Mit welchen Haltungen müssen wir auch heute Christus begegnen, damit es eine fruchtbare Begegnung werden kann?

Predigt von Bischof Peter Kohlgraf beim Pontifikalamt am Hochfest des Lebens und Blutes Christi (Fronleichnam) Hoher Dom zu Mainz, Donnerstag, 20. Juni 2019, 9.00 Uhr 

Datum:
Do. 20. Juni 2019
Von:
Bischof Peter Kohlgraf

„Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.“

In jeder Eucharistiefeier beten wir diesen Text, der auf einen Abschnitt des Lukasevangeliums zurückgeht (Lk 7,1-10). Dort wird von einem römischen Hauptmann berichtet, der an Jesus die Bitte herantragen lässt, seinen sterbenden Diener zu retten. Er hält sich nicht für würdig, Jesus selbst anzusprechen, sondern bittet die jüdischen Ältesten, die Bitte weiterzugeben. Als Jesus seine Bitte annimmt und in das Haus des Hauptmanns gehen will, sagt er den bemerkenswerten Satz: „Ich bin es nicht wert, dass du unter mein Dach einkehrst.“ Und Jesus staunt über den Glauben dieses Mannes.

Dieses Gebet des römischen Hauptmanns hat in unsere christliche Liturgie Eingang gefunden, wenn auch in abgewandelter Form. Nicht umsonst steht es direkt vor dem Empfang der heiligen Kommunion. Denn genau darum geht es: dass Jesus selbst in uns Wohnung nimmt, dass wir zu seinem Tempel, zu seinem Haus werden. Heute bezeugen in vielen Städten und Dörfern katholische Gläubige seine Gegenwart im Zeichen des Brotes und des Weines. Im Mittelpunkt steht die Gegenwart Jesu in der Eucharistie, die Menschen feiern seine Gegenwart, erleben Gemeinschaft und bezeugen ihren Glauben in der Öffentlichkeit. Ich will den römischen Hauptmann und sein Bekenntnis auf unseren Weg mitgeben.

Drei Haltungen bringt der römische Hauptmann mit. Mit diesen nähert er sich Jesus und macht die Erfahrung seiner heilenden Gegenwart. Es sind Themen, die uns bekannt sind, so dass sie uns manchmal vielleicht gar nicht mehr bewegen.

Die erste Haltung ist der tiefe Glaube: In unserer Sprache ist das Wort Glauben ja ein schillernder Begriff. Für manchen ist Glaube Nichtwissen. „Das musst du glauben“, sagen wir. Das aber ist nicht das, was den Glauben des Hauptmanns ausmacht. Glauben bedeutet für ihn: ganz fest überzeugt sein, ganz tief vertrauen, das Leben seines Knechtes ganz in die Hände des anderen legen, weil er helfen kann und helfen wird. Das Leben in die Hände eines anderen geben, dem ich vertrauen kann, das ist Glaube. Dass Jesus einen solchen Glauben bei einem sogenannten „Heiden“, also einem Menschen findet, der nicht zum Gottesvolk gehört, provoziert seine Zeitgenossen. Sie müssen noch lernen, dass Glauben etwas anderes ist als das Leisten ritueller und religiöser Pflichten, wie Jesus es oft bei seinen Glaubensgenossen sieht. Und dass Glaube mehr ist als das Fürwahrhalten richtiger Sätze, lernen wir ebenfalls. Mit diesem Glauben sollen wir jedes Mal die Eucharistie empfangen. Wir begegnen dem, der uns retten kann und retten will. Der Kommunionspender reicht uns die Heilige Kommunion mit dem Wort „der Leib Christi“, und wir sprechen unser Glaubensbekenntnis: „Amen“ – ja, so ist es. Natürlich ist dies zunächst das Bekenntnis zur Gegenwart des lebendigen Christus. Wir empfangen nicht ein Brot wie jedes andere, sondern ihn selbst, der in uns wohnen will. Unser Glaubensbekenntnis soll aber mehr sein als eine Zustimmung des Verstandes. Wenn wir die Glaubenshaltung des Hauptmanns zum Vorbild nehmen, legen wir unser Leben in seine Hände, so wie er sich uns ganz schenkt. Wir erwarten von ihm Heil und Leben. Er soll unser Leben verwandeln, prägen, er soll Herz und Verstand ergreifen. Die Seele soll gesund werden, so beten wir. Wir halten ihm alles hin, was in unserem Leben ‚un-heil‘ ist, und wir vertrauen ganz darauf, dass er es gut machen kann. Das ist Glaube. Nur wenn wir so glauben, wie der Hauptmann, kann der Empfang der Eucharistie wirklich Frucht bringen.

Die zweite Haltung ist die Ehrfurcht: „Herr, ich bin es nicht wert“. Das Wort Ehrfurcht kommt in unserer Sprache kaum noch vor. Es hat nichts mit Angst zu tun, die Begegnung mit Christus soll uns nicht klein machen oder erschrecken. Ich begegne einem anderen Menschen mit Ehrfurcht, dann ist er für mich jemand Heiliges, ein Geheimnis, dem ich mit Interesse, aber auch mit der Haltung begegne, dass ich sein Geheimnis nicht ganz auflösen darf. Eigentlich verdient jeder Mensch, dass ich ihm mit Ehrfurcht begegne. Der Begriff beschreibt konkrete Beziehungen zwischen Menschen. Ein Beispiel: Die Bibel verlangt wiederholt solche Ehrfurcht der Kinder gegenüber ihren Eltern. Heute dürfen wir auch die andere Richtung bedenken. Eltern sollen ihren Kindern ebenfalls mit Ehrfurcht begegnen. Das würde sich etwa darin zeigen, dass Kinder nicht die Abziehbilder ihrer Eltern sind oder Kinder nur dann gute Kinder, wenn sie den Erwartungshaltungen ihrer Eltern entsprechen. Den Mächtigen in der Kirche und in der Welt sei auch die Ehrfurcht vor den ihnen Anvertrauten ans Herz gelegt. Ehrfurcht wäre eine Grundlage für unsere Begegnungen und Beziehungen insgesamt, auch eine gute Grundlage unserer Kommunikation. Der andere ist mir heilig, ich achte sein Geheimnis. Solch ein Geheimnis ist auch die Gegenwart Christi in der Eucharistie. Ein Geheimnis ist etwas anderes als ein Rätsel. Ein Rätsel kann und will ich auflösen. In ein Geheimnis kann ich tiefer eindringen, aber es wird immer geheimnisvoll bleiben. Ehrfurcht vor jemand anderem meint, dass ich akzeptiere, dass er ein Geheimnis bleiben wird, jemand, den ich nie besitzen werde. Ehrfurcht verhindert, dass Beziehungen oberflächlich werden oder dass der andere nur Mittel zum Zweck ist. Ehrfurcht hätte manches Verbrechen in der Kirche und in der Welt verhindert. „Herr, ich bin es nicht wert“: Der Hauptmann zeigt seine Ehrfurcht darin, dass er bekennt, dass die Zuwendung Gottes ein Geschenk ist, nicht Verdienst. Keiner hat einen Anspruch auf die Liebe eines anderen, aber wenn ich dann geliebt werde, ist es eine wunderbare Erfahrung. Solche geschenkte Liebe ist etwas sehr Kostbares, Geheimnisvolles, kein Verdienst, kein Besitz. Ehrfurcht ist eine gute und notwendige Haltung, Jesus in der Eucharistie zu begegnen. Ich habe keinen Anspruch auf seine Zuwendung, aber es ist seine Freude, bei mir zu sein.

Die dritte Haltung ist das Wissen um den Wert der Gemeinschaft. Eucharistie ist immer die Feier einer Gemeinschaft, nämlich der Gemeinschaft der Kirche. Manchmal beobachte ich Menschen, die die Eucharistie so mitfeiern, als ginge es nur um ihre private persönliche Frömmigkeit. Das darf so sein. Natürlich geht es um die ganz persönliche Christusbeziehung. Aber jeder und jede kann die Eucharistie nur in der Gemeinschaft mit anderen feiern. Der Hauptmann bittet für seinen Diener. Es geht ihm in erster Linie nicht um sich, sondern um das Heil des anderen, der ihm anvertraut ist. Es gibt einige Teile im Gottesdienst, an denen wir diese Gemeinschaft und Verantwortung besonders betonen: In den Fürbitten beten wir für die Welt und die Kirche, in der Kollekte sammeln wir für Anliegen Anderer, im Friedensgruß der Messe wenden wir uns dem Nachbarn zu. Wir können Christus nicht würdig begegnen und empfangen, wenn wir im Unfrieden mit dem Mitmenschen leben. Ich kann nicht Christus in der Eucharistie empfangen, wenn ich ihn verachte oder nicht beachte in den Schwestern und Brüdern, im Gottesdienst und draußen im Alltag. Der Glaube des Hauptmanns hat mehr das Heil seines Dieners im Blick als seine eigenen Bedürfnisse.

Wir können vom römischen Hauptmann lernen, mit welchen Haltungen wir auch heute Christus begegnen müssen, damit es eine fruchtbare Begegnung werden kann, die uns heil werden lässt, die fruchtbar ist: Der Glaube, der Christus ganz vertraut, die Ehrfurcht, die sich klar macht, dass wir keine Sache empfangen, sondern ihn selbst, und der Blick auf die Gemeinschaft mit den anderen. Heute bezeugen wir diesen Glauben. Wir tun es öffentlich, wohl wissend, dass unser Glaube oft nicht verstanden wird. Deswegen darf dieses Zeugnis sich nicht auf Fronleichnam beschränken. Wir dürfen einen Glauben bezeugen, der auf dem Vertrauen beruht, dass Gott mein Heil und das Heil aller Menschen will. Das Beispiel des römischen Hauptmanns möge uns immer wieder ermutigen, sich auf diesen Glauben und die Liebe einzulassen.