Wähle das Leben

Predigt 7. Sonntag

Datum:
So. 23. Feb. 2020
Von:
Pfarrer Ronald Givens

Ich möchte Ihnen etwas zeigen: ein Knäuel roter Wolle. Wenn Sie, genauso wie ich im Fernsehen gern Tatort sehen, dann kennen Sie solche rote Wolle. Da gibt es meist eine Schautafel, darauf stehen die Orte und Personen, die für den Fall wichtig sind, und irgendwann beginnen die Kommissare Verbindungslinien zu ziehen. Oft mit einer roten Schnur, die sichtbar macht, wie die Dinge zusammengehören.

 

Sie waren schon weit hinein in die Wüste gezogen. Die Rettung aus der Sklaverei, der Durchzug durch das Rote Meer all das lag schon Jahre hinter ihnen. Vor ihnen irgendwo das gelobte Land. Die Freiheit war zur Alltäglichkeit geworden. Das Manna vom Himmel nichts Außergewöhnliches mehr. Da war nicht viel vom Aufbruch und vom Mut zum Neuen übrig geblieben. Eines Morgens nun stellt sich Mose mit seinem Bruder Aaron vor das Volk und fordert sie in einer dramatischen Rede zur Entscheidung auf: möchtet ihr den Zehn Geboten und Jahwe folgen, oder euren eigenen Weg gehen, eigenen Göttern folgen? Leben und Tod lege ich euch heute vor, du aber wähle das Leben. Für ihn und Aaron gibt es keinen Zweifel, Jahwe und die zehn Gebote sind das Leben. Und dann sagt Mose einem bemerkenswerten Satz: dieses Gesetz, das ich heute euch vorlege, das ist euer Stolz, dafür werden euch die anderen Völker beneiden.

 

Rings um nur Wasser. In der Ferne die schneebedeckten Berge des Chiemgau, eine Insel und ein ehemaliges Kloster, mitten Chiemsee. Es ist der August 1948 und 14 Tage lang erarbeiten Frauen und Männer die Eckpunkte wie das deutsche Volk in Zukunft zusammen leben möchte. Auf Herrenchiemsee. Sie kommen aus den zerstörten Städten Deutschlands, sie bringen mit das langsame Begreifen wie die Weimarer Republik zerstört wurde, was man den Juden angetan hatte, wie viele Söhne und Väter nie wieder heimkehren werden, weil sie irgendwo auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkrieges geblieben sind. Die Arbeit dieses Verfassungskonventes wurde dann im Mai 1949 von den Frauen und Männern unseres Grundgesetzes heftig diskutiert, überarbeitet und schließlich am 23. Mai 1949 das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Kaum einer ahnt damals im besetzten Deutschland, dass viele Völker, dass viele Menschen einmal mit Sehnsucht auf dieses Grundgesetz schauen werden. Weil sie in ihren Ländern, in ihrer Heimat nur davon träumen können, dass es ein Land gibt in dem Frauen und Männer gleichberechtigt sind und wählen dürfen, in dem niemand wegen seiner Hautfarbe, seiner Religion, seiner Sexualität, seiner Meinung benachteiligt werden darf. Ein Land in dem die Freiheit geschützt wird.

 

Längst ist das gelobte Land verloren. Der Tempel zu Jerusalem zerstört, das Volk im babylonischen Exil. Man passt sich an. Man kleidet sich wie man sich in Babylon kleidet, man ißt was auch die Babylonier essen, die Worte, und die Taten ähneln immer mehr denen, die in Babylon üblich waren. Da setzt sich ein Unbekannter hin und schreibt das Buch Mose, schreibt auf was bis dahin nur mündlich überliefert wurde. Er schreibt diesen Text auf, den wir gerade in der Lesung gehört haben:

Der Herr sprach zu Mose:  Rede zur ganzen Gemeinde der Israeliten, und sag zu ihnen: Seid heilig, denn ich, der Herr, euer Gott, bin heilig. Du sollst in deinem Herzen keinen Hass gegen deinen Bruder tragen. Weise deinen Stammesgenossen zurecht, so wirst du seinetwegen keine Schuld auf dich laden.

An den Kindern deines Volkes sollst du dich nicht rächen und ihnen nichts nachtragen. Du sollst deinen Nächsten Lieben wie dich selbst. Ich bin der Herr.

Er erinnert sein Volk daran, dass sie einmal das Leben gewählt haben, dass die Völker auf Israel geschaut haben, weil dieses Volk einen Gott hat, der ihnen ins Herz geschrieben hat: deinen Nächsten sollst du lieben, wie dich selbst, weil ich der Herr ihn und dich liebe. Sie haben es vergessen. Darum schreibt er es auf. Es soll vorgelesen werden im Gottesdienst, es soll weitergegeben werden von den Eltern an die Kinder, von Generation zu Generation.

 

In der Hügelstraße steht ein Stein, der erinnert daran, dass hier einmal eine Synagoge gestanden hat. Als sie gebrannt hat, als sie zerstört wurde, da wird der ein oder andere gedacht haben, was bin ich froh, dass ich kein Jude bin. Was bin ich froh das ich eine Kirche habe, und nicht eine Synagoge. Das betrifft mich nicht.

Auf dem alten Friedhof gibt es eine schön gestutzte Hecke. Sie umgibt ein großes Quadrat. Dort liegen die Söhne und die Väter derer, die damals noch gedacht haben, was bin ich froh, dass ich kein Jude bin, dass ich eine Kirche habe und keine Synagoge. Sie haben sich nicht vorstellen können, dass der Hass gegen die Fremden, dass die Propaganda gegen die Juden, einmal dem eigenen Kind, dem Ehemann und dem Vater das Leben kosten würde. Es gibt ein roter Faden zwischen der Hügelstraße und dem alten Friedhof. Es begann mit Worten.

 

Zwischen der Synagoge in Halle und den Gaststätten in Hanau gibt es auch eine Verbindung, gibt es einen roten Faden, der auch gezogen werden muss, zu den brennenden Flüchtlingsunterkünften, zu den Pöbeleien im Netz und zu einer Wortwahl, die parlamentsfähig geworden ist.

 

Der Autor des Buches Levitikus, der sein Volk daran erinnert, dass sie sich einmal für das Leben entschieden haben, dass sie sich verpflichtet haben heilig zu sein wie Gott heilig ist und handelt, zieht einen roten Faden zwischen Gott und unserem Herzen.

Wer glaubt, dass die Synagoge in Halle, die Gaststätten in Hanau, die brennenden Flüchtlingsunterkünfte, ihn nicht betreffen, weil er kein Migrant ist, weil er Deutsch spricht, weil er kein Muslim oder Jude ist, der darf sich nicht wundern, wenn die, die die Verbindung zwischen all diesen Orten sind mit ihrer Sprache und mit ihrer Hetze ziehen, irgendwann auch die Verbindung ziehen zu denen, die glauben mich betrifft das nicht. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst ich bin der Herr. Wer diesen Faden in Gedanken Worten und Werken zerschneidet, der hat den Tod gewählt nicht das Leben. Christen aber wählen das Leben. Amen.