Predigt von Bischof Peter Kohlgraf in der Pontifikalvesper mit der Weihe der neuen Domorgel Hoher Dom zu Mainz, Sonntag, 21. August 2022, 16.00 Uhr

Bischof Peter Kohlgraf segnet den ersten Teilabschnitt der neuen Mainzer Domorgel (c) Bistum Mainz/ Hoffmann
Datum:
So. 21. Aug. 2022
Von:
Bischof Peter Kohlgraf

Wir haben diese Orgeln bauen lassen in einer Zeit, in der nach dem Sinn der Kirche und ihrer Verkündigung aus unterschiedlichen Gründen gefragt wird. Gerne verweisen wir auf die caritative Arbeit der Kirchen. Und diese soll nicht kleingeredet werden. Aber Kirche hat auch den Dienst, daran zu erinnern, dass der Mensch nicht nur Zwecken anderer dient. Besonders auch der Dom wie alle Kirchen verweisen auf diese Dimension des Menschseins, die sonst niemand so gut ausdrückt wie Kunst und Kultur als Sprachen von Verstand und Herz.

Unsere Orgeln predigen nicht nur laut, sie haben auch die leisen Stimmen, die Feinheit der Register, sowie die starken Stimmen.

Das deutsche Wort „Predigt“ leitet sich vom lateinischen „praedicare“ ab: Öffentlich bekannt machen, laut sagen, rühmen und preisen, so lauten einige der möglichen Übersetzungen. Predigten speisen sich hoffentlich aus einer reichen theologischen und geistlichen Arbeit der predigenden Person, sie bilden die Kultur einer Gemeinde, sie basieren auf einer eigenen Spiritualität wie gleichermaßen auf der Professionalität des Verkündenden. Längst wissen wir: Predigen muss auf vielen Ebenen stattfinden, um die Frohe Botschaft öffentlich bedeutsam und vernehmbar zu verkünden. Es bedarf der Kenntnis der Themen der Zeit sowie der theologischen Reflexion, aber hinzu kommen müssen die Professionalität und das Ernstnehmen der Tatsache, dass der Mensch nicht nur Verstand, sondern auch Herz und Emotion braucht, um sich tastend dem Reichtum des Glaubens zu nähern. Predigen muss heute mehr als je zuvor alle Sinne des Menschen anrühren.

Auch wenn sich die bildende Kunst heute als freie Kunst versteht, begegnen wir in ihren Schöpfungen den Themen der Zeit und der Erfahrungswirklichkeit der Menschen von heute. Kunst früherer Jahrhunderte verstand sich mehr als ausdrückliche Verkündigung und versuchte in den kleinen und großen Meisterwerken Themen des Glaubens zu deuten und näherzubringen. Museen und Kirchenräume sind daher unverzichtbare Orte der Predigt in Wort und Bild. Selbst die Reduzierung der Bilder in den modernen Kirchen ist eine Predigt über die Frage nach der Darstellbarkeit des großen Gottes. Nicht erst Papst Franziskus macht uns darauf aufmerksam, dass sie beste Predigt, die öffentlich wahrnehmbar und laut sprechend der caritative Dienst am Menschen ist. Das Leben muss predigen, sonst ist alles andere Stroh. Große Beispiele der Kirchengeschichte zeigen aber auch: Die Nächstenliebe darf nie in Konkurrenz treten zur Wertschätzung hochwertiger Kunst in der Liturgie und in den Kirchen. Gerade Franziskus von Assisi, der selbst radikale Armut lebte, wollte für den Gottesdienst nur das Beste und Wertvollste einsetzen. Eine Kirche, die sich Kunst und Kultur leistet, verrät nicht ihren Auftrag an den Armen dieser Welt.

Und natürlich erinnern wir heute an den Verkündigungsdienst der Musik in der Kirche. Sie ist Predigt, öffentlich, vernehmbar, rühmend und preisend. Sie berührt Herz und Verstand, sie ergreift den Menschen mit allen Sinnen. So wie eine Predigt durch das Wort nicht nur das Wohlbefinden steigern will, ist die Musik in der Lage, alle Dimensionen des Betens auszudrücken: Lob, Preis, Festlichkeit, Klage, Ratlosigkeit, Staunen und auch die Brüche des Lebens, die sich nicht automatisch in Harmonie auflösen. Die Größe und Schönheit Gottes und gleichzeitig seine Größe und Rätselhaftigkeit zu umschreiben ist der Predigtdienst der Musik in der Kirche, nicht nur in der Liturgie. Es ist angemessen, gerade in einer Kathedrale von der Bedeutung unseres Domes in Mainz eine Kirchenmusik und auch Orgeln von höchster Qualität zu haben. Sie dienen der Verkündigung, sie dienen den Menschen, die hierhinkommen, sie dienen der Kultur der Stadt und der Kirchengemeinden, sie dienen letztlich der Menschlichkeit, einer Sicht auf den Menschen, die ihn in allen seinen Dimensionen ernst nimmt, gerade auch in seiner religiösen Sehnsucht, die nicht nur durch den klassischen Gottesdienst und das Wort-Gebet gestillt wird.

Wir haben diese Orgeln bauen lassen in einer Zeit, in der nach dem Sinn der Kirche und ihrer Verkündigung aus unterschiedlichen Gründen gefragt wird. Gerne verweisen wir auf die caritative Arbeit der Kirchen. Und diese soll nicht kleingeredet werden. Aber Kirche hat auch den Dienst, daran zu erinnern, dass der Mensch nicht nur Zwecken anderer dient. Besonders auch der Dom wie alle Kirchen verweisen auf diese Dimension des Menschseins, die sonst niemand so gut ausdrückt wie Kunst und Kultur als Sprachen von Verstand und Herz.

Manchmal gibt es Zeitpunkte im Leben, die einmal als Chance verpasst, nicht wiederkehren. Man nennt einen solchen entscheidenden Punkt „Kairos“, den einmaligen Augenblick. Es war tatsächlich jetzt ein solcher Kairos, die beiden Orgeln bauen zu lassen, deren Planung schon viele Jahre zurückreicht. Nachdem die Orgel im Westchor nicht mehr spielbar ist, hätten wir ohne diese Orgeln im Hohen Dom zu Mainz keine spielbare Orgel mehr. Was wir hier feiern, ist also kein Luxus, sondern eine Chance und eine Notwendigkeit in vielerlei Hinsicht. Viele waren nun an der Verwirklichung beteiligt: So danken wir sehr herzlich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Firmen Goll und Rieger, die uns in der Zusammenarbeit dieses Jahrhundertprojekt ermöglicht haben; in diesen Dank schließe ich die zuarbeitenden Firmen ein und insbesondere auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Dombauamts. Zu danken ist den vielen Spenderinnen und Spendern, die sich diese Orgel zum Herzensanliegen gemacht haben. Besonders zu nennen sind: Der Dombauverein Mainz, der vor allem mit der Patenschafts-Aktion zahlreiche Spenderinnen und Spender gewinnen konnte, ebenso die Stiftung Hoher Dom zu Mainz, die die Spieltische refinanziert hat, und der Verein Musica Sacra. Unser Dank gilt auch den Mitgliedern der Domorgelkommission und der Dombaukommission, die das Projekt kundig begleitet und unterstützt haben.

Maßgeblich für die Verwirklichung war der emeritierte Domdekan Heinz Heckwolf. Ihm danken wir für das herausragende Engagement, den Kairos nicht zu verpassen. Dem Kapitel sei Dank, und jetzt selbstverständlich Domdekan Henning Priesel, der mit ganzem Herzen hinter diesem Projekt steht. Irgendwann wird auch eine Entscheidung bzgl. der Westchororgel getroffen werden müssen. Ich wünsche allen Menschen, die in den Dom kommen, in der Erfahrung der Musik auch der Orgeln eine Erfahrung, die sie mit Gott und seiner Gegenwart in Berührung bringt. Unsere Orgeln predigen nicht nur laut, sie haben auch die leisen Stimmen, die Feinheit der Register, sowie die starken Stimmen. Sie müssen zusammenklingen, und dieses Bemühen wünsche ich auch den Menschen in Kirche und Gesellschaft.