Predigtreihe zum Misereor Hungertuch

Predigt Salbungsgottesdienst

Datum:
So. 28. Feb. 2021
Von:
Pfarrer Ronald Givens

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn,

 

Zwölf große Steine legt Joshua in den Jordan in Erinnerung an den Tag, an dem das Volk Israel nach vierzig Jahren den Jordan durchquert hatte und endlich in dem von Gott versprochenen Land angekommen war.   Zwölf Beduinen-Stämme haben sich im Alten Testament zusammengeschlossen, um gemeinsam das Volk Gottes zu sein. Als Jesus eine ganze Nacht lang gebetet hat, da wählt er zwölf seiner Jünger aus und nennt sie seine zwölf Apostel. Nach der Brotvermehrung fordert Jesus seine Jünger auf das übriggebliebene Brot einzusammeln, es werden zwölf Körbe voll.

Für das diesjährige Hungertuch hat die Künstlern Bettlaken aus einem Krankenhaus und aus einem Kloster verwendet. In eines der Betttücher sind Blumenblüten eingewoben. Zwölf davon hat die Künstlerin des Hungertuches mit Goldstickerei sichtbar gemacht.

Die Zahl zwölf steht in der Bibel für eine Sache, die rund, die vollkommen geworden ist. Aus Einzelstämmen wird ein Volk. Zwölf Steine erinnern an den Mut des Aufbruchs, dem ungewissen Weg durch die Wüste und schließlich das Erreichen des Zieles. Zwölf ganz unterschiedliche Charaktere bilden als Apostel den Anfang der Kirche. Zwölf Körbe voller Brot werden zum Zeichen der Großzügigkeit der Fülle des Lebens das Gott schenkt.

Zwölf Blüten auf dem Hungertuch als Hinweis darauf, dass in diesen vierzig Tagen der Vorbereitung auf Ostern das Hungertuch uns einen Hinweis geben möchte, dass Gott etwas rund, etwas heilig, etwas vollkommen machen möchte.

In der zu Ende gehenden Woche bin ich einer dieser Gold-Blüten begegnet. Ich saß am Bett einer Patientin, die im Sterben lag. Seit ein paar Tagen war die Frau nicht mehr ansprechbar. Im Zimmer war es ganz still. Nur das Rauschen des Beatmungsgerätes und draußen auf dem Flur vor der Türe die Stimmen und die Schritte derer, die dort arbeiteten. Auf dem Beistelltisch neben dem Krankenbett stand eine Postkarte mit dem Foto einer Apfelblüte. Es war eine Nahaufnahme. Man sah die gelben Staubfäden, die hauchdünnen Blütenblätter, die weiß mit etwas Rosa waren, die Form der Blütenblätter und wie sie in der Mitte zusammenliefen, eine Blüte bildeten. Wunderschön.

Ich habe der Frau, die durch Krankheit und Medikamente stark sediert mit geschlossen Augen ohne jede Regung dalag, beschrieben wie die Blüte aussieht, so wie ich es gerade uns beschrieben habe. Dann habe ich den Faden weitergesponnen: es würde einen ganzen Sommer dauern, bis anstelle der Blüte eine Frucht am Baum erscheinen würde. Vom Frühling bis zum Sommer, vom Sommer bis zum Herbst muss man der kurzen Zeit, da die Blüte sichtbar war, glauben, dass ihre Schönheit, ihre Zartheit da gewesen und eine  Botin  gewesen ist für die Vollendung, für die reife Frucht, die das Ziel der Blüte ist.

Dann habe ich die Postkarte wieder auf das Krankenhaustischchen zurückgestellt. „Ich wünsche Ihnen, dass sie glauben können, dass sie in den Augen Gottes so wunderschön sind wie diese Blüte. Auch hier in diesem Bett, auf dieser Station. Sie sind auf dem Weg zur Vollendung, so wie die Blüte auf dem Weg zur Frucht ist.

Gold ist die Farbe des Göttlichen, des Wertvollsten und Kostbarsten. Die Künstlerin hat rund um den gebrochenen Fuß auf dem Hungertuch mit einem Goldfaden zwölf Blüten sichtbar gemacht. Hier wird etwas vollendet.

In diesem Salbgefäß ist der „Goldfaden Gottes“. Kostbares Öl. Bei der Salbung auf unserer Stirn, bei der Salbung unserer Hände möchte Gott uns zeigen: Du hast deine Schönheit nicht durch deine Krankheit, du hast deinen Wert nicht durch dein Alter, du hast deine Kostbarkeit nicht durch deine Depression und Angst in meinen Augen verloren. Ich möchte dir mit meinem Goldfaden aus Öl helfen, dass du bei all deinen Schmerzen und in all deiner Not auch das Verborgene und Überdeckte sehen und glauben kannst.

Die Salbung mit Öl ersetzt nicht den Arzt und nicht die Therapie. Drei Kreuze aus Öl, mit insgesamt zwölf Kreuz-Enden. gezeichnet auf unsere Haut. Diese Salbung ist die zärtliche Zuwendung Gottes, damit unser Herz vertrauen kann, dass Gott nicht zerstören will, sondern immer zur Vollendung führt. Er verliert niemals aus dem Blick, wie kostbar und schön wir in seinen Augen sind, auch wenn wir selbst das nicht mehr sehen oder glauben,  Amen.