Unser Leben sollte zum Leuchten bringen, was uns in den Sakramenten geschenkt ist

Predigt von Bischof Peter Kohlgraf in der Feier der Missa chrismatis Hoher Dom zu Mainz, Montag, 3. April 2023, 17 Uhr

missa chrismatis im mainzer dom (c) Bistum Mainz
Datum:
Mo. 3. Apr. 2023
Von:
Bischof Peter Kohlgraf

Wir weihen die Öle, das Öl für die Taufbewerberinnen und –bewerber, das Öl für die Kranken, den Chrisam, mit dem die Täuflinge, Firmlinge und Weihekandidaten gesalbt werden. Öle heilen, befreien, bewahren vor dem Bösen, sie sind Zeichen der Berührung des heilenden Gottes. 

Gott hat in seinem Sohn zu uns in einzigartiger Weise gesprochen, Jesus ist das lebendige Wort Gottes selbst. Gott redet uns Menschen an wie Freunde. Er will uns in seine Gemeinschaft einladen und aufnehmen. Gott übermittelt nicht Sätze, sondern er geht in Beziehung zu uns. Die Lehre, die durch Christus kommt, erweist sich durch das Tun Jesu als wahr; die Botschaft kann beim Menschen ankommen, weil sie durch das Tun gedeckt ist. Gottes Wort deckt sich mit seinem Tun, das macht sein Wort absolut glaubwürdig. So formuliert es die Offenbarungskonstitution des II. Vatikanums.

In dieser Woche feiern wir die Hingabe Jesu, sein Vorbild an Gewaltlosigkeit und Menschenfreundlichkeit. „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt“ (Joh 15,13). Immer wieder hat Jesus die Menschen, die ihm nachfolgten, bewusst in diese Form der Freundschaft eingeladen. Er sprach immer wieder vom Kreuztragen, womit wohl nicht gemeint sein kann: das Leiden suchen, um Gott zu beeindrucken. Es geht vielmehr um das Hineinwachsen in diese Haltung der Glaubwürdigkeit, der Selbstbeschränkung von Macht, die andere unterdrückt; es geht um Glaubwürdigkeit, das Zusammenkommen von Tat und Wort. Was es für Menschen bedeutet, wenn sich das Leben nicht mit dem hohen Anspruch der Worte deckt, das haben wir schmerzlich durch die Studie zum sexuellen Missbrauch im Bistum Mainz erfahren, die vor einigen Wochen veröffentlicht wurde.

Wie kann es uns gelingen, in diese Lebenshaltung Jesu hineinzuwachsen und dadurch die Botschaft Jesu zum Strahlen zu bringen? Dazu will ich heute ermutigen. Denn nicht wir sind die Erlöser, sondern wir sollen ihn zu Wort kommen lassen und zum Strahlen bringen. Wir sind nicht selbst das Licht, sondern wir sollen Zeuginnen und Zeugen seines Lichtes sein. Das ist eine große Aufgabe, aber zugleich eine Entlastung. Unglaubwürdigkeit in der Kirche entstand und entsteht ja nicht zuletzt dadurch, dass sich Menschen als Heilsbringer gebärden und damit Macht missbrauchen. Das betrifft auch die seelsorglichen Beziehungen in der Kirche zwischen Menschen insgesamt. Nicht nur Bischöfe stellen sich auf einen Sockel oder genießen es, wenn sie von anderen erhöht werden.

Glaubwürdig sein, die Botschaft Jesu und damit ihn selbst zum Leuchten bringen, dafür will ich heute werben. Gerade von Jesus in seinen letzten irdischen Lebenstagen können wir lernen: Die Grundlage der Glaubwürdigkeit ist die Fähigkeit, seine Aussagen über Gott, seine Liebe und Hingabe an den Menschen in das eigene Leben zu übertragen. Es ist eine Lebensaufgabe, Wort und Tat immer wieder in eine Deckung zu bringen. Sicher muss ich als Person nicht mein Innerstes permanent nach außen kehren. Aber ich werde gut darauf achten müssen, dass ich Ansprüche an andere Menschen erst dann vorsichtig formuliere, wenn ich sie selbst zu leben bereit bin. Und wenn ich als Mahner auftrete, dann muss ich immer wieder auch zu meinen eigenen Fehlern und Grenzen stehen.

Jesus konnte deswegen mit klaren Positionen und Mahnungen auftreten, weil er glaubwürdig lebte. Diese Glaubwürdigkeit kann ich als Bischof und können wir als Kirche immer nur begrenzt leben und beanspruchen. Deswegen stehen unsere Forderungen gegenüber anderen immer unter dem Vorbehalt der eigenen Fehlerhaftigkeit und der eigenen Begrenzungen. Wir sind nicht der Erlöser und Heiland. Wir brauchen selbst seine Barmherzigkeit und Langmut, wir stehen unter dem Anspruch seiner Forderungen, die uns verpflichten. Als Kirche glaubwürdig zu leben, ist für jeden und jede einzelne wie für die Gemeinschaft als Ganze eine bleibende Aufgabe.

In dieser Woche stehen wir staunend vor der Gewaltlosigkeit Jesu. Ich will das heute Abend nicht mit den friedensethischen Debatten angesichts des Krieges gegen die Ukraine in Verbindung bringen, sondern auf unser kirchliches Leben anwenden. Gewaltlosigkeit in Gedanken, Worten und Werken – ich spüre jeden Tag die Aktualität dieser Haltung Jesu. Wir müssen gar nicht nur auf die erschütternden Vorfälle schauen, von denen die Studie zum sexuellen Missbrauch berichtet. Gewaltlosigkeit ist eine alltägliche Herausforderung. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erzählen davon, dass sie von Vorgesetzten verbal niedergemacht werden. Das darf nicht kirchliche Realität sein. Mir sind einige Begegnungen vom Synodalen Weg in Erinnerung geblieben. Und das erleben Menschen auch im Bistum: Gruppen reden über andere in der Kirche wie über Feinde, wenigstens Gegner. Die Bischöfe werden gegen andere ausgespielt und andersherum ebenso. Emotionen überlagern manchmal notwendige Sachdiskussionen. Es fallen Totschlagargumente: Die einen werden beschuldigt, zu erpressen, die anderen setzen durch Maximalforderungen unter Druck.

Ich habe für die Synodaltexte gestimmt, weil die Themen brennen, und dennoch hat mich der Stil der Debatte und des Umgangs miteinander immer wieder befremdet. Synodalität müssen wir noch mühsam lernen. Gewalt ist auch, wenn Gruppen vor dem Frankfurter Kongresszentrum beten: „Herr, erlöse uns von Bischof Bätzing“. Gewalt ist auch, wenn Feindbilder von verschiedenen Seiten aufgebaut werden. Es gibt Gewalt im Denken, Reden und Tun von „rechts“ und „links“, auch im Bistum Mainz. Sogenannte Progressive können sich als liberal präsentieren, solange eigene Macht nicht angefragt wird. Das gilt ebenso für sogenannte Konservative.

Die Grundfrage dieser Karwoche ist doch: Geht es mir um mein Ego, mein Denkmal, meine Macht, oder nehme ich einen Auftrag wahr in der Nachfolge Jesu, des Gekreuzigten, der nicht gekommen ist, sich bedienen zu lassen, sondern zu dienen? Kennzeichen des gewaltfreien Miteinanders in der Kirche, und speziell im Bistum Mainz, sind Empathie, Respekt und Achtsamkeit, schließlich Wohlwollen gegenüber einer Person. Es geht darum, Menschen verstehen zu wollen, ihre Meinung zu retten, auch wenn ich sie nicht teile. Für das Leitungsverständnis im Bistum ist dies von entscheidender Bedeutung. Nach der Goldenen Regel sind Menschen so zu behandeln, wie ich selbst behandelt werden will. Als Bischof bin ich gehalten, Macht zu teilen, indem ich Menschen höre, ernst nehme, beteilige, von ihren Kompetenzen profitiere. Das gilt auch für andere Leitungsebenen. Jedoch darf ich als Bischof Respekt dafür einfordern, dass ich, zusammen mit anderen, Verantwortung für das Ganze des Bistums trage und manche Eigeninteressen von Personen, Gemeinden, Gruppen und anderen Kirchorten in Frage stelle. Nichts Anderes meint der Gehorsam, den in dieser Feier die Priester neu versprechen. Es geht nicht um Diktatur, aber um Verantwortung, die ich mit anderen teile und wahrnehme. Gewalt hat viele Gesichter und geschieht täglich in unserer Gesellschaft, Menschen werden in Tat und Wort erniedrigt, auch in der Kirche. In der Nachfolge Jesu sollten wir jeden Tag beweisen: Wir können Konflikte im Sinne der Gewaltlosigkeit austragen und lösen. Wir können im Konflikt gewaltfrei bleiben und miteinander feiern und beten.

Es gehört zu meiner bischöflichen Aufgabe, für Gewaltfreiheit auf allen Ebenen zu werben. Denn: Es geht um die Glaubwürdigkeit der Botschaft, für die wir stehen müssen. Vielleicht ist die derzeitige Situation der Kirche mit dem Wort der „Krise“ noch sehr verharmlosend beschrieben. Allerdings will ich mich nicht entmutigen lassen. Christsein ist vom Prinzip so einfach wie wirkungsvoll: glaubwürdig zu leben versuchen, das eigene Denkmal vom Sockel holen, Jesus ins Leben holen, weil er der Erlöser ist. Christsein ist auch entlastend, weil ich nicht der Erlöser sein muss. Christsein in der Nachfolge Jesu als Leben ohne Gewalt in Gedanken, Worten und Werken, macht mich innerlich frei. Und wenn ich einen Menschen nicht wirklich lieben kann, darf ich ihn im Gebet an Gott abgeben.

Wir weihen die Öle, das Öl für die Taufbewerberinnen und –bewerber, das Öl für die Kranken, den Chrisam, mit dem die Täuflinge, Firmlinge und Weihekandidaten gesalbt werden. Öle heilen, befreien, bewahren vor dem Bösen, sie sind Zeichen der Berührung des heilenden Gottes. Unser Leben sollte zum Leuchten bringen, was uns in den Sakramenten geschenkt ist und was wir weitergeben dürfen.