Gott offenbart sich in einem Menschen, einer Person. Glaube ist nun Begegnung mit ihm.

Predigt von Bischof Peter Kohlgraf beim Pontifikalamt am Hochfest der Geburt des Herrn, 1. Weihnachtstag 2019 Dom zu Mainz, 25. Dezember 2019, 10.00 Uhr

Begegnungen (c) Bistum Mainz
Datum:
Mi. 25. Dez. 2019
Von:
Bischof Peter Kohlgraf

Es muss einen Grund haben, dass Gott sich in einer Person offenbart, nicht in einem Buch oder in einem Text – so versteht jedenfalls die christliche Überlieferung die Offenbarung Gottes. Auch wenn wir ein heiliges Buch haben und darin die Grundlage unseres Christseins sehen, ist das Christentum in seinem Kern keine Buch-religion. Eine Person zeigt uns, wie und wer Gott ist. Das Wort wurde Fleisch, nicht Buch oder Text. Gott selbst wird berührbar, erfahrbar, sichtbar in der Person eines konkreten Menschen, in der Person Jesu von Nazareth. Er kommt aus seiner Ewigkeit in die Zeit. Er wird sterblich, verwundbar, lebt in den Grenzen seiner menschlichen Natur und seiner Zeit. Gott offenbart nicht etwas, ein Wissen oder eine besondere Erkenntnis, sondern sich selbst. Besonders der Prolog des Johannesevangeliums verkündet diesen Kern des Evangeliums: Das Wort war von Ewigkeit her bei Gott, und es wurde Fleisch.

Eine Begegnung mit einer faszinierenden Person kann ich nie derart abschließen, dass ich meine, sie nun ganz verstanden zu haben. Ich begegne einer Person, und nehme sie wahr in einer Begegnung. Ich nehme sie als Ganzes wahr, nicht nur in ihren Teilen. Ich addiere nicht einzelne Beobachtungen zusammen, damit findet keine wirkliche Begegnung statt. In der Begegnung zwischen mir und einer anderen Person mit all dem, was sie ausmacht, findet die Entscheidung statt: Diesem Menschen kann ich vertrauen, auf ihn kann ich mich verlassen[1]. Bei Jesus kann ich sein Lebenszeugnis nicht von seinen Worten und Taten trennen. Er ist ganz wahrhaftig, er wendet sich den Menschen zu, besonders denen am Rand, er lehrt die Menschen besonders in Gleichnissen, in die sich der Mensch hineingeben muss, um sich verändern zu lassen. Er ist radikal in seinen Forderungen der Liebe zu Gott und dem Nächsten. Das wird dadurch glaubwürdig, dass er nicht nur ein wenig liebt, sondern die Liebe selbst verkörpert, eine Liebe, die für Gott und den Nächsten brennt. Bereits die Einfachheit seiner Geburt wird von den Menschen später als Beweis dafür genommen, dass er als Sohn Gottes nicht auf einem hohen Ross sitzt, dass er seine Macht nicht in einem irdischen Sinne versteht. Am Ende stirbt er am Kreuz. Wer so liebt wie dieser Jesus, rechnet damit, dass eine lieblose Welt diese Liebe nicht ertragen kann, weil sie eigene Lebenskonzepte und Machtansprüche bedroht sieht. Wort und Tat, Leben und Person sind eine wahrhaftige Einheit. Das macht für viele Menschen diesen Jesus so faszinierend, so interessant, aber auch so herausfordernd. Für andere bleibt er eine Bedrohung oder ein Spottobjekt.

Gott offenbart sich in einem Menschen, einer Person. Glaube ist nun Begegnung mit ihm – bis heute. Um Offenbarung verstehen zu können, braucht es die Vorentscheidung, ob ich diesem Jesus vertrauen will. Ob ich in ihm dieses Wort Gottes sehen will, zumindest die Entscheidung, ob ich mit ihm in ein Gespräch oder eine Beziehung treten will, um ihn besser kennen zu lernen. Es braucht sozusagen ein offenes Fenster, damit das Licht leuchten kann – in mein eigenes Leben hinein. Es wird nur schwer zu einer tieferen Begegnung mit diesem Jesus kommen, wenn ich ihn nicht als ganze Person in mein Leben hineinnehme, sondern nur einzelne Facetten akzeptieren kann. Wer Jesu Verhalten faszinierend findet, aber seine Botschaft nicht an sich heranlässt, wird ihn nicht wirklich kennen lernen. Wer ihn als guten Menschen akzeptiert, aber seinen Anspruch, Gott und sein Reich zu verkörpern, nicht annehmen will, wird an der Oberfläche bleiben. Wer nicht mit der Möglichkeit Gottes rechnet, sich in diesem Menschen einmalig gezeigt zu haben, dringt nicht in die Tiefe vor. Wir erleben das in den verschiedenen Personen in den Evangelien. Auch die, die Wunder Jesu sehen, kommen nur dann zu einem vertieften Glauben, wenn sie eine Grundentscheidung für den Glauben treffen, Jesus zu vertrauen, sich auf ihn zu verlassen. Jesus kann immer dort Wunder tun, wo Menschen zu glauben bereit sind. Glaube ist jedoch immer gleichzeitig ein Geschenk. Um einen Vergleich zu verwenden[2]: „Wenn die Mutter viele Tage und Wochen das Kind angelächelt hat, erhält sie einmal das Lächeln des Kindes zurück. Sie hat im Herzen des Kindes die Liebe geweckt.“ Damit beginnt das Spiel der Liebe zwischen zwei Menschen. „So legt sich Gott als Liebe vor dem Menschen aus: von Gott her leuchtet die Liebe auf und stiftet dem Menschenherzen das Liebeslicht ein, das gerade diese – die absolute Liebe – zu sehen vermag. (…) Wie kein Kind ohne Geliebtwerden zur Liebe erwacht, so kein Menschenherz zum Verstehen Gottes ohne die freie Zuwendung seiner Gnade – im Bild seines Sohnes.“[3] Indem uns Gott selbst das Gesicht seiner Liebe zeigt, ermöglicht er, dass in uns die Liebe erwacht und wir uns in die Beziehung zu ihm hineingeben.

Es muss einen Sinn haben, dass Gott sich in einer Person offenbart und uns kein Buch schickt. Der tiefste Grund liegt wohl in dieser Liebe, von der auch das Johannesevangelium immer wieder spricht. Er will offenbar zuerst nicht mit guten Argumenten oder überzeugenden Gesetzen die Menschen zum Heil führen, sondern in einer lebendigen Beziehung. Und dennoch lesen wir gerade in den Evangelien und den Texten des Neuen Testaments von ihm, und er wird darin lebendig. Wir lernen ihn kennen über glaubwürdige Zeuginnen und Zeugen, über Menschen, die in diese Beziehung eingestiegen sind. Die Evangelien sind Glaubenszeugnisse dieser Freundinnen und Freunde Jesu, in denen diese Erfahrung der Liebe zu leuchten begonnen hat. Bis heute sind wir als Kirche zunächst in der Situation derer, die diese Zeugnisse lesen und das Wort dieser ersten Generation hören. Das gilt sowohl für diejenigen, die in der Kirche lehren, als auch für alle, die nach ihrem Glauben in dieser Zeit suchen. Bevor wir lehren, müssen wir hören. Jesus schreibt kein Buch, und so gilt es im Rahmen der Wahrheitsfindung in der Kirche auch nicht in erster Linie, sich mit Satzwahrheiten „tot zu schlagen“. Zu oft ist auch Jesus Menschen begegnet, die sicher sind in der Kenntnis der Gebote, sie aber im Wesentlichen als Forderungen für andere verstehen. Religiöses Wissen wird leicht zum Herrschaftsinstrument über andere. Im Leben der Kirche geht es nicht darum, Macht zu sichern, besonders an Weihnachten wird diese Versuchung entlarvt. Christ sein und Kirche sein gehen nur, indem sich alle zunächst als Hörerinnen und „Hörer des Wortes“ (Karl Rahner) verstehen, als Beziehungspartner des lebendigen Wortes, das Christus ist. Weil es lebendige Zeuginnen und Zeugen des lebendigen Christus sind, die uns das Evangelium überliefert haben, wird es für mich umso glaubwürdiger; es sind Texte, die brennen vor Begeisterung, sie sind Ausdruck einer lebendigen Beziehung, die Menschen damals in sich die Liebe haben wecken lassen. Das ist der tiefste Auftrag der Kirche bis heute. So wie bei Jesus Lehre, Leben, Tat und seine Person eine glaubwürdige Einheit sind, so soll es auch in der Kirche sein, die sich als sein Leib versteht (vgl. Lumen Gentium 8). Es genügt nicht, sich auf die göttliche Stiftung durch Jesus zu beziehen, es bleibt Auftrag der Menschen, seine Gegenwart in Tat und Wort in der Liebe zu bezeugen. Wo die Einheit zwischen Tat und Wort, Lehre und Leben auseinanderbricht, wird das Angebot und die Gegenwart der Liebe Gottes verdunkelt oder unmöglich gemacht. Auch die Kirche hat den Menschen nicht ein Buch zu überreichen, sondern das Zeugnis der Liebe in Tat und Wort. Alle Texte, die wir haben, seien es biblische oder theologische Zeugnisse, haben nur dann Wert, wenn sie Ausdruck der Liebe, der Sorge und der Nähe zu den Menschen in ihrer Suche nach dem Heil sind.

In der Geburt in Bethlehem findet Gott einen Weg, seine Liebe und Nähe zu zeigen. Das macht diesen Gott so überzeugend, so lebensnah, so herausfordernd. Jeder einzelne Mensch, der diesem Jesus glauben will und glaubt, und die Kirche als Ganze wird immer dann andere Menschen mitnehmen können, wenn sie in die Schule, in die Beziehung zu diesem Jesus gehen, den Christen als Sohn Gottes und als wahren Menschen bekennen, wenn sie ihr Leben und ihr Glaubensangebot als Ausdruck seiner Liebe und seines Lichtes verstehen. Möge dies besonders der Kirche in dieser Zeit gelingen. Es geht darum, seine Liebe und seine Nähe zu bezeugen. Gott gebe seinen Segen!  

 

[1] Vgl. dazu Hansjürgen Verweyen, Gottes letztes Wort. Grundriss der Fundamentaltheologie, Düsseldorf 1991, 392f.

[2] Vgl. ebd. 396, mit Verweis auf einen Text von Hans Urs von Balthasar.

[3] Hans Urs von Balthasar, Herrlichkeit III/1: Im Raum der Metaphysik, 1967, 945f.