Pilgerreise 2016: Jordantal und Jerchio

Datum:
Di. 25. Okt. 2016
Von:
Ronald Givens
Auf dem Berg der Versuchung über Jerchio blicken und Freunde finden
Mit der Kabelbahn geht es in ein paar Minuten hinauf auf den Berg der Versuchung. Oben kann man über die Wüstenoase Jerchio, den Jordangraben und den Rand des Toten Meeres hinwegschauen.
Nachdem Jesus vierzig Tage und Nächte in der Wüste gefastet hat, führt ihn der Teufel hinauf einen Berg und zeigt ihm die Reiche der Welt. Wenn du mich anbetest, so flüstert der Versucher, dann gehört das alles dir.
 
Gegenüber auf der anderen Seite des Jordan, im heutigen Jordanien, schaut man auch auf Berge. Auch dort gibt es einen, der in der Bibel eine Rolle spielt: der Berg Nebo. Mose soll hier nach vierzig Jahren Wüstenzeit gestanden haben. Hinüberschauen durfte er, auf das versprochene Land, gelobtes Land, aber nicht hinüberziehen, auf die andere Seite des Jordan. Dahin wo jetzt Jesus steht und sich entscheiden muss: alles für mich, oder alles loslassen.
 
Mose lässt los. Ermöglicht so einen Neuanfang für sein Volk. Bis hierher hat er geführt, hat er gegeben, jetzt muss es reichen, das Volk muss eigene Wege gehen.
 
Auch Jesus wird loslassen. Endgültig auf einem Hügel: Golgotha. Sein Leben wird er loslassen, in die Hand des Vaters legen. Auf dem Berg der Versuchung übt er das ein, das Loslassen. Er vertraut darauf, dass er nicht zu kurz kommt, wenn er nicht alle Welt besitzt, sondern arm bleibt. Ein Wanderrabbi, der keinen Ort hat, wohin er sein Haupt legen kann.
Aber Freunde wird er haben. Die auch dann noch da sind, wenn alle Welt ihn verlässt. Drei davon haben wir oben auf dem Berg der Versuchung gesehen: steigt man von der Endstation der Kabelbahn noch höher hinauf, gelangt man in ein orthodoxes Kloster, das in der Felswand klebt. 
 
Der Schlüssel lag auf der Schwelle zum Kloster, das Tor war offen und wir konnten eintreten. Vorbei an den Mönchszellen, über Treppen und um Ecken, entlang am nackten Felsen und kerzengeschwärzten Grotten, kamen wir hoch oben in eine winzige Kapelle. Durch die Fenster sah man hinab auf Jerchio und eine tiefe Felsschlucht. In der Kuppel Chistus Pantokrator, der Weltenrichter. An den Wänden zarte Ikonenmalerei im Stil der Novgoroder Ikonen aus dem alten Russland. 
 
In einer Ecke waren sie: die drei Frauen, auf die Wand gemalt, mit den Salbgefässen in Händen. Jesus hat losgelassen. Aber sie verlassen ihn auch jetzt nicht. Sie kommen um ihn zu salben. Um gutzumachen, was er am Tag davor an Schmach und Schande in den Leib geschrieben bekam, durch Nägel, durch Schläge, durch Dornenkrone, durch Hohn und Spott. Die Welt, die der Versucher ihm anbot, hat ihn verlacht und ins Grab gebracht. Die Frauen, die er nicht Durch seinen weltlichen Besitz beeindruckt hat, sondern durch sein Gottvertrauen, sind jetzt da, um ihm Würde zu geben, um ihm Ehre zu geben. 
 
Lange habe ich sie mir angeschaut und mir gewünscht auch so unbeirrbar treu zu sein. Gerade dort, wo einer nichts mehr geben kann, nichts mehr zu bieten hat. Darüber nachgedacht, was es heißt loszulassen und darauf zu vertrauen, dass ich nicht zu kurz komme. So wie Mose losgelassen hat, so wie Jesus losgelassen hat.
 
Es war gut heute auf den Bergen zu sein. Im Jordantal, am Toten Meer und in Jerchio.