Predigt 02. August 2020

Gerungen

Datum:
So. 2. Aug. 2020
Von:
Pfarrer Ronald Givens

 

In jener Zeit, als Jesus hörte, dass Johannes enthauptet worden war, zog er sich allein von dort mit dem Boot in eine einsame Gegend zurück. Aber die Volksscharen hörten davon und folgten ihm zu Fuß aus den Städten nach. Als er ausstieg, sah er die vielen Menschen und hatte Mitleid mit ihnen und heilte ihre Kranken.

 

Als es Abend wurde, kamen die Jünger zu ihm und sagten: Der Ort ist abgelegen und es ist schon spät geworden. Schick die Leute weg, damit sie in die Dörfer gehen und sich etwas zu essen kaufen! Jesus aber antwortete: Sie brauchen nicht wegzugehen. Gebt ihr ihnen zu essen! Sie sagten zu ihm: Wir haben nur fünf Brote und zwei Fische hier. Er antwortete: Bringt sie mir her! Dann ordnete er an, die Leute sollten sich ins Gras setzen. Und er nahm die fünf Brote und die zwei Fische, blickte zum Himmel auf, sprach den Lobpreis, brach die Brote und gab sie den Jüngern; die Jünger aber gaben sie den Leuten und alle aßen und wurden satt.

 

Predigt 02. August 2020

 

Liebe Schwestern und Brüder,

 

im Moment sitzen wir in unseren Kirchen auf weitem Abstand. Wir sitzen getrennt.

Jesus trennt sich im heutigen Evangelium ganz bewusst von allen. Von den Menschen, aber auch von seinen Freunden und Jüngern. Er allein nimmt das Boot und fährt über die Stille des Sees in eine einsame Gegend. Er will allein sein.

Johannes, sein Cousin, der ihn getauft hat, der wie er, von Gott berufen ist,  wurde ermordet. Jesus sucht daraufhin die Stille und die Einsamkeit.

Nicht immer ist Nähe und Gemeinschaft gut. Mitunter bedrängt sie. Überfordert das eigene Denken, macht noch ungeborgener. Zudem gehört zur Wahrheit des Menschsein, dass wir trotz Nähe und Familie, auch allein sind. Es gibt Lebensentscheidungen und Lebensabschnitte, da bleibt der andere außen vor, weil wir allein entscheiden müssen und die Schritte dann auch gehen müssen. Überdeutlich wird das, auf dem Sterbeweg. Ich sterbe jetzt, nicht die, die mich begleiten. Das offenbart Distanz.

Während Jesus mit dem Boot über das Wasser fährt, die Weite des Sees erlebt, die Stille, wird er sich gefragt haben, wird es mir ergehen wie Johannes? Möchte ich meinen Weg so radikal weitergehen, dass ich am Ende womöglich so grausam mein Leben verliere?

Wann immer wir ein Pflegeheim betreten, wann immer wir von einem Schicksal hören, wann immer wir an einem Krankenbett stehen, stellt sich uns die Frage, die Jesus auf dem See bewegt haben dürfte: werde ich die Kraft haben für eine solche Situation? Werde ich, möchte ich, das aushalten?

Der wunderschöne See Genezareth, sein blaues Wasser, der strahlende Himmel, die Bergsilhouette in der Ferne, die Möwen und die Fische, ist nicht zu vergleichen mit der Nacht im Garten Gethsemane. Es ist dennoch dieselbe Versuchung: Was gehen mich die Menschen an? Ich habe doch nur dieses Leben. Warum nicht die Segel setzen und davon fahren. Über den See, weg von den Menschen. Weg von der Verantwortung, weg von diesem Gott, der ihm und Johannes so viel zumutet.

Es ist die Versuchung des verschlossenen Herzens. Mein Leben. Mein Glück. Das was ich habe, reicht sowieso nicht für alle. Ich kann die Welt nicht verändern, wozu also?

Jesus braucht den Abstand zu allen, um die Augen seines Herzens wieder zu reinigen. Nicht Herodes, nicht der Tod, nicht das Böse ist der Horizont seines Lebens, sondern die, die nicht aufgeben an den offenen Himmel zu glauben und ihn zu sehen, so wie damals am Jordan bei seiner Taufe.

Nicht der Verlust, nicht die zu kleine Kraft, nicht die Angst ist der Motor seines Lebens, sondern der Glaube daran, dass eine geöffnete Hand, ein gutes Wort, ein offenes Ohr das Leben reich machen.

Als Jesus am Ende dieser stillen Zeit, wieder den Menschen begegnet, ihrer Sorgen und ihrer Not, ist sein Herz offen geblieben. Er sieht sie und er sieht was sie brauchen. Niemals wird er alle trösten können, niemals wird er alle heilen können, niemals werden ihn alle berühren können, und doch fängt er an, bis zum Abend, soweit seine und ihre Kraft an diesem Tag reicht.

Das Schicksal von Johannes dem Täufer hat Jesus erschüttert und in ihm die natürliche und menschliche Frage wach gerufen, wie viel Kraft habe ich? Kann ich und möchte ich so leben? Habe ich davor Angst und überfordert es mich?

Das Alleinsein, die Stille, der Abstand zu den anderen hat ihm geholfen, dass die Angst sein Herz nicht verschlossen hat. Als er wieder am Ufer des Sees ankommt, ist sein Herz berührbar und offen geblieben.

Jesus allein in dem Boot, auf dem See. Matthäus hat diese kleine Szene vor dem großen Wunder der Brotvermehrung festgehalten, weil er, der ehemalige Zöllner wohl darum wusste, dass es immer wieder Kraft braucht, um das Herz offen zu halten. Es ist ein immer neues Ringen dabei zu bleiben, dass ich und meine Kraft, mein Mut, mein Glaube, meine Radikalität tatsächlich wichtig sind für diese Welt.

Abstand und Stille sind Versuchung und Segen. Du aber wähle den Segen. Amen.