Predigt von Bischof Peter Kohlgraf bei der Feier der Missa chrismatis Dom zu Mainz, Montag, 11. April 2022, 17.00 Uhr

„Denn sie bleiben alle getaufte Menschen, sie bleiben Glieder am Leib Christi.“

Die Weihe der heiligen Öle (c) Bistum Mainz
Datum:
Mo. 11. Apr. 2022
Von:
Bischof Peter Kohlgraf

Charakter indelebilis – das unauslöschliche Merkmal. So spricht die lange kirchliche Tradition von der Taufe und dem Getauften. Die Taufe prägt dem getauften Menschen ein unauslöschliches Prägemal ein. Die Taufe lässt sich nicht ungeschehen machen. Von den ersten Jahrhunderten bis ins Mittelalter haben Theologen darüber nachgedacht.

"Sie sind Priester, König und Prophet, mit einem unauslöschlichen Prägemal gekennzeichnet, Sie gehören zu Christus"

Sie erinnerten an den Brauch des Feldherrn, den Rekruten zu tätowieren und ihn damit ein für allemal zu kennzeichnen, so wie Tiere durch das Brandmal dem Besitzer zugeordnet wurden. Münzen wurden mit dem Bild des Herrschers geprägt. Analog dazu wurde die Taufe verstanden: Der oder die Getaufte war damit Eigentum Gottes, in seinen Dienst genommen, Christus ähnlich, ausgezeichnet mit seinem Priestertum, wie er König und Prophet. Dieses Verständnis wird bis heute in jeder Tauffeier dem Täufling zugesprochen. „Ich bin eines Ihrer Schafe“ – begrüßte mich neulich jemand auf der Straße. Es gab keine Gelegenheit zu einer inhaltsreichen Erwiderung, und natürlich hat das biblische Bild von Hirte und Schaf auch seine gute Berechtigung. Dennoch hätte ich gerne erwidert: „Nein, Sie sind Priester, König und Prophet, mit einem unauslöschlichen Prägemal gekennzeichnet, Sie gehören zu Christus, sind sein Bruder, Christus hat sich unwiderruflich an Sie gebunden.“ Vielleicht hätte er mich angeschaut, als würde er an meinen Sinnen zweifeln. Aber es ist so. 
Wir haben beim Synodalen Weg in Deutschland viel über Macht und Gewaltenteilung gesprochen und damit ein wichtiges Feld im kirchlichen Miteinander identifiziert. Ich erlebe nicht, dass Menschen in der Kirche grundsätzlich den Leitungsdienst des Bischofs (und auch der Pfarrer und Priester) infrage stellen, zumindest keine repräsentative Mehrheit. Menschen in der Kirche wollen aber als erwachsene und reife Glaubende ernstgenommen werden. Diesen Weg gehe ich als Bischof gerne mit. Auch in unserem Bistum sind wir auf einem pastoralen Weg; dieser Weg ist hoffentlich auch vom geistlichen Bemühen geprägt, die eigene Taufwürde zu entdecken. Nicht immer muss dies in einem „Ehrenamt“ münden: Es geht um darum, den Glauben ins Leben zu übersetzen. 

Christus berührt die Menschen, er nimmt sie in den Dienst, er bleibt treu

Auf meinen diesjährigen Fastenhirtenbrief zum Thema der Berufung gab es unterschiedliche Reaktionen. Die einen bedankten sich, dass ich an eine Wurzel christlichen Lebens erinnert habe – statt ein tagesaktuelles Thema aufzugreifen. Die anderen zeigten sich verärgert, wie ich angesichts der Weltlage einen derart wenig aktuellen Brief habe schreiben können. Natürlich wäre etwas zu sagen über den Charakter und die Entstehung eines derartigen Hirtenbriefs. Stellungnahmen zu den aktuellen Ereignissen gab es im Übrigen ja durchaus. Aber ich darf auch sagen: Ein wenig wundere ich mich schon. Wer das Nachdenken über die eigene Berufung und das Christsein in dieser Zeit, dieser Kirche und auch dieser Welt und die Frage der Bindung an einen lebendigen Gott für unwesentlich hält, mag auch ein wenig selbstkritisch auf sein Christsein schauen. Und das sage ich mir auch durchaus selbst. Halte ich meine Bindung an Gott und Christus durch die Taufe für so selbstverständlich, dass sie schon wieder nichtssagend wird? Oder denke ich: Das ist doch alles klar? Auch der Dank für das „nicht-aktuelle“ Thema hat einen bitteren Beigeschmack. In den Suchbewegungen der Kirche gibt es für mich kein aktuelleres Thema als das Thema von Taufe und Berufung. Heute am Tag der Weihe des Katechumenen- und Chrisamöls lade ich dazu ein, die eigene Freude an der Taufe, an der Bindung an Christus lebendig zu halten oder neu zu verlebendigen. 
Die Frage von Taufe, unauslöschlichem Merkmal und Berufung wird aktuell, weil sich derzeit wieder viele Menschen zum Kirchenaustritt entscheiden. Hier gilt es zu differenzieren. Viele gehen den letzten Schritt einer langen Entfremdungsgeschichte. Für andere sind unterschiedliche Gründe ausschlaggebend, nicht zuletzt finanzielle Motive oder auch der Ärger über die Corona-Maßnahmen. Es ist aber auch nicht zu übersehen: Nicht wenige sagen, sie verlassen die Kirche, weil sie in ihr eher ein Glaubenshindernis als eine Unterstützung ihres Glaubensweges erfahren haben. Das beschäftigt mich als Bischof sehr. Denn sie bleiben alle getaufte Menschen, sie bleiben Glieder am Leib Christi. Ich kann mich zwar von der Gemeinschaft distanzieren, aber das unauslöschliche Prägemal der Taufe bleibt. Christus nimmt seine Treue nicht zurück, er schaut ins Herz der Menschen, er allein kann ihre „Freuden und Hoffnungen, Trauer und Ängste“ (GS 1) wirklich beurteilen. Mir als Bischof und uns als Gemeinschaft der Kirche kommt dies nicht zu. Und dennoch trifft und beschädigt es uns als Gemeinschaft, und damit meine ich nicht primär den finanziellen Aspekt. Jeder Austritt trifft die Gemeinschaft aller ins Mark. Denn: so wichtig die persönliche Beziehung zu Gott und Christus sein mag, von Anfang an vollzieht sich Nachfolge in einer Gemeinschaft, nicht alleine. Glaubensgemeinschaft als Beziehung auf einem gemeinsamen Weg gehört wesentlich zum Christsein. Daher ist die Kirche nicht verzichtbar für den Glaubensweg. Was müssen wir als Kirche tun, um Menschen besser Heimat zu geben, um sie in ihrer Berufung zu stärken? Und ich habe auch die Hoffnung, dass wir mit manchem im Gespräch bleiben können, der die Gemeinschaft verlässt, aber sich weiter Christus verbunden fühlt. Ich halte es nicht für unangemessen, auch den „Ausgetretenen“ zu sagen: „Sie sind Priester, König und Prophet, mit einem unauslöschlichen Prägemal gekennzeichnet, Sie gehören zu Christus, sind sein Bruder oder seine Schwester, Christus hat sich unwiderruflich an Sie gebunden. Und Sie sind weiterhin willkommen. So wie Christus für Sie da sein will. Vergessen Sie ihn nicht, weil er Sie nicht vergisst. Auch ich habe ihn nicht als Besitz, ich verwalte ihn nicht. Wie können wir im Kontakt bleiben? Gerne würden wir von Ihren Erfahrungen lernen.“ Ich lade besonders die Seelsorgerinnen und Seelsorger vor Ort und in den verschiedenen Kirchorten unseres Bistums dazu ein, Menschen nicht abzuschreiben und Gesprächsangebote zu machen. 
Ein unauslöschliches Merkmal empfangen auch die Geweihten in der Kirche, die als Bischof, Priester, Diakon ein besonderes Dienstamt in der Kirche ausüben. Es ist ein Dienst für andere. Der geweihte Dienst soll andere Glaubende unterstützen und befähigen, ihre Berufung und ihr eigenes Priestertum leben zu können. Im Selbstverständnis der katholischen Kirche ist dieser Dienst unverzichtbar, aber er ist eben kein Selbstzweck. Auch dies spielt auf dem Synodalen Weg eine wichtige Rolle. Denn problematisch wird es immer dann, wenn das unauslöschliche Prägemal, der „charakter indelebilis“ zu einem Besitzstand des Klerikers gemacht und entsprechend in die Praxis umgesetzt wird, im Sinne einer Abgrenzung oder Überhebung. Ursprünglich ging es darum zu garantieren: Auch ein unwürdiger Kleriker kann gültig und im Namen Jesu die Sakramente spenden. Es ging also um den Schutz der Gläubigen. Damit war also weder ein Herrschaftsanspruch noch eine moralische Beliebigkeit verbunden. Jeder und jede im Dienste Christi, gleich ob geweiht oder nicht, muss immer versuchen, dem Anspruch des Herrn zu genügen und glaubwürdig Zeuge oder Zeugin zu sein. Die Glaubwürdigkeit eines und einer jeden Getauften bleibt die wichtigste Grundlage für die Glaubwürdigkeit des Evangeliums in diese Welt hinein. 
Heute werden die heiligen Öle gesalbt: Der Chrisam, das Katechumenenöl und das Öl für die Kranken. Christus berührt die Menschen, er nimmt sie in den Dienst, er bleibt treu. Das gilt vom Anfang des Lebens bis in die letzten Phasen von Krankheit und Sterben. Ich danke allen, die sich bemühen um ein glaubwürdiges Zeugnis, den Einsatz für das Reich Gottes in der Liebe und Zuwendung zu anderen Menschen. Nicht wenige setzen sich auch in diesen Tagen für andere ein, nicht zuletzt auch in der Ukraine oder in der Sorge um die Geflüchteten. Es lohnt sich, sich der eigenen Wurzeln des Glaubens und der Berufung zu erinnern und sie immer mit größerer Freude zur Entfaltung zu bringen. Heute will ich meine Glaubensantwort neu geben: als Dank für die Taufe, das Christsein, die Berufung zum Dienst in Kirche und Welt. Allein kann ich das als Bischof nicht. Bleiben wir gemeinsam auf dem Weg des Glaubens!