten Tage im Pilgerhaus in Tabgha verbringen zu können. Mohammed, unser Busfahrer, ist zu seiner Familie nach Jerusalem zurückgekehrt. Er wird uns in der Nacht auf Christi Himmelfahrt abholen und zum Flughafen nach Tel Aviv bringen. Der Rückflug wird morgens um 4:00 Uhr sein.

Ohne Reisebus werden die Wege kürzer, was hier am See aber kein Problem ist. Am Nachmittag sind wir in Tabgha angekommen. Vor dem Abendessen wollen wir noch in Dalmanutha gemeinsam Gottesdienst feiern. Der Weg hinüber zum Kloster führt durch eine Plantage mit Mangobäumen, vorbei an einer Blütenpracht links und rechts vom Weg.

Der Gottesdienstplatz besteht aus Holzstämmen, die halbkreisförmig angeordnet sind. Am Ufer des Sees steht ein einfaches Kreuz. Wir sitzen auf den Baumstämmen und schauen auf den See. Es ist wie ein Panoramabild.  Ganz in der Ferne sind bläulich, die Berge zu sehen. Davor dehnt sich der See aus. Hier und da sieht man Fischerboote oder auch sogenannte Pilgerboote das Bild durchqueren. Am Ufer gibt es Schilf und grüne Büsche, in denen Vögel aufgeregt hin und her fliegen. Mitten in diesem Bild steht das einfache Kreuz.

In Kleingruppen sprechen wir über diesen Ausblick-  über diesen Blick auf den See und das Kreuz.

Jede Gruppe trägt die wichtigsten Sätze aus ihrem Glaubensgespräch für die anderen vor:

Gruppe I:

Will man die Schönheit der Natur, die Harmonie der Farben, das beruhigende Wasser auf sich wirken lassen, so stört das Kreuz. Es durchkreuzt im wahrsten Sinn des Wortes den Blick, der sich in Landschaft und Natur verliert.

Meine engen Grenzen, meine kurze Sicht, bringe ich vor dich.

Wandle sei in Weite; Herr, erbarme dich.

Wandle sie in Weite; Herr, erbarme dich.

Gruppe II:

Für uns ist es ein Auferstehungsbild. Hinter dem Kreuz wird es weit. Der Blick läuft auf das Kreuz zu und bleibt dort stehen. Dann aber ist es gut, die Weite und die Schönheit, die sich hinter diesem Haltepunkt öffnet, wahrzunehmen. Es ist ein sehr realistisches Auferstehungsbild. Keiner von uns hat ein Leben ohne Kreuzmomente, sei es die eigenen oder die von geliebten Menschen. Es ist ein Trost, dass Jesus und die Jünger das auch hatten.

Meine ganze Ohnmacht, was mich beugt und lähmt,

bringe ich vor dich.

Wandle sie in Stärke; Herr, erbarme dich.

Wandle sie in Stärke; Herr, erbarme dich.

Gruppe III:

Jesus hat hier an dieser Stelle am See seine Jünger ausruhen lassen. Das Kreuz ist für uns ein Ruhezeichen. Ein ganzes Leben lang müssen wir kämpfen, sorgen, immer wieder aufstehen und uns selbst oder die Menschen, die uns anvertraut sind, bei der Hand nehmen und das Leben bestehen. Wenigstens im Tod müssen wir nichts mehr leisten. Dann werden wir bei der Hand genommen. Wir werden getragen. Von denen, die uns lieben, werden wir zu Grabe getragen. Das ist auch ein Dankeszeichen dafür, dass wir sie getragen und manchmal auch ertragen haben.

Das Kreuz sagt aber auch, dass wir nicht nur zu Grabe getragen werden, sondern dass wir von dem, der uns liebt, von Christus, ins Leben getragen werden - in sein Leben. Für ihn sind wir nicht unerträglich, sondern die Freunde, mit denen er das Leben teilen will.

Meine tiefe Sehnsucht nach Geborgenheit, bringe ich vor dich.

Wandle sie in Heimat; Herr, erbarme dich.

Wandle sie in Heimat; Herr, erbarme dich.

Eigentlich wollten wir am See die Eucharistie feiern. Nachdem wir gehört haben, dass dies zu Hause im Moment nicht möglich ist, verzichten wir auch darauf. Aber wir haben frisches Brot dabei, das wir am Morgen in einem der Drusendörfer auf dem Karmel gekauft haben, bevor wir an den See gefahren sind. Jetzt brechen wir dieses Brot, das nicht gewandelt ist, und essen es gemeinsam mit Blick über das Kreuz auf den See. Einer aus der Gruppe formuliert es: Ich wünsche mir, dass die durchkreuzte Feier der Eucharistie nicht zu der Angst führt, dass wir uns als Gemeinde verlieren oder daran gewöhnen, dass es im Moment keine Eucharistie gibt. Ich vertraue darauf, dass es Jesus selbst ist, der uns in diese Situation gebracht hat, um uns etwas zu zeigen und zu lehren. (Markus 6,30-44)

Hier in Dalmanutha sind die Jünger mit Jesus losgefahren und haben unterwegs gemerkt, dass sie kein Brot dabei haben. Vor lauter Sorge, um das Brot und woher sie es jetzt bekommen sollen, haben sie Jesus nicht richtig zugehört und ihn nicht verstanden. (Markus 8,10.14-21; Matthäus 15,32-39)

Ich habe große Zuversicht, dass uns die Eucharistie, das gewandelte Brot, nach dieser Zeit in einer besonderen Weise stärken wird. Noch sehen wir nur das Kreuz, das was uns fehlt und noch nicht die Weite dahinter. Aber hier in Dalmanutha vertraue ich darauf, dass es die Weite gibt und dass es den gibt, der hier an diesem Ort, mit Brot viele Wunder gewirkt hat.

Mein verlornes Zutraun, meine Ängstlichkeit, bringe ich vor dich.

Wandle sie in Wärme; Herr, erbarme dich.

Wandle sie in Wärme; Herr, erbarme dich. (Gotteslob 437)

Vielleicht waren sie ja schon einmal in Dalmanutha und haben dort Gottesdienst gefeiert. Dann kennen sie ganz gut den Blick über das Kreuz auf den See. Ansonsten hilft ihnen sicher ihre Fantasie, um es sich vorzustellen. Kommen Sie heute als Pilgergruppe miteinander ins Gespräch, was dieser Blick für sie bedeutet.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Pilgertag

In diesem Sinne: L'Shana Haba'ah B'Yerushalayim (לשנה הבאה בירושלים)

Ihr Pfarrer Dr. Ronald Ashley Givens