Predigt 15.11.2020

Schlag

Datum:
So. 15. Nov. 2020
Von:
Pfarrer Ronald Givens

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn,

 

zur Zeit lese ich den neuen Krimi von Charlotte Link. Er beginnt damit, dass eine junge Lehrerin morgens mit ihrem Fahrrad unterwegs ist. Sie ist sportlich, genießt die Bewegung und die Natur. Ihre vertraute Strecke führt sie einen Waldweg hinab. Zu spät erkennt sie, dass jemand ein Drahtseil über ihren Weg gespannt hat. Sie stürzt, ohne schützenden Helm und wacht völlig gelähmt in der Intensivstation aus. Als wäre das nicht genug, erleidet sie auch noch einen schweren Schlaganfall.

Wer selbst einen Schlaganfall hatte oder bei Familienangehörigen oder Freunden es miterlebt hat, der weiß darum wie schwer die Erfahrung ist, dass all die Bewegungen, die uns so selbstverständlich sind, mit einem Schlag nicht mehr gelingen, weil die Verbindung zwischen dem Gehirn und den Muskeln gestört ist. Mit einem Mal können Worte und Sätze nicht gebildet, nicht geformt, nicht gesprochen werden. Alles wird zum Kraft und Willensakt, der mitunter völlig vergeblich ist.

Der Apostel Paulus hat seine Gemeinde oder Kirche mit einem Leib verglichen. Christus ist das Haupt und wir alle sind die Glieder. Da gibt es kein Organ, kein Körperteil das unwichtig wäre, alle braucht es. Es ist ein Zusammenspiel, das ins Stocken gerät, wenn ein Körperteil fehlt oder beschädigt ist. Es muss uns nur eine Sehne reißen oder wir schneiden uns tief in den Finger oder brechen eines unserer Gelenke, schon erfahren wir, wie unsere Alltäglichkeit beeinträchtigt ist, wie viele Probleme entstehen, weil ein Teil von beeinträchtigt ist.

Als der Arzt an das Bett der jungen Lehrerin tritt, um ihr zu erzählen was passiert ist und wie ihr Leben zukünftig aussehen wird, da kann sie noch nicht einmal mit den Augenliedern blinzeln, um ihm zu signalisieren, dass sie ihn versteht. Ihr Körper gehorcht ihr nicht mehr, ihr Gehirn kann weder ihre Sprache noch ihren Körper steuern.

Christus verwendet ein anderes Bild als Paulus. Er spricht vom Weinstock. Wir sind daran die Reben. Wir bringen Frucht, wir bringen Leben, solange wir mit dem Weinstock, mit Christus verbunden sind.

Auch wenn im heutigen Gleichnis der Herr, der die Talente, sein Vermögen verteilt hat, weit weg ist, lange ausbleibt, so halten zwei von Dienern mit ihm Verbindung. Nicht dass sie ihn  sehen oder sprechen. Es gibt auch keinen Brief, aber sie handeln so, als wäre er da, als könnten sie ihn fragen. Ihr Herz und ihr Verstand halten einen unsichtbare Verbindung. Sie handeln so, dass er am Ende sagen kann: ja das war gut, das wollen wir feiern, unsere Verbindung hat gehalten, du hast verstanden was ich in dir gesehen und zugetraut habe.

Beim dritten Diener reisst diese Verbindung. Seine Bedenken, seine Angst, sein Bild von seinem Herrn lassen nicht mehr zu, dass er den Impuls, den Auftrag umsetzt.

Sei gut Mensch! lautet das Motto der Caritas in diesem Jahr. Das Wort Gutmensch ist in Verruf geraten. Es wird mitunter benutzt, um Menschen verächtlich zu machen, die in den Augen anderer zu unreflektiert helfen, Gutes tun und dabei zu sehr dem Impuls des Herzens folgen.

Die junge Lehrerin sehnt sich danach, dass sie ihr Bein wieder heben kann, dass sie schreien oder lachen kann. Sie leidet weil die Verbindung zwischen ihrem Haupt und ihren Gliedern gerissen ist. Sei gut Mensch! Gutmenschen wissen wie kostbar es ist, dass es eine Verbindung gibt zwischen dem Rebstock und den Zweigen. Gutmenschen lassen nicht zu, dass der Impuls zum Guten durch tausend Bedenken und Einwände gebremst und gelähmt wird.

„Sofort“, heißt es von den beiden Dienern, beginnen sie zu handeln. Wenn wir hören, dass unser Herz uns sagt: Sei gut Mensch!, und wir dann anfangen zu zögern, den Impuls nicht weiterleiten zu unseren Händen, zu unserem Mund, zu unseren Ohren, dann sind das schon die Alarmzeichen für einen Schlaganfall, der unsere Beziehungen, unsere Freundschaften, die gemeinsame Ehe, unsere Kirche zu lähmen droht. Der Schlaganfall der Liebe deutet sich an, wenn die Impulse des Herzens zum Gut sein verzögert und gebremst werden durch mein Aber und meine Angst.

Die junge Lehrerin hatte keine Chance gegen den Anschlag, der ihr Leben zerstörte. Wir haben eine Chance. Viel traut der Herr uns zu. Wenn unser Herz die Verbindung mit ihm hält und wir nicht zögern aus dem Herzen heraus zu handeln, wird es am Ende ein Fest geben, mit all denen, die begriffen haben, dass es auf jeden einzelnen ankommt, ausnahmslos. Amen.

 

Matthäus 25: Es ist wie mit einem Mann, der auf Reisen ging. Er rief seine Diener und vertraute ihnen sein Vermögen an. 15 Dem einen gab er fünf Talente Silbergeld, einem anderen zwei, wieder einem anderen eines, jedem nach seinen Fähigkeiten. Dann reiste er ab. Sofort 16 ging der Diener, der die fünf Talente erhalten hatte hin, wirtschaftete mit ihnen und gewann noch fünf weitere dazu. 17 Ebenso gewann der, der zwei erhalten hatte, noch zwei weitere dazu. 18 Der aber, der das eine Talent erhalten hatte, ging und grub ein Loch in die Erde und versteckte das Geld seines Herrn. 19 Nach langer Zeit kehrte der Herr jener Diener zurück und hielt Abrechnung mit ihnen. 20 Da kam der, der die fünf Talente erhalten hatte, brachte fünf weitere und sagte: Herr, fünf Talente hast du mir gegeben; sieh her, ich habe noch fünf dazugewonnen. 21 Sein Herr sagte zu ihm: Sehr gut, du tüchtiger und treuer Diener. Über Weniges warst du treu, über Vieles werde ich dich setzen. Komm, nimm teil am Freudenfest deines Herrn! 22 Dann kam der Diener, der zwei Talente erhalten hatte, und sagte: Herr, du hast mir zwei Talente gegeben; sieh her, ich habe noch zwei dazugewonnen. 23 Sein Herr sagte zu ihm: Sehr gut, du tüchtiger und treuer Diener. Über Weniges warst du treu, über Vieles werde ich dich setzen. Komm, nimm teil am Freudenfest deines Herrn! 24 Es kam aber auch der Diener, der das eine Talent erhalten hatte, und sagte: Herr, ich wusste, dass du ein strenger Mensch bist; du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst, wo du nicht ausgestreut hast; 25 weil ich Angst hatte, habe ich dein Geld in der Erde versteckt. Sieh her, hier hast du das Deine. 26 Sein Herr antwortete und sprach zu ihm: Du bist ein schlechter und fauler Diener! Du hast gewusst, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und sammle, wo ich nicht ausgestreut habe. 27 Du hättest mein Geld auf die Bank bringen müssen, dann hätte ich es bei meiner Rückkehr mit Zinsen zurückerhalten. 28 Nehmt ihm also das Talent weg und gebt es dem, der die zehn Talente hat! 29 Denn wer hat, dem wird gegeben werden und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat. 30 Werft den nichtsnutzigen Diener hinaus in die äußerste Finsternis! Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein.