Predigt 18 Oktober 2020

Kaiser

Datum:
So. 18. Okt. 2020
Von:
Pfarrer Ronald Givens

Liebe Schwestern und Brüder,

für den Hl. Martin war ganz klar, wie der Kaiser aussieht, wer oder was ein Kaiser ist. Schließlich standen im ganzen Reich seine Marmorbüsten, schließlich war Martin ein Offizier des römischen Kaisers und natürlich, immer noch prangte das Porträt des Kaisers auf den Münzen, mit denen der Soldat Martin seinen Sold ausgezahlt bekam.

Gebt dem Kaiser was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!

Betritt man die kleine Kirche des Hl. Martin in Portbail in der Normandie, dann findet sich linker Hand in einer Nische eine stark beschädigte Steinskulptur. Obgleich Gesichter, Hände, das Pferd, das Schwert beschädigt sind oder fehlen, sieht jeder sofort, der die Geschichte des Hl. Martin kennt: hier ist dargestellt, wie Martin seinen Soldatenmantel, der dem Kaiser gehört hat, mit einem nackten Bettler teilt.

Gebt dem Kaiser was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!

Martin wusste wie der Kaiser aussieht. Er hat ihm gedient. Am Stadttor von Amiens hat Martin auch Gott gesehen. Nackt. Und Martin hat diesem sichtbar gewordenen Gott gegeben was Gott gehört. Was Gott jetzt braucht.

Martin wusste wer der Kaiser ist. Je länger Martin sich auf den Empfang der Taufe vorbereitet hat, je mehr er das Evangelium gehört und darüber nachgedacht hat, um so mehr hat er gespürt, ich gebe dem Kaiser zu viel von meinem Leben. Der Kaiser ist nicht nur der, der meinen Sold bezahlt, er ist mir auch zum Gott geworden. Ich setze mein Leben nur für die Ideen, für den Willen, für die Macht des Kaisers ein.

Noch lange vor seiner Taufe begreift Martin als er mit dem halben Mantel heimreitet: ich kann als zukünftiger Christ nicht mehr alles dem Kaiser geben. Nicht nur den Mantel muss ich teilen, sondern meine Lebenszeit und meine Lebenskraft neu einteilen.

Oft ist in diesen Tagen zu lesen, dass viele sich wünschen, dass alles wieder so wird wie vor Corona. Ist das wünschenswert? War das Normal?

Nur mühsam haben wir vor Corona den Schrei der Schöpfung gehört, die darum bettelt, dass wir innehalten, dass wir in ihr den Schöpfergott erkennen, der dabei ist zu ersticken, vergiftet zu werden, weil der Kaiser des Fortschritts befiehlt: ich will alles, ich will mehr.

Corona hat gegen unseren Willen den Mantel der Schöpfung geteilt, damit Tiere, Pflanzen, Erde nicht noch schutzloser werden, weil der Kaiser alles will.

 

Gebt dem Kaiser was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!

Plötzlich war kein Gottesdienst mehr. Corona hat uns die Kirchentüren verrammelt, damit wir hören und sehen, was das für eine Kirche sein wird, wenn nur noch die Männer allein am Altar stehen und die Bänke leer bleiben. Wenn dem Kaiser der Tradition und der Macht alles geopfert wird an Wahrhaftigkeit, an Barmherzigkeit, an Beweglichkeit. Corona hat gegen unseren Willen den Mantel geteilt und offenbar gemacht, wie nackt die Frauen, wie nackt die Opfer, wie nackt die Laien, wie nackt so viele in unserer Kirche geworden sind, weil der Kaiser alles an sich gerissen hat.

 

Gebt dem Kaiser was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!

Als es abends keine Sitzungen mehr gab, als wichtigste Termine, gesellschaftliche Ereignisse  mit einmal nicht mehr zu verpassen waren, haben Familien, haben Freunde erlebt wie nackt wir geworden sind, weil wir nicht mehr gemeinsam am Tisch gesessen haben, erzählt und gelacht haben. Wie sehr unsere Haut und Seele gefroren hatte, weil wir vor Corona nur mühsam Zeit füreinander und miteinander gefunden haben. Ein Spaziergang in der Familie. Ein Vater der mit seinen Kindern spielt, eine Arbeit, die auch von zu Hause aus gemacht werden kann. Das war alles vor Corona nicht normal. Plötzlich wurden nicht wenige gewahr, ich habe dem Kaiser der Arbeit, dem Kaiser des Vergnügens, dem Kaiser des Überalldabeiseins viel zu viel gegeben. Gott in meinem Nächsten ist oft genug mit leeren Händen dagestanden, hat nicht bekommen was ihm gehört was er oder sie  braucht.

Gebt dem Kaiser was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!

 

Die kleine Skulptur in der Martinskirche von Portbail hat keine Gesichter mehr. Weder Martin noch Christus der Bettler. Gesichtslos erzählen sie von einem kaiserlichen Soldaten, der durch einen Schwerthieb verstanden hat, ich habe zu viel von meinem Leben dem Kaiser gegeben. Martin ist danach nach Hause heimgekehrt. Wie wir nach dem Gottesdienst. Aber nichts war bei Martin danach mehr wie früher, die alte Normalität. Ich wünsche uns nicht, dass es nach Corona wieder normal wird. Weder in der Schöpfung, schon gar nicht in der Kirche, und auch nicht in unseren Beziehungen.

 

Gebt dem Kaiser was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!

Amen.