Predigt von Bischof Peter Kohlgraf beim Pontifikalamt zum Bonifatiusfest des Bischöflichen Priesterseminars Seminarkirche Mainz, Donnerstag, 2. Juni 2022, 18.30 Uhr

Bonifatius (c) Bistum Mainz
Datum:
Do. 2. Juni 2022
Von:
Bischof Peter Kohlgraf

Es geht nicht um die Bewahrung oder Erneuerung von Strukturen, sondern um den aktiven, gelebten Glauben – durch mich und dich. Wenn das gelingt, werden sich Strukturen finden. Und spätestens jetzt wird es ungemütlich. Es gibt keinen Christen, keine Christin, die nicht zuständig wären. Das „man müsste“ ist eine starke Versuchung. Das geht nicht mehr. Auch das hat etwas mit der inneren Freude des Glaubens zu tun. 

Eine Strukturveränderung muss Ausdruck einer Glaubenshaltung und-entscheidung sein

 

„Wir wollten euch nicht nur am Evangelium Gottes teilhaben lassen, sondern auch an unserem Leben, denn ihr wart uns sehr lieb geworden.“ (1 Thess 2,8).

Mit diesen Worten beschreibt Paulus sein Verhältnis zu seiner Gemeinde in Thessalonich. Wir sind am Beginn der Phase II unseres Pastoralen Weges im Bistum Mainz, und Paulus scheint mir mit seinem Satz das Grundanliegen auch unseres Weges gut auf den Punkt zu bringen: Menschen die Möglichkeit geben, am Evangelium teilzuhaben (Glauben teilen) und aus Liebe zu den Menschen Anteil am Leben nehmen und geben (Leben teilen). Ich fürchte, dass uns andere Themen mehr in Beschlag nehmen werden, wie die Ressourcenfrage oder die Frage, wie sich Verantwortung und Leitung teilen lassen. Daher nutze ich jede Gelegenheit, auch die Facetten des Glauben-Teilens und des Lebens-Teilens in Erinnerung zu rufen, denn sie sind die Grundlage für pastoral angemessene Entscheidungen auch in den eher praktischen Fragen.

In seinem Apostolischen Schreiben „Evangelii Gaudium“ aus dem Jahr 2013 hat Papst Franziskus gerade zur Schönheit des Evangeliums und zum Teilen der Glaubensfreude wichtige Hinweise gegeben. Gerne greife ich das heute auf.

Die Freude des Evangeliums, um die es dem Papst geht, ist ein gutes Thema, um in die Phase II des Pastoralen Weges einzusteigen. Freude ist ein Thema, welches die gesamte Heilige Schrift durchzieht. Der Papst stellt jedoch fest, dass mancher Christ aussieht, als wäre sein Leben eine permanente Beerdigung. Auch viele Christen sind, so der Papst, gereizte, unzufriedene, empfindungslose Zeitgenossen. Allein auf sich konzentriert kann man keine wirkliche Freude finden. Freude ist ein Geschenk, das ich in der Begegnung mit anderen Menschen finden kann. Und der Papst greift den Gedanken des Evangeliums auf, dass Glaubensweitergabe aus der Quelle der Freundschaft zu Christus schöpfen muss: „Ich lade jeden Christen ein, gleich an welchem Ort und in welcher Lage er sich befindet, noch heute seine persönliche Begegnung mit Jesus Christus zu erneuern oder zumindest den Entschluss zu fassen, sich von ihm finden zu lassen, ihn jeden Tag ohne Unterlass zu suchen. Es gibt keinen Grund, warum jemand meinen könnte, diese Einladung gelte nicht ihm, denn niemand ist von der Freude ausgeschlossen, die der Herr uns bringt. (…) Hier bin ich wieder, um meinen Bund mit dir zu erneuern. Ich brauche dich. Nimm mich noch einmal in deine erlösenden Arme.“ Jesus wartet doch bereits auf uns!

Liest man den Text des Papstes, so geht es jedenfalls mir, erfasst einen eine eigenartige Unruhe. Vieles kann ich sofort unterschreiben: Die Realität unserer Kirche ist oft wenig von dieser Freude geprägt. Gewohnheiten und Traditionen lassen wir nur ungern in Frage stellen, unterschiedliche Gruppen in der Kirche streiten geradezu unversöhnlich. Andere sehen die Rettung allein in der Trennung von Traditionen, die sie als belastend empfinden. Wir sind schon sehr mit uns selbst beschäftigt. Das betrifft ja nicht nur die großen Themen, über die gestritten wird. Wie schwer ist es für manchen Pfarrer, seine Gemeinden zusammenzubringen. Und hier legt der Papst schon einen Finger in die Wunde. Wir können es uns nicht mehr leisten, uns permanent selbst zu bespiegeln. Er ruft uns weg von unseren scheinbar so wichtigen kircheninternen Themen und ruft, die Menschen in den Blick zu nehmen, die das Evangelium nicht kennen. Strukturen sind nicht gleichgültig, sie müssen Ausdruck des Glaubens sein. Daher rede ich unsere Debatten und weiteren Schritte nicht klein, sie dürfen aber nicht alles sein. Eine Strukturveränderung muss Ausdruck einer Glaubenshaltung und-entscheidung sein. Auch auf unseren kommenden Wegen: Es geht nicht um die Bewahrung oder Erneuerung von Strukturen, sondern um den aktiven, gelebten Glauben – durch mich und dich. Wenn das gelingt, werden sich Strukturen finden. Und spätestens jetzt wird es ungemütlich. Es gibt keinen Christen, keine Christin, die nicht zuständig wären. Das „man müsste“ ist eine starke Versuchung. Das geht nicht mehr. Auch das hat etwas mit der inneren Freude des Glaubens zu tun. Die Zeiten sind vorbei, in denen jemand sagen konnte, für die und die Aufgabe gibt es allein Zuständige. Für die Verkündigung des Glaubens ist der Pfarrer oder die Gemeindereferentin zuständig. Nein! Jeder kennt Menschen, denen das Evangelium noch unbekannt ist. Ist unser Glaube dann Thema? Es geht nicht mehr um den Erhalt von Gemeinden, sondern um den suchenden Menschen in unseren Dörfern und Städten. Es geht nicht mehr um Traditionen, sondern um das Neue des Glaubens. Alle Ebenen der Kirche werden vom Papst aufgemischt.

Paulus thematisiert im 1. Thessalonicherbrief die Grundlage für dieses Bemühen um das Teilen der Erfahrung des Evangeliums: die Erwählung. Kirche ist die Gemeinschaft derer, die erwählt sind, nicht um die Freude des Evangeliums für sich zu behalten, sondern sie mit anderen zu teilen. Und er gibt uns einen wichtigen methodischen Hinweis: Glauben-Teilen geht nicht ohne Leben-Teilen. Glaube verbreitet sich nicht durch Belehrung, sondern durch Zeugnis, durch Leben, durch Begeisterung und das Interesse am anderen Menschen und seinen Erfahrungen, so wie er vielleicht Interesse an meinen Erfahrungen finden kann. In meiner Videobotschaft zum Tag der pastoralen Berufsgruppen habe ich einen Merksatz in Erinnerung gerufen, der Grundlage für jede Weitergabe des Evangeliums ist: die 4 „M“: Man muss Menschen mögen – und Gott selbstverständlich auch.

Glauben teilen, Leben teilen. Gerne greife ich die Einladung des Apostel Paulus heute auf. Und ich bin nicht blauäugig, mir sind die Probleme in Kirche und Welt bewusst. Dennoch stehe ich für die Kirche ein, die Leib Christi ist, mit allen Makeln und Runzeln. Aber ich stehe auch für eine Kirche ein, die eine Gemeinschaft derer ist, die andere am Glauben und am Leben teilhaben lassen wollen – um des Heiles und des Lebens in Fülle wegen. Darum geht es.

Heute lade ich auch besonders alle Bewohnerinnen und Bewohner dieses Hauses dazu ein, Glauben und Leben teilende Menschen zu sein und zu bleiben, denn für sich allein kann niemand glauben. So wird dieses Haus auch immer ein Haus der Freundschaft mit Christus und des Interesses am Glauben und Leben des oder der Anderen sein müssen. Dazu wünsche ich Ihnen allen diese Grundlage der Freude am Evangelium und den Segen Gottes.