Predigt Hl. Abend und Weihnachten

Wort-Schatz

Datum:
Fr. 25. Dez. 2020
Von:
Pfarrer Ronald Ashley Givens

Liebe Schwestern und Brüder,

Jesus, das neugeborene Kind in der Futterkrippe von Bethlehem kann noch nicht sprechen an diesem Heiligen Abend, aber es wird sprechen lernen. Es wird die Worte von Maria und Josef aufschnappen, sich einen Sprachschatz aufbauen. Zu diesem Weihnachtsfest gehört auch, dass wir in diesem Jahr neue Wörter uns zu eigen gemacht haben. Nie zuvor habe ich versucht den Zungenbrecher Beherbergungsverbot zu verwenden. Aber in diesem Jahr ist vieles ungewohnt. Nie zuvor habe ich das Wort vulnerabel, verletzlich verwendet. Inzwischen ist es mir vertraut geworden, gerade dann wenn wir über die Menschen sprechen,  die wenig oder keinen Schutz haben, vulnerabel sind.

Das Wort ist neu und doch rührt es an die tiefste Bedeutung von Heilig Abend. Vulnerabel. Verletzbar sein oder werden.

Der Heilige Abend beginnt nicht in Bethlehem, er beginnt in einer Werkstatt in Nazareth. Ein junger Mann, Josef, nimmt allen Mut zusammen. Er geht von seiner Werkstatt die Dorfstraße von Nazareth hinab und frag den Vater von Maria, ob er seine Tochter heiraten darf, ob sie seine Verlobte wird. Mit jedem Schritt fragt er sich, ob er den Eltern genügt, ob er bestehen kann, was sie in ihm sehen, ob sie ihm ihre Tochter anvertrauen. Schutzlos steht er da, vulnerabel und bittet darum, dass er, dass seine Art, sein Beruf genügt.

Der Heilige Abend setzt sich fort im Himmel. Gott der Ewige, der Unverwundbare, der Starke fragt an ob er leibhaftig, mit einer Schwangerschaft in das Leben von Maria kommen darf. Gott befiehlt nicht, macht nicht einfach, sondern er frag an und riskiert: ein Nein. Eine Ablehnung, eine Zurückweisung. Gott macht sich verletzlich, vulnerabel. Ein Nein würde ihm wehtun, ihn beschädigen, ihn hilflos machen.

Noch ist kein Jahr vergangen seitdem Josef die Dorfstraße hinabgegangen ist, da schleicht sich Maria aus dem Haus. Durch die Dorfstraße kann sie als Frau, als Verlobte nicht gehen. Nicht ohne dass ein Bruder oder jemand aus der Familie sie begleitet. Aber das geht nicht. Tagelang, nächtelang hat sie überlegt wie sie es machen soll, was sie sagen soll. Unerfahren, verletzlich, unsicher steht sie in der Werkstatt zu der sie sich geschlichen hat und erzählt. Macht sich verletzlich, weiß nicht ob sie vor Josef bestehen kann, ob ihre Liebe das aushält.

Nach gut acht Monaten nähert sich der Heilige Abend. Josef und Maria überlegen was sie mitnehmen. Auf die Reise. Von Nazareth nach Bethlehem. Über die Berge von Galiläa, durch die judäische Wüste. Das schützende Zuhause, die Familie, die Feunde können sie nicht mitnehmen. Einen Wasserschlauch. Datteln Feigen, Brot, Tücher, einen Wanderstab. Verletzlicher geht es nicht. Sie haben nur sich, das was sie einpacken, schützt nicht wirklich.

Und Gott? Verletzlich in einer Fruchtblase. Sie kann platzen. Sein Leben vorzeitig beenden. Er kann die Richtung des Weges nicht bestimmen. Wird getragen. Von Maria und Josef. Sein Leben hängt an einer Nabelschnur und einer zerbrechlichen Blase. Der ewige Gott hat nur noch einen hauchdünnen Schutz gegen die tödliche Verletzlichkeit des Lebens.

In Bethlehem ist Josef nicht der Handwerker, der etwas zu bieten hat, der was machen, bauen kann. Er ist Bittsteller an der Herbergstüre. Einer von vielen. Nicht nur das Kind in der Fruchtblase, nicht nur die schwangere Frau, auch er der starke Mann, ist angewiesen auf Hilfe. Schutzlos dem Blick, der Einschätzung, dem Vertrauen der Herbergsleute von Bethlehem ausgeliefert.

Und dann. Wird das Kind geboren. Gewaschen, mit Stroh abgerieben, in Windeln gewickelt. Es lebt. Gott ist in der Welt, er kann seine Liebe hineintragen, weil einer nach dem anderen sich nicht hat lähmen lassen von der Erkenntnis schutzlos, vulnerabel zu sein, sondern weil einer nach dem anderen sich getraut hat, dem anderen es zuzutrauen, dass er oder sie ihn beschützt. Das Leben ist vulnerabel, schutzlos, aber es gibt uns, die wir an Heilig Abend angefragt sind, das Leben zu schützen, das Gott mit uns teilt. Amen.