Predigt Christkönigsonntag

Missbildung

Datum:
So. 22. Nov. 2020
Von:
Pfarrer Ronald Givens

Liebe Schwestern und Brüder,

 

es roch nach Kartoffelsuppe. Sie waren in ihrem Haus in Toblach. Er hatte den ganzen Tag über Notenblätter und Partituren gebeugt, gearbeitet. Längst war die Sonne untergegangen. Die Zugehfrau hatte ihren freien Tag. Seine Frau hatte heute den Tisch gedeckt. Eine Kerze brannte auf dem Tisch. Weißes Leinen. Sie hatte für Vier gedeckt. Er sah seine Frau fragend an. Erwarten wir noch jemand? Sie schaute ihn an. „Heute ist der Todestag von Marie“. Gustav Mahler streckte seine Hand aus zu dem leeren Platz. Zwei Jahre war es her, dass ihr Kind gestorben war. Seine Hand griff ins Leere. Er spürte eine Sehnsucht nach Marie, die ihn überwältigte.

Robert Seethaler schildert in seinem neuen Roman „Der letzte Satz“ den Schmerz von Gustav und Anna Mahler über ihr gestorbenes Kind Maria.

Es mögen noch so viele Jahre vergangen sein. Nähert sich der Todestag eines Menschen, den wir geliebt haben, der uns viel bedeutet hat, dann spüren wir ungebrochen intensiv diesen Griff der Hand ins Leere, diese Sehnsucht, die nicht mehr erfüllt wird. Nach dem Tod der Geliebten entlohnen wir die Zeit der Liebe mit ihnen, durch die Zeit des Schmerzes ohne sie.

Wollen wir das Herz Jesu begreifen, dann müssen wir diese Sehnsucht nach einem fehlenden Menschen befühlen. So leidet Christus, so viel Sehnsucht hat Christus nach denen, die der Stern seines Auges waren, denen seine Aufmerksamkeit und seine Liebe galt: den Armen, den Nackten, den Kranken, den Kleinen. Der Sehnsucht nach einem geliebten Menschen öffnet uns die Augen dafür mit welcher Liebe Jesus gerade diese Menschen angeschaut hat, von denen heute Im Evangelium die Rede ist.

Es müssen Liebende sein, es müssen Menschen sein, die darum wissen wie zerbrechlich das Leben ist und welches Geschenk es ist, zu lieben und geliebt zu werden, die Christus auf der Rechten versammelt. Niemand musste ihnen sagen, niemand musste ihnen zeigen, niemand musste sie daran erinnern, was zu tun ist, weil ihr Herz sie sehend gemacht hat, weil sie es zugelassen haben, dass ihr Herz sie zu guten Menschen gemacht hat. Sei gut Mensch!

Wer die letzten Tage mitverfolgt hat was im Deutschen Bundestag gesprochen und getan wurde, der kann verstehen, was es bedeutet, wenn die, die auf der Seite der Verdammten stehen, sagen: Wann haben wir dich gesehen und dir nicht geholfen? Natürlich haben sie Christus gesehen, aber sie haben ihr Herz niedergerungen, damit es wegsieht. Unser Herz ist gut, es sehnt sich danach zu lieben und geliebt zu werden. Man muss es hart trainieren, damit es diesem Impuls nicht mehr folgt. Man muss es knechten, damit es Krokodilstränen weint. Natürlich haben sie die Armen gesehen, aber sie haben sich entschieden nicht gut zum Anderen zu sein.

Es lasse sich keiner vom biederen Jacket und Krawatte am Rednerpult täuschen und der AfD glauben, sie wüssten nicht was ihre Worte anrichten, die AfD wüsste nicht was ihre Haltung zerstört, die AfD hätte nicht gewusst, was ihre Gäste tun. Es ist die gleiche Heuchelei wie der Gruppe im Evangelium, die sich vor Christus den Richter hinstellt und mit Unschuldsmiene fragt: Wann haben wir dich gesehen und hätten dir nicht geholfen? Es sind Heuchler und Christus entlarvt sie: Ihr habt mich gesehen, Ihr wusstet dass ich nackt, hungrig, krank und gefangen bin, aber ihr habt eurem Herzen untersagt gut zu sein.

Es ist jetzt 75 Jahre her, dass in Nürnberg Gericht gehalten wurde. Der letzte der Chefankläger, der noch lebt, erzählt, dass er bewusst unter den vielen Beschuldigten, die ausgesucht habe, die gebildet waren. Akademiker. Bürger mit angesehenen Berufen. Sie alle haben spätestens seit 1933 alles dafür getan, um ihr Herz zu missbilden. Es sollte nicht mehr sprechen, sich nicht mehr durchsetzen. Keiner von ihnen hat bereut. Alle haben gesagt: ich konnte nichts dafür. So waren die Gesetze. Die Befehle. Ich hatte keine Ahnung.

Es ist wieder möglich geworden zu heucheln. Sich hinzustellen und zu sagen: ich habe es nicht gewusst, ich habe es nicht gesehen, ich hätte es natürlich sonst niemals zugelassen.

Ein Herz, das die Liebe und die Sehnsucht kennt, ein Herz das für Christus schlägt, darf sich mit diesen Heuchlern nicht gemein machen, ihnen niemals die eigene Stimme überlassen, weil sie das Herz missbilden. Amen.

Matthäus Evangelium: Kap 25, 31-46