Weihnachtstag

Predigt zum Weihnachtstag

Datum:
So. 25. Dez. 2022
Von:
Pfarrer Ronald Ashley Givens

Was haben Sie in Ihrem Geldbeutel, in Ihrer Brieftasche? Ich möchte Ihnen heute Morgen eine Brieftaschengeschichte erzählen, die mir den im Evangelium gehörten Satz: Und das Wort ist Fleisch geworden neu erschlossen hat.

Diese Brieftaschengeschichte beginnt in einer Schule in Tagen des Advents. Am Fest des Hl. Nikolaus bittet die Lehrerin ihre Schülerinnen und Schüler, alle Namen der Mitschülerinnen und Klassenkameraden auf ein großes Blatt Papier zu schreiben und unter jedem Namen viel Platz zu lassen. Die Jungs und die Mädchen drehen sich in den Bänken um, vergewissern sich, dass sie auch niemanden vergessen, schreiben mit Füller, mit Buntstiften, mit Filzstiften alle Namen auf das Blatt. Schließlich hat jede und jeder alle Namen auf seinem Blatt. Manche ganz krakelig, andere haben die Buchstaben schön gemalt, alle Namen sind da.

Und nun bitte ich euch, sagt die Lehrerin, schreibt zu jedem Namen eine liebe und gute Eigenschaft dieses Mitschülers, dieser Mitschülerin. Eine ganze Stunde lang ist es still im Klassenzimmer. Am Ende gibt jede und jeder seine Namensliste mit den Kommentaren der Lehrerin ruhig und nachdenklich ab. Zu Weihnachte dann bekam jede und jeder seine persönliche Liste mit allen Kommentaren von der Lehrerin zusammengestellt. Wieder wurde es ganz still. Es gab ein Flüstern und Staunen. Auf vielen Gesichtern ein Lächeln und auch ein Strahlen.

Im neuen Jahr verblasste die Liste nach und nach, bald schon sprach niemand mehr über die Liste. Die Lehrerin war ein wenig enttäuscht, ließ aber das Thema auf sich beruhen.

Viele Jahre später verunglückte einer der Schüler, Mark, auf dem Weg von der Arbeit bei einem Verkehrsunfall tödlich. Beim Gottesdienst in der kleinen Gemeinde war Kirche voll mit Marks Freunden und seiner Familie. Alle gingen nach vorne legten eine Blume nieder, gaben etwas Weihwasser auf den Sarg. Auch seine damalige Lehrerin ging zum Sarg ihres ehemaligen Schülers und betete still für Mark.

Nach dem Begräbnis stand sie mit etlichen anderen ehemaligen Schulfreunden von Mark beisammen. Marks Eltern kamen dazu und baten die Lehrerein sprechen zu dürfen. Wir wollten ihnen etwas zeigen, sagte der Vater von Mark und zog eine Geldbörse aus seiner Tasche. Die hatte unser Sohn bei sich, als er tödlich verunglückte. Wir dachten, sie werden wiedererkennen, was Mark in seiner Brieftasche aufbewahrt hat. Die Eltern zogen aus dem Geldbeutel ein stark abgenutztes Blatt, das zusammengeklebt war und dem man ansah, dass oft benutzt und zusammengefaltet worden war.

Die Lehrerin erkannte, auch ohne dass sie es gelesen hatte, sofort das Blatt mit all den guten und lieben Eigenschaften, die Marks Mitschüler über ihn geschrieben haben. Wir möchten ihnen danken, sagte die Mutter, wie sie sehen hat Mark dieses Blatt immer bei sich getragen. Als wir es gelesen haben, nach seinem Unfall, haben wir geweint und zugleich war es so tröstlich zu wissen, dass Mark so viel Gutes über sich hat lesen dürfen.

Die Lehrerin schluckte schwer und auch Marks Schulfreunde. Diese begannen nun zu erzählen. Eine hatte ihre Liste ins Tagebuch eingeklebt, ein anderer legte sie jedes Jahr neu im Januar in seinen Terminkalender. Etliche hatten ihre Liste dabei, abgegriffen und oft gefaltet, wie die von Mark. Die Lehrerin und die Schüler waren gerührt.

Und das Wort ist Fleisch geworden. Wie viel hätte Mark gefehlt, wenn die Gedanken seiner Mitschüler, wenn die guten Kommentare zu seinem Leben nicht Fleisch geworden wären. Wenn es diese Stunde in seinem Leben nicht gegeben hätte, da seine Mitschülerinnen, seine Lehrerin, seine Klassenkameraden nicht die Worte in ihrem Herzen sichtbar gemacht hätten. Wir alle wissen, dass jedes Leben wird eines Tages zu Ende sein. Wie wichtig ist es daher, denen, die wir lieben, zu sagen, warum wir sie lieben, warum sie für uns etwas Besonderes sind. Wieviel Kraft gibt so ein Wort, viele dunkle Momente verlieren ihre Dunkelheit, wo ein Mensch weiß, da gibt es jemand, der sieht in mir etwas Gutes, der oder sie liebt mich.

Und das Wort ist Fleisch geworden. Weihnachten ist die Stunde in der Weltgeschichte, da Gott in Bethlehem sichtbar gemacht hat, was er von uns denkt, wie sehr er uns liebt: Ich möchte bei euch sein. Ganz nahe. Ich möchte wie der zusammengefaltete und oft gelesene Zettel in der Geschichte sein, den das Kind von Bethlehem euch in die Herzen  gesteckt hat. Das Kind von Bethlehem ist das sichtbare gewordene Wort Gottes, sein Kommentar zu unserem Leben: ich bin für Dich vom Himmel gekommen. Ich möchte dir nahe sein. Immer und ewig. Amen.

(Geschichte nach Laacher Messbuch 2023)