Pfingstfest

Geistliche

Datum:
So. 31. Mai 2020
Von:
Pfarrer Ronald Givens

Liebe Schwestern und Brüder,

 

wenn es um mich selber geht, dann bin ich jemand, der nicht redet. Ich verschließe mein Herz und schiebe meine Gedanken innerlich hin und her. Gerade nachts führe ich dann lange innere Dialoge zwischen den widerstreitenden Ansichten und Empfindungen in mir. Ich weiß selbst, dass das nicht gut ist. Am Montag hat, inmitten einer dieser verschlossenen Phasen, ein Freund angerufen und dabei auch von seinen Sorgen gesprochen. Das hat bei mir die Tür geöffnet, und ich konnte mit ihm über das sprechen, was mich belastet, was meine Sorge ist.

Die Erzählung von Pfingsten beginnt damit, dass die Jünger in einem geschlossenen Raum unter sich sind. Das hat durchaus seine Vorteile. Es sitzen nur Gleichgesinnte beisammen, und sie bestärken sich gegenseitig in ihren Ansichten und, im Fall der Jünger, wohl auch in ihrer Angst. Das Ganze wird dadurch anschaulich unterstrichen, indem es heißt, Türen und  Fenster seien geschlossen. Eben eine geschlossene Gesellschaft, ein Freundeskreis, ein Verein und nicht selten auch unsere Kirche. Da sitzen diejenigen zusammen, die in eine Richtung schauen und denken. Wie sehr muss Jesus diese Frauen und Männer aus Galiläa lieben, dass er nach seiner Auferstehung nicht kopfschüttelnd an dem verschlossenen und verbarrikadierten Haus vorbeigeht, sondern alle Schutzmechanismen seiner Jünger überwindet und sich in ihre Mitte stellt.

Wenn wir einen Menschen lieben, dann finden wir uns nicht damit ab, dass er oder sie niemanden mehr an sich heranlässt oder in eigene Welten abtaucht. Ist unser Herz mit einem anderen Herzen verbunden, so leiden wir mit, suchen Wege, um den anderen zu bewegen, sich dem Leben, anderen Argumenten, einer veränderten Sichtweise zu öffnen. Die Liebe glaubt alles, hofft alles, hält allem stand. Unsere Liebe wird erfinderisch, wenn es darum geht, die, die wir lieben,  aus ihrer Sackgasse herauszuführen.

Wie muss die Luft in dem geschlossenen Raum, mitten in Jerusalem stickig gewesen sein. Eine Luft verpestet von Angst, von Gedanken, die um sich selbst kreisen. Eine Luft, die in keinem Austausch mit der Außenwelt mehr gestanden ist. Und was macht Jesus? Er haucht sie an. Er bringt die Luft in dem geschlossenen Raum in Bewegung. Das wird umso deutlicher, wenn es heißt, dass nicht nur in dem Raum etwas in Bewegung gekommen ist, sondern auch draußen der Sturm losbricht.

In dieser Osterzeit konnten wir alle zu Geistlichen werden. Ohne die gottesdienstliche Zusammenkunft am Sonntag stand Jesus plötzlich in der Mitte unseres Herzens und hat uns gefragt: Reichen dir deine eigenen Gedanken, dein eigener Horizont, dein eigenes Ich? Geistliche sind wir geworden, wenn wir im Internet, vor dem Fernseher, beim Läuten der Glocken uns von den neuen Formen haben anhauchen lassen und so verhinderten, dass unser Glaube stickig wird. Gott hat unser mitunter sehr verkrustetes Glaubensleben mit seinem Geist angehaucht, indem er uns die Kirchen verbarrikadiert hat, damit wir anfangen, ihn in unserem Herzen, in unseren Familien, in ganz neuen Formaten, in der Tafel, in der Nachbarschaftshilfe zu suchen, zu feiern und einander zu vermitteln. In dieser Osterzeit gab es viele „Priesterweihen“, weil nicht wenige von uns zum ersten Mal in ihrem Leben gespürt haben, dass sie befähigt sind, vorzubeten, einen Hausgottesdienst zu feiern, jemanden zu segnen oder ein Glaubensgespräch zu führen.

 

Hoffentlich hat jede und jeder von uns Ausschau gehalten, wo wird die Luft bei den Menschen, die ich liebe, die mir am Herzen liegen oder für die ich Verantwortung trage, stickig, weil kein Austausch mehr stattfindet. Man kann auch Gottesdienst feiern, indem man telefoniert, einen Brief schreibt, für den anderen betet oder auch mutig die Dinge anspricht, die das Leben zu ersticken drohen.

 

Ich wünsche uns, dass wir an Pfingsten unsere Lungen bis zum Anschlag mit österlicher Luft anfüllen, damit wir in den kommenden Wochen des Alltags einen langen Atem haben, um dem Leben zu dienen, den Glauben vielfältig zu feiern und einen Geist in die Welt hineintragen, der von Gerechtigkeit, von Nächstenliebe und von Wahrhaftigkeit angehaucht ist.

 

Ich wünsche uns allen ein gesegnetes Pfingstfest

 

Ihr Pfarrer Dr. Ronald Ashley Givens

 

Joh 20: Am Abend des ersten Tages der Woche, als die Jünger aus Furcht vor den Juden bei verschlossenen Türen beisammen waren, kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch! Nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite. Da freuten sich die Jünger, als sie den Herrn sahen.

Apg 2: Als der Tag des Pfingstfestes gekommen war, waren alle zusammen am selben Ort. Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten;
auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder.