Samuel

Gedanken zur Sonntagslesung

Datum:
Sa. 16. Jan. 2021
Von:
Pfarrer Ronald Givens

Es ist eine Geschichte der Loslösung. Es ist die zweite in seinem Leben. Ob er die erste überhaupt verkraftet hat, erzählt die Bibel nicht. Samuel war das ersehnte und lange vergeblich gewünschte Kind von Hannah. Wenn man die Geschichte im ersten Buch Samuel liest, dann stockt einem der Atem, wenn man sieht, dass dieser Samuel als Kind nach Schilo in den Tempel gebracht wird, um dort, fern von seinen Eltern, groß zu werden. Als letzte Verbindung bleibt, wie eine Nabelschnur, dass jedes Jahr, wenn Hannah nach Schilo zur Wallfahrt kommt, sie ihrem Kind Samuel ein neues Gewand geschneidert hat. Wieviel Ferne und wieviel Nähe liegt in diesem Gewand für Samuel.

In der ersten Lesung vom heutigen Sonntag (1 Samuel 3, 3b-19) wird von der zweiten Loslösung erzählt: Samuel ist Eli anvertraut worden. Immerhin hat dieser, so erzählt es die Bibel an anderer Stelle, zwei Söhne, so dass er als Vater Erfahrung hatte und Samuel mindestens Brüder dort im Heiligtum von Schilo. In der Nacht hört Samuel eine Stimme. Sein erster Gedanke und Impuls ist, dass es Eli ist, der ihn ruft. Das ist die Stimme, die ihm von Kind an vertraut ist. Erst als Eli begreift, dass Samuel nicht geträumt hat, sondern dass Gott selbst es sein könnte, der mit Samuel sprechen möchte, kann Gott sich in das Leben von Samuel hineinsprechen. Eli gibt dem Samuel einen Schlüssel, damit dieser das Wort Gottes in sein Leben treten lassen kann: „Rede Herr, Dein Diener hört“

Eli muss eine starke Persönlichkeit gewesen sein, dass er ohne Neid, ohne sich übergangen oder zurückgesetzt zu fühlen, den jungen Samuel behutsam loslässt, damit eine andere Stimme in sein Leben treten kann. Hat Hannah ihrem Kind ein schützendes Gewand gegeben um zu wachsen, so bekommt Samuel nun eine Haltung geschenkt: ein Hörender zu werden.

Die Lesung vom heutigen Sonntag endet mit einem bemerkenswerten Satz: „ Samuel wuchs heran und der HERR war mit ihm und ließ keines von all seinen Worten zu Boden fallen.“

Gott sind die Worte, die Samuel der Hörende spricht, so kostbar, dass er sie nicht achtlos zu Boden fallen lässt, sondern sie auffängt.

Das geht über unser Vermögen, keines der Worte eines anderen Menschen nicht zu Boden fallen lassen. Das kann nur Gott. Wir vergessen, verlieren, überhören unendlich viele Worte. Und doch gibt es Worte, die wir auffangen. Worte, die hängen bleiben, die mitgehen. Worte, die nicht beliebig wiederholbar sind. Der Wortlaut muss gar nicht exakt bewahrt werden, eher so wie ein Gewand, das uns umhüllt, beschützt. Ein Wort wie eine Nabelschnur zu einem Menschen oder zu einem besonderen Ereignis. Worte, die eine Haltung wiederspiegeln, die für unser Leben zum Schlüssel geworden ist. Wenn eine starke Persönlichkeit uns ein Wort schenkt, das nicht engt oder drückt, sondern frei und geborgen macht, dann spüren wir: dieses Wort lasse ich nicht einfach fallen. Es trägt mich, das trage ich.

 

Rose Ausländer hat das wunderschön in einem ihrer Gedichte ausgedrückt:

 

https://www.deutschelyrik.de/wort-an-wort.html

 

Rose Ausländer

 

Wir wohnen

Wort an Wort

 

Sag mir

dein liebstes

Freund

 

meines heißt

DU