Vierter Fastensonntag

DNA des Sehens

Datum:
So. 19. März 2023
Von:
Pfarrer Ronald Givens

Ohne, dass ich es sehe, kann ich ihnen sagen, wer im Pfarrhaus die Holztreppe hinauf oder hinuntergeht. Ich höre, ob es Frau Eckart, Herr Kohl, Frau Arnold oder Frau Busalt sind. An der Art wie sie auftreten.

Da unten auf der Erde, am Boden findet der Bettler sein tägliches Brot. Er, der Blinde, hat gelernt, wie die anderen auftreten, den Boden treten.

Das Sehen der Jünger: Wieviel Jahre feiern sie schon mit Jesus Gottesdienst?. Wieviel Jahre schon bricht er ihnen das Brot? Wie lange schon beobachten sie ihn? Wie  oft ist er mit ihnen zur Synagoge zum Gottesdienst gegangen? Und was sehen sie? Was fragen? Sie fragen nach der Schuld. Nach dem Defekt. Die Krebskranke wird sich falsch ernährt haben. Die Vergewaltigte wird einen zu kurzen Rock getragen haben. Der Depressive reißt sich nicht richtig am Riemen. Wenn man Arbeit sucht, dann findet man auch welche…

Das Sehen der Eltern: Ihr blindes Kind ist anders. Nicht nur, dass sie selbst  jahrelang, nächtelang gehadert haben, wie oft sind von anderen Müttern und Vätern mitleidig angeschaut worden? Wie oft  wurde ihr Kind angeglotzt. im Blick konnten sie sehen, dass sie den falschen Erziehungsratgeber gelesen haben, nicht genug untersucht haben, falsch erzogen, falsch ernährt haben, besser hätten aufpassen sollen. Irgendjemand muss ja schuld sein, dass es nicht normal gekommen ist. Und jetzt als ihr Kind sich endlich aus diesem Nachbarschaftsdreck, aus dieser Definition was normal und gesund ist, erhoben hat, da fehlt ihnen eine mutige Liebe. Sie bringen es nicht fertig zu sagen: ja das ist unser Sohn, das ist unsere Tochter und wir stehen zu ihm oder zu ihr, zu dem was jetzt anders ist, wie er oder sie geworden ist. Wie viele Jugendliche und Erwachsene warten darauf, dass ihre Eltern, ihre Freunde sich zu ihnen und wie sie geworden sind mit Liebe bekennen, vor den Nachbarn, vor der Kirche, vor dem Rest der Familie.

Die Pharisäer sehen, das das, was sich gerade an Heilung ereignet hat, nicht mehr packen lässt mit den erlernten Handgriffen, mit dem Gewohnten. Sie stellen Fragen, aber das was sie hören, wird ihnen nicht heilig. Drei Jahre lang haben die Bischöfe in Frankfurt zugehört. Frauen, die gerne von Gott in der Kirche sprechen würden. Opfern, die wie der letzte Dreck behandelt wurden. Menschen in all ihrer sexuellen Vielfalt. Gläubigen mit all ihrer Enttäuschung und Hoffnung. Priestern, Eheleuten, Geschiedenen, Patchworkfamilien, jungen und alten Menschen, die so nicht leben können und wollen, wie die Kirche es bestimmt. Am Ende stehen Papiere, in denen das Gehörte nicht heilend geworden ist.

Daher bückt sich Jesus zum Staub, in dem der Blinde sein tägliches Brot erbettelt. Im Dreck, am Boden, ganz unten ist sie eingeschrieben die Lebenserfahrung dieses Menschen, der Dreck trägt seine Menschenerfahrung. Die Erde ist geprägt von den Schritten derer, die am Blinden vorbeistapfen.

Und Jesus spukt darauf. Macht sichtbar, was für ein Dreck das ist, in dem man diesem Menschen seinen Platz zugewiesen hat. Er gibt seinen Speichel dazu. Speichel ist intim, es ist die Speichelprobe Gottes, seine DNA. Jesus handelt. Im Spucken macht er sichtbar, was er davon hält Menschen so zu behandeln, dass sie im Dreck sitzen und sich wie Dreck fühlen. Im Speichel steckt sein Geschmack von Leben für sich und für andere. Er macht daraus einen Teig. Er nimmt an und er verändert, da kann etwas neues werden.

Geh und wasch Dich. Wasch Dich von den Fragen, die dir nicht gut tun. Wasch Dich von denen, die dir nicht zugestehen, dass du anders geworden ist. Wasch dich von einem Glauben, der nur das Gestern kennt und dem deine Lebens-Erfahrung nicht heilig ist. Wasch Dich von einer Haltung, die außen vorbleibt. Hab den Mut hinzusehen, Elend und Schmerz beim Namen zu nennen und gib etwas von dir, damit sich etwas verändert. Das ist die DNA Gottes, die uns in der Taufe geschenkt ist, für uns und für andere.