In der pastoralen Arbeit geht es nicht darum, Menschen an uns zu binden, sondern sie an Gott abgeben zu lernen

Predigt von Bischof Peter Kohlgraf beim Festgottesdienst „25 Jahre Dominikaner in Mainz“ Mainz, Sankt Bonifaz, 2. Adventsonntag, 9. Dezember

Texttafel Predigt 9. Dezember (c) Bistum Mainz
Datum:
So. 9. Dez. 2018
Von:
Bischof Peter Kohlgraf
(Phil 1,4-6.8-11) Die Gemeinde in Philippi ist die erste von Paulus gegründete Gemeinde auf europäischem Boden. Offenbar hat sie ihm besonders am Herzen gelegen. Was der Apostel vor fast 2000 Jahren an diese Christengemeinde geschrieben hat, kann auch für uns heute, hier in St. Bonifaz, wo wir die 25jährige Präsenz der Dominikaner feiern und um eine gesegnete Zukunft beten, bedeutsam sein und wichtige Impulse geben. Drei Sätze aus der heutigen Lesung mögen uns dabei leiten.

„Immer, wenn ich für euch alle bete, tue ich es mit Freude und danke Gott dafür, dass ihr euch gemeinsam für das Evangelium eingesetzt habt vom ersten Tag bis jetzt.“

Die Menschen der Gemeinde sehen es als ihren gemeinsamen Auftrag an, das Evangelium weiterzugeben. Und sie verfolgen diesen Auftrag konsequent, vom ersten Tag an bis heute. Liebe Brüder des Dominikanerordens, ich glaube, dass dies ein guter Hinweis ist. 25 Jahre tun Sie Ihren Dienst als Gemeinschaft, durch die Feier des Gottesdienstes, durch Ihre Präsenz als Gemeinschaft, durch die Predigt und die Spendung der Sakramente. Gerade hier in der Nähe des Bahnhofs werden Sie auch mit den Seiten unserer Gesellschaft konfrontiert, die Armut, Sucht und vielfältige Nöten zeigen. Die Gemeinschaft hier in Mainz bietet gute Möglichkeiten, das dominikanische Prinzip der Apostolizität zu leben. Heute reden wir von Evangelisierung. Papst Paul VI., dessen Heiligsprechung wenige Wochen zurückliegt, hat uns 1975 ein bis heute wichtiges Schreiben hinterlassen, das sich mit der Frage beschäftigt, was Evangelisierung bedeutet: Evangelii Nuntiandi. Dort spricht er von einem Bruch zwischen dem Evangelium und der Lebenswelt der Menschen. Dieser Bruch ist in vielen Bereichen sicher noch deutlicher spürbar geworden. Apostolisch handeln, evangelisieren heißt heute, in die Lebenswelt der Menschen einzusteigen und dort deren Lebenskultur zu verändern. Mir hilft das Bild vom Sauerteig, der in einen Trog Teig gemischt wird und das Ganze verändert. Die Frohe Botschaft soll in die Welt getragen werden und sie von innen heraus verwandeln. Paul VI. zeigt, dass es dazu vielfältiger Wege bedarf. Vor jeder Wortverkündigung steht das Lebenszeugnis sowohl des Einzelnen als auch der Gemeinschaft. Die ausdrückliche Verkündigung durch die Predigt spielt eine große Rolle, auch wenn wir heute nach Verkündigungswegen suchen müssen, die nicht nur die treuen Kirchenbesucher erreicht. Apostel heute müssen sich weitere Gesprächspartner suchen als die klassischen Milieus, in denen sich unsere Gemeinden oft bewegen und von denen sie geprägt werden. Vielleicht wäre dies eine Anregung für den apostolischen Dienst des Dominikanerordens heute. Zunächst aber muss sich jeder Christ und jeder Ordensbruder selbst evangelisieren: das Evangelium hören, es aufnehmen, sich zu eigen machen und immer wieder mit Herz und Verstand zustimmen. Zudem kann Evangelisierung nur geschehen, wenn der Gesandte sich in Beziehungen lebt, die eine Verkündigung ermöglicht, die mehr ist als Belehrung. Der Papst verbindet damit die Hoffnung, dass aus einer solchen Beschäftigung mit dem Evangelium und den Fragen der Menschen eine lebendige und lebensnahe Predigt entsteht. Ein Hinweis in Evangelii Nuntiandi scheint mir für heute besonders wichtig. Der Papst ermutigt, zwischen den Kernthemen und sekundären Fragen gut zu unterscheiden. Die Kernbotschaft des Evangeliums ist die Liebe Gottes, die sich in Jesus Christus zeigt. Ziel der Verkündigung in Tat und Wort ist es, dem Menschen zur Entfaltung zu einem Leben in Fülle zu verhelfen und ihn zu befreien von allem, was ihn in Abhängigkeit führt und klein hält. Es ist deutlich, dass es dazu einer Gemeinschaft bedarf, auch einer Gemeinschaft, die größer ist als der Konvent der Dominikaner hier vor Ort. Es ist gut, wenn Sie viele Menschen motivieren können, sich der apostolischen Idee anzuschließen und das Evangelium dort zu bezeugen, wo sie leben und arbeiten. Dass sie dort den Bruch zwischen Evangelium und Lebenswelt ein wenig schließen helfen. Mit Paulus möchte ich Ihnen danken, dass Sie dies seit 25 Jahren hier am Ort tun in den Vollzügen der Liturgie, der Verkündigung und der gelebten Caritas, und dass Sie dies gemeinsam tun.

  • „Gott möge das gute Werk vollenden, das er bei euch begonnen hat.“

Es scheint mir ein tröstlicher und ermutigender Gedanke zu sein, dass wir Gottes Werk tun. Wir setzen Anfänge, aber wir müssen es nicht zu Ende bringen. Das ist eine Erfahrung vieler Menschen, die mit anderen Menschen arbeiten. Es ist gut, dies an Gott vertrauensvoll abgeben zu können. Natürlich hat dies auch eine anstrengende Seite, die wir auch geistlich anschauen müssen. Es ist menschlich verständlich, wenn wir auch in der pastoralen Arbeit mehr messbare Erfolge sehen wollen. Diese bleiben manchmal aus. Dennoch ist es gut, dass wir nicht unsere Kirche gestalten, sondern seine Gemeinde bleiben. Darin steckt ja auch das Vertrauen, dass er seine Kirche nicht verlassen wird. Und es ist wichtig, die uns anvertrauten Menschen als seine Kinder zu sehen und nicht als „unsere“ Gläubigen, weil wir ihnen helfen sollen, ihre je eigenen Wege mit Gott zu gehen und nicht unsere Vorstellungen im Glauben und Leben zu kopieren. In der pastoralen Arbeit geht es nicht darum, Menschen an uns zu binden, sondern sie an Gott abgeben zu lernen. Wir können das gute Werk beginnen, er möge es vollenden. Auch daran erinnert Papst Paul VI. Kirchliches Handeln dient nicht der eigenen Selbstverwirklichung, sondern der Befreiung des Menschen. Heute dürfen Sie sich ermutigt fühlen, weiter an der Aussaat zu arbeiten, und das Wachstum und die Ernte vertrauensvoll in Gottes Hände zu geben.

  • „Ich bete darum, dass eure Liebe immer noch reicher an Einsicht und Verständnis wird, damit ihr beurteilen könnt, worauf es ankommt.“

Paulus betet nicht um den Erhalt der Gemeinde, sondern um die Erkenntnis des heute Notwendigen. Der Blick richtet sich auf die Gegenwart und die Zukunft. Nicht selten verzetteln wir uns in unserem kirchlichen Tun in zahlreiche Aktivitäten, ohne noch erkennen zu können, was heute wirklich notwendig ist. Paulus erhofft sich für die Liebe eine solche Einsicht und ein solches Verständnis. „Gut gemeint“ allein reicht nicht aus, aus zweierlei Gründen. Zum einen kommt Liebe dann ans Ziel, wenn wir lernen hinzuschauen und zu erkennen, was der andere braucht, zum anderen überfordert sich derjenige nicht, der aus Liebe handeln möchte, wenn er das wirklich Notwendige erkennt. Er kann seine Energie dann gezielt einsetzen und sich nicht in hunderten Aktivitäten aufreiben. Für unseren pastoralen Weg habe ich als Leitfrage in diesem Sinne formuliert: Bekommen die Menschen, was sie brauchen? Brauchen sie, was sie bekommen? Ich schließe mich gerne dem Wunsch des Apostels an, dass Sie hier immer tiefer verstehen, worauf es heute ankommt.

Liebe Brüder des Dominikanerordens! Paulus macht Ihnen Mut, sich in die apostolische Sendung der Evangelisierung rufen zu lassen. Gehen Sie im Vertrauen, dass Gott das vollendet, was Sie beginnen. Beten wir gemeinsam um den Geist, der uns die Gabe der Erkenntnis und Unterscheidung schenken möge. Wir danken Ihnen für Ihr Dasein und freuen uns auf die weiteren Wege, die wir gemeinsam gehen können – unter Gottes Segen!