Sonntagsbegegnungen 6

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Datum:
So. 9. Okt. 2022
Von:
Pfarrer Ronald Givens

Natürlich weiß ich nicht, wie gut der Synagogenvorsteher jene Gottesdienstmitfeiernde gekannt hat, die seit achtzehn Jahren gekrümmt gewesen ist und die in der Synagoge, für die er Verantwortung getragen hat, am Sabbat zum Gottesdienst gewesen ist. Ich weiß nicht, ob sie jeden Sabbat dagewesen ist. Ob er sie mit Namen gekannt hat. Ihm, dem Synagogenvorsteher, ist die Sorge für das Haus Gottes anvertraut gewesen. Vielleicht hat er Jesus, den bekannten Rabbi, eingeladen am Sabbat zum Gottesdienst zu kommen, vielleicht war es Zufall, dass Jesus an diesem Sabbat in dieser Synagoge gewesen ist.

Der Synagogenvorsteher erlebt ein Wunder. Er sieht mit eigenen Augen, dass ein Mensch, eine seiner Gottesdienstmitfeiernden, eine verkrümmte Frau, geheilt wird. Er sieht, wie der Rabbi Jesu ihr die Hände auflegt, wie er betet. Er hört, wie die Frau nach ihrer Heilung Gott laut lobt und preist, wie sie betet, in seiner Synagoge. Er begegnet Jesus als Zeuge.

Er kann sich nicht freuen. Er kann in den Lobpreis Gottes dieser Frau, die gerade noch mit ihm gemeinsam den Sabbath gefeiert hat, nicht miteinstimmen. Er kann nicht staunen über Jesus und dankbar sein, dass er in seinem Leben erlebt hat und nun bezeugen könnte, dass der Glaube hilft und wirkt. Er ärgert sich. Über die Frau. Über Jesus. Über die anderen Gottesdienstmitfeiernden. Er verliert sich in den Vorschriften und Gesetzen zum Sabbat, in seinem Eifer für Gott und für den Sabbat.  Er urteilt und verurteilt.

Es ist eine tragische Begegnung zwischen Jesus und dem Synagogenvorsteher. Ihm ist das Haus Gottes anvertraut, er öffnet es jeden Tag, damit die Menschen Gott suchen und finden können, er rollt die Thora auf, liest daraus vor, damit sie Gottes Wort hören, er kennt das Gesetz und hält es, damit Gott geheiligt wird. Und als Gott kommt, bei ihm im Haus gegenwärtig ist, als er sieht was Gott wirkt und hört wie ein Mensch von Liebe und Dankbarkeit zu Gott singt und jubelt, da ist er unfähig, zu sehen und zu hören und zu glauben.

Rose Ausländer

Nicht fertig werden.

 

Die Herzschläge nicht zählen,

 

Delfine tanzen lassen.

 

Länder aufstöbern,

 

aus Worten Welten rufen,

 

horchen, was Bach zu sagen hat.

 

Tolstoi bewundern.

 

Sich freuen, trauern.

 

Höher leben, tiefer leben.

 

Nicht fertig werden.

 

Die Begegnung zwischen Jesus und dem Synagogenvorsteher ist eine Begegnung, die ermutigt am Abend eines Tages noch einmal zu überlegen, ob ich nicht alles auch anders sehen könnte. Fragen, ob ich zu festgelegt bin, zu eingefahren, zu eindimensional. Diese Begegnung ist eine Einladung Gott möge nochmal mit mir auf meinen Tag schauen, damit ich das Wunder nicht übersehe, den entscheidenden Satz nicht überhöre, mir und dem nächsten zutraue, dass es doch vielleicht ganz anders gedacht und gemeint war. Nicht fertig werden.

 

Lukas 13: 10 Am Sabbat lehrte Jesus in einer Synagoge. 11 Und siehe, da war eine Frau, die seit achtzehn Jahren krank war, weil sie von einem Geist geplagt wurde; sie war ganz verkrümmt und konnte nicht mehr aufrecht gehen. 12 Als Jesus sie sah, rief er sie zu sich und sagte: Frau, du bist von deinem Leiden erlöst. 13 Und er legte ihr die Hände auf. Im gleichen Augenblick richtete sie sich auf und pries Gott. 14 Der Synagogenvorsteher aber war empört darüber, dass Jesus am Sabbat heilte, und sagte zu den Leuten: Sechs Tage sind zum Arbeiten da. Kommt also an diesen Tagen und lasst euch heilen, nicht am Sabbat! 15 Der Herr erwiderte ihm: Ihr Heuchler! Bindet nicht jeder von euch am Sabbat seinen Ochsen oder Esel von der Krippe los und führt ihn zur Tränke? 16 Diese Frau aber, die eine Tochter Abrahams ist und die der Satan schon seit achtzehn Jahren gefesselt hielt, sollte am Sabbat nicht davon befreit werden dürfen? 17 Durch diese Worte wurden alle seine Gegner beschämt; das ganze Volk aber freute sich über all die großen Taten, die er vollbrachte.