Predigt von Bischof Peter Kohlgraf im Abendmahlsamt Dom zu Mainz, Gründonnerstag, 14. April 2022, 19.00 Uhr

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Datum:
Do. 14. Apr. 2022
Von:
Bischof Peter Kohlgraf

In diesen Zeiten weht uns als Kirche ein heftiger Sturm entgegen, und ein Ende ist nicht absehbar. Es ist kein Sturm allein von außen: Wir haben die Erschütterung teilweise selbst ausgelöst. Es weht zudem ein Sturm der Gewalt, nicht nur in der Ukraine, die Ereignisse erschüttern Menschen weltweit.

Christus wäscht seinen Jüngern die Füße, nicht den Kopf, um im Bild zu sprechen.

Es ist kein Verschließen der Augen vor den Problemen, wenn wir uns an den kommenden Tagen wie in einer Familie unserer Herkunft und unserer Zusammengehörigkeit versichern. Wir wollen das feiern, was unsere Lebensquelle ist, wir dürfen uns um neue Glaubensfreude und Glaubensstärkung bemühen. Heute Abend am Gründonnerstag ist es die Glaubensfreude aus der Erfahrung der Eucharistie, die Erfahrung der innigen Nähe zu ihm, morgen am Karfreitag die Stärkung aus der Nähe des Gekreuzigten, an Ostern die Freude aus der Hoffnung auf neues und ewiges Leben. Das Thema der Gemeinschaft mit Christus, die Suche nach unseren Quellen, soll wie ein roter Faden die Gottesdienste der kommenden Tage prägen.

Jesus wusste sicher am Gründonnerstagabend um die kommenden Ereignisse. Es bleibt nicht bei einer schönen Familienfeier. Er weiß um das Versagen seiner Jünger, den Verrat, die Verleugnung, die Schwäche und die Angst seiner kleinen Gemeinde. Wenn er sagt: Dieses Brot wird für euch hingegeben, nimmt er wohl das alles in dieses Teilen des Brotes und des Weines hinein. Er will Tod in Leben wandeln. Und dies geschieht in diesen unscheinbaren Zeichen des Brotes und des Weines.

Die Feier der Eucharistie führt uns mit Christus an einen Tisch, aber sie hält die Welt nicht draußen. Insofern stimmt die Rede vom geschützten Raum nicht ganz. Das ist in diesen Tagen besonders wichtig und auch tröstlich. In jeder Eucharistiefeier legen wir das Brot auf den Altar, und wir stellen den Wein bereit, Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit. Wir legen unsere Welt auf den Altar. Und wir beten nicht nur um die Wandlung des Brotes und des Weines in Leib und Blut Christi. Wir beten um die Wandlung unserer Herzen, und groß gedacht, immer auch um die Wandlung der Welt. Wir trauen dies Gott zu, dass er die Menschen ergreift und verändert. Zunächst einmal rechnen wir hoffentlich mit unserer je eigenen persönlichen Wandlung. Er will verwandeln: unseren mutlosen Glauben, unsere Lieblosigkeit, unsere Gleichgültigkeit, unsere Angst, unsere fehlende Liebe zu anderen. Wenn wir dann ihn empfangen, nehmen wir das Risiko an, genau seine Lebenshaltungen für uns zu übernehmen. Denn er will uns verwandeln.

Ich frage mich in diesen Tagen immer wieder: Wie können Menschen, die Gottes Nähe feiern und ihn in sich aufnehmen, dann im Krieg aufeinander losschlagen? Die Realität des Krieges und die Bilder davon sind unerträglich. Es erschließt sich mir nicht, wie Bischöfe anderer Konfessionen einen derartigen Mord und Terror mit dem Evangelium rechtfertigen können. Was „bringen“ das Gebet und diese Feier angesichts der Weltsituation und der kirchlichen Realität? Diese Frage wurde mir in einigen Interviews gestellt. Zunächst brauche ich, brauchen wir die Hoffnung auf die Durchsetzungskraft der Liebe und des Lebens. Das ist Thema der Eucharistie und des Gebets. Wir brauchen die Stärke und das Vertrauen, das uns im gemeinsamen Gebet und in der gemeinsamen Feier geschenkt werden kann. Wir legen das Leid Christus in die Hände. Am Ende der Eucharistie werden wir gesendet, selbst den Frieden weiter zu geben, der uns hier geschenkt wird. Immer wieder ist die Eucharistie dann doch keine gemütliche Familienfeier, sondern die Bereitschaftserklärung, sich verändern zu lassen und die Welt in Gottes Hände zu geben, selbst aber nicht die Hände in den Schoß zu legen.

Wir reden in der Kirche über kontroverse Themen, über Reform und Veränderung. Das ist gut und notwendig. Die rechten Wege können nur daraus erfolgen, dass wir an Christus Maß nehmen. Er ist das Fundament. Ein Pfarrer sagte kürzlich: Wir reden in der Kirche oft von „der Basis“, und meinen damit die Menschen, die als Mehrheit das Maß der Veränderungen sein wollen. Im Neuen Testament ist von einer Basis nie die Rede, wohl von einem „Fundament“. Daher ist es unverzichtbar, dass die „Basis“ sich ihres Fundaments vergewissert. Und das Fundament kann niemand anderes als Christus selbst sein. Ohne den Bezug zur Eucharistie im Abendmahlssaal geht das nicht. Der Gründonnerstag ist der Tag der Freundschaftserneuerung mit Christus. Wenn Glaube nichts mehr von dieser persönlichen Ergriffenheit hat, wenn wir nicht mehr gerne mit Christus zusammen sind, dann wird es Zeit, uns in den Abendmahlssaal zurückzuziehen und darüber nachzudenken: Was hält uns denn noch bei Christus? Im letzten kann es nur sein Angebot in der Eucharistie sein, immer bei uns sein zu wollen. Christus bietet uns heute auf unnachahmliche Weise seine Freundschaft neu an. Eine größere Freundschaft hat niemand, nur wer sein Leben für die Freunde gibt, ist wirklich der Freund der Menschen. Die wichtigste Quelle des Christseins ist dieser Wunsch Christi, ganz bei uns zu sein. Ich meine, dass dieser Gedanke auch unseren Umgangsstil innerhalb der Kirche prägen und gegebenenfalls verändern müsste.

Menschen erschrecken über menschliches Versagen in der Kirche. Ja, auch das ist Thema des Abendmahlssaales. Verrat, Feigheit, Egoismus, all das ist da versammelt. Die Jünger Jesu sind noch keine Versammlung von Engeln und Heiligen. Damals wie heute sitzen da 100% Sünder, aber auch 100% Leute, die sich dennoch zu den Freunden Jesu zählen. Wir beginnen nicht umsonst jede Eucharistiefeier mit dem Schuldbekenntnis. Und das ist mehr als ein unverbindliches Ritual. Es ist christliche Tugend, bei sich selbst immer zuerst kritisch hinzuschauen. Christus wäscht seinen Jüngern die Füße, nicht den Kopf, um im Bild zu sprechen. Christen sind Menschen, die um ihre Schuld und Erlösungsbedürftigkeit wissen, aber auch um die große Barmherzigkeit ihres Gottes. Das soll jetzt nicht danach klingen: Alles halb so schlimm. Nein, gerade der Gründonnerstag zeigt: Es ist schlimm. Die Schuld treibt diesen liebenden Freund bis ans Kreuz, auch meine Schuld. Nichts wird schöngeredet. Aber diese Liebe, die bis zum letzten geht, kann auch Schuld verwandeln, nimmt mich an in meiner Schwäche. Deswegen kann ich diesem Freund mein Versagen immer wieder eingestehen. Und wenn wir heute im Sturm stehen, erwarten wir die Kraft zur Veränderung nicht allein aus unseren Fähigkeiten. Sicher: wir, besonders diejenigen in Verantwortung, müssen alles erdenklich Mögliche tun zur Erneuerung und Veränderung. Aber wir merken auch: Wir kommen an unsere Grenzen. Diese Grenzen aufbrechen, die Kraft dazu geben – das kann nur Christus allein. Denn wir brauchen Hoffnung, wir brauchen die Ermutigung: Wir sind nicht alleine unterwegs.

Ein letztes zeigt der Abendmahlssaal: Christsein geht nie allein. Jesus versammelt da nicht einzelne um sich, sondern die Zwölf stehen für die Kirche. Ohne Kirche keine Eucharistie, ohne Eucharistie keine Feier der Gemeinschaft mit dem Herrn. Lassen wir uns auch die Freude an der Gemeinschaft der Kirche nicht zerstören.

Wenn mich jemand fragen würde: Warum bist du gerne Christ, Priester und dann auch Bischof? Ich würde ihm sagen: Ich glaube, dass Christus mein Freund ist, der sich hingibt für mich und für alle Menschen. Dies zeigt sich besonders in der Eucharistie. Und ich freue mich seiner Gemeinschaft und der Gemeinschaft der Schwestern und Brüder. Ich bin dankbar für die Möglichkeit, diese Welt ihm in die Hände zu geben. Ohne ihn kann ich, können wir nicht leben. Und ich hoffe auf seine Kraft der Wandlung: Wandlung der Welt, Wandlung der Kirche, und nicht zuletzt auch Wandlung meines Lebens.