“... So wie ihr auch gerufen seid zu einer Hoffnung”

Brief an die Gemeinden über die Würde der christlichen Berufung zur Österlichen Bußzeit 2001

Datum:
Sonntag, 4. März 2001

Brief an die Gemeinden über die Würde der christlichen Berufung zur Österlichen Bußzeit 2001

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn !

Ich möchte Ihnen in diesem Jahr zur Würde der christlichen Berufung schreiben. Das Wort Berufung wird heute ja eher im eingeschränkten Sinn gebraucht. Wir sprechen vor allem von den Berufungen zu verschiedenen Diensten und besonders Ämtern in der Kirche. In einer Zeit fehlenden Priesternachwuchses wird die Frage dringlicher, was wir als Kirche und als Einzelne dafür tun können. “Pastoral der Berufungen” ist ein geläufiger Titel für das Gesamt dieser Bemühungen, junge Menschen für kirchliche und geistliche Berufe zu gewinnen. Es geht dabei um Gemeindereferentinnen/referenten und Pastoralreferentinnen/referenten, Ständige Diakone und Priester sowie um weibliche und männliche Ordensangehörige, geistliche Gemeinschaften und Säkularinstitute. Muss man aber nicht zurück zu dem, was ursprünglich gemeint ist mit dem Wort Berufung?

Inhalt
1. Berufung als schöpferisches Ereignis
2. Berufung als personale Antwort
3. Berufung als Bindung an Jesus Christus
4. Unsere Aufgaben zur Förderung von Berufungen
5. Eine herzliche und inständige Bitte

Vorschläge für die Fürbitten

Gebete

1. Berufung als schöpferisches Ereignis

Jesus ruft die Jünger, die bei ihm sein und mitarbeiten sollen. Das Zulaufen und bloße Wollen der Menschen ist nicht maßgeblich, so sehr es auch um die eigene Bereitschaft zur Nachfolge Jesu geht. Gott ruft und schafft. Er bringt damit jeweils eine Geschichte in Gang, in der sich etwas grundlegend Neues ereignet. Gottes Blick schaut nicht schon vorhandene Dinge an, sondern wenn Gott blickt, entstehen die Dinge. Berufung ist von Grund auf schöpferisch. Darum sprechen wir ? ähnlich wie von Schöpfungsgeschichte ? auch von Berufungsgeschichte, die ein jeder in einmaliger Weise hat.

Der schöpferische Blick Gottes ist der Anfang jeder Berufung. Wir sehen dies bereits bei der Erschaffung des Menschen. Jeder wird von Gott bei seinem Namen gerufen. Wir wissen, dass dies schon für das ungeborene Kind im Mutterschoß gilt. Von Gott dem Schöpfer erhält das Menschenwesen Anerkennung und Lebensrecht: “Deine Augen sahen, wie ich entstand. In deinem Buch war schon alles verzeichnet; meine Tage waren schon gebildet, als noch keiner von ihnen da war.” (Ps 139,15f) Gott gibt dem Menschen also mit seinem liebenden Blick und seinem Ruf das Mensch- und Personsein. Die Würde des Menschen hängt nicht ab von unserer Anerkennung und Zustimmung, unserem Wollen und unserer Planung. Gott hat schon am Anfang eines Menschenlebens jeden in sein einzigartiges persönliches Leben gerufen (vgl. Jer 1,5). Wie anders betrachten wir einen Menschen, wenn wir in dieser Einstellung auf ihn zugehen! Wir spüren diese Einzigartigkeit auch bei dem Gedanken, dass jeder Mensch seinen eigenen Namen hat und so von uns entdeckt und auch wiedergefunden wird. Die Namensgebung ist darum ein besonderer schöpferischer Akt. Wir feiern neben dem Geburtstag ja immer auch unseren Namenstag.

 Der Ruf Gottes geschieht aber nicht nur bei der Schöpfung. Gott ruft den Menschen nicht nur ins Leben - Gott ruft ihn auch in seinem Leben immer wieder an, wie wir gesehen haben. So ruft der Herr bereits in der Genesis nach Adam: “Wo bist du?” (Gen 3,8) Gott ruft den Menschen in seine Gegenwart, er ruft ihn vor sein Angesicht und spricht ihn auf seine Verantwortung an. So gehört zur Berufung nicht nur der schöpferische Blick Gottes, sondern mit ihm auch sein Wort, das den Menschen konkret anspricht. Auch dieses Wort ist schöpferisch.

 Diese Ansprache Gottes bezieht sich in der Bibel nicht nur und allein auf den Einzelnen. Gottes Ruf gilt dem ganzen Volk. So ist die Rede von den “berufenen Heiligen” (1 Kor 1,2), von den “Berufenen Jesu Christi” (Röm 1,6) und von der Berufung der Christen zur Freiheit (vgl. Gal 5,13a). Schließlich klingt im Wort Kirche (“ek-klesia”) auch an, dass er das Volk Gottes selbst herausgerufen und vor ihm versammelt hat. Gott bleibt gerade im Blick auf die Kirche, das Aufgebot Gottes, diesem Ruf treu: “Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt” (Röm 11,29). Freilich bleibt eine Gefährdung der Berufenen bestehen, gerade wenn Gott treu ist, wir Menschen uns aber durch ihre Lebensführung der Berufung nicht würdig erweisen (vgl. 1 Thess 2,12; 5,24; Gal 1,6; 5,13). Vor Schwäche und Müdigkeit muss auch der Neuberufene, der zunächst viel Schwung hat, auf der Hut sein (vgl. Hebr 6,11-12; 12,1 ff.).

 Dieser Ruf, diese Berufung durch Gott ist die Würde eines jeden Christen. In ihr zeigt sich eine hohe Wertschätzung des einzelnen Menschen und des Menschenwesens überhaupt. Im Wissen um diese göttliche Berufung kann der Mensch manche Spuren von Gottes Ruf und Handeln in seinem Leben entdecken. Wenn wir in dieser Perspektive in unser Leben hineinhören, nehmen wir vielleicht auch Berufungen wahr, an denen wir sonst eher achtlos vorübergehen würden: unauffällige und unscheinbare, dennoch unersetzliche Dienste, zu denen wir gerufen sind. Dabei öffnet sich nicht nur unsere einmalige Lebensgeschichte dem Ruf Gottes, sondern es gibt auch die Berufung zu vielen unterschiedlichen Aufgaben. Beachten wir alle unsere Berufung? Trauen wir dies Gott zu? Sehen und behandeln wir uns auch gegenseitig im Licht dieser Berufung?

2. Berufung als personale Antwort

 Die Berufung erhält aber in der Bibel einen weiteren Akzent: Durch den Ruf Gottes kann jemand auch aus seiner Welt und seinem Stand sowie seinem Beruf herausgerissen werden. Man denke an die Fischer in der Nachfolge Jesu. Man kann dann von einem regelrechten Aussondern sprechen, etwa wenn Gott das kleine Volk Israel mitten unter den großen Nachbarn bevorzugt. Ein exemplarisches Muster der Berufung ist Abraham, der in die Unsicherheit der Fremde gerufen wird. Er kann sie nur im Glauben an den rufenden Gott bestehen. So untersteht er künftig seiner Fürsorge und seinem Segen. An dieser Stelle wird eine innere Nähe der Worte Berufung und Erwählung offenkundig. Beiden ist der Moment des freien, souveränen und unableitbaren Rufes Gottes zu eigen, für den es keinen Anspruch und kein Recht gibt. Dem Akt der Erwählung ist jedoch auch etwas von einer Vorliebe Gottes zu eigen (vgl. Dtn 4,37; Jes 14,1;Ps 47,5: Ps 78,68). Vor allem der hl. Paulus preist in seiner Theologie der Berufung und Erwählung diese grundlose Vorzugswahl Gottes (vgl. Röm 8,26-30). Wir Menschen von heute tun uns mit diesen Gedanken schwer. Wir sind so sehr von der Gleichheit aller überzeugt, dass wir die Unterschiede und die Vielfalt der Berufungen leicht übersehen. Für die Bibel allerdings ist es feste Überzeugung, dass der Ruf Gottes an den Einzelnen immer einmalig ist und ihn in besonderer Weise angeht.

 Wenn Gott ruft, erwartet er eine Antwort. Dies zeigt sich deutlich in der Berufung Samuels (vgl. 1 Sam 3). Samuel antwortet dabei auf doppelte Weise. Er stellt sich mit einem bis heute gültigen Wort zur Verfügung, wenn er sagt: “Hier bin ich!” Bei jeder Beauftragung und Weihe sagen wir dies. Zugleich erhöht Samuel seine Bereitschaft, wenn er hinzufügt: “Rede, Herr, Dein Diener hört!” Die Berufung kommt oft auch mit großer Wucht. Nicht zufällig heißt es immer wieder: “Die Hand des Herrn kam auf ihn”. In dieser Situation ist es begreiflich, dass der Gerufene in besonderer Weise sein Ungenügen erfährt. Die Berufungsgeschichten enthalten fast immer eine dramatische Steigerung durch die Einwände, die der Berufene vorbringt: Ich bin zu jung, ich kann nicht Rede und Antwort stehen, ich habe gesündigt, suche einen anderen. Gerade hier, wo alles falsche elitäre Bewusstsein entfällt, wird deutlich, dass Berufung und Erwählung der Boten ganz in der Gnade Gottes begründet sind. So heißt es bei Jeremia (Jer 1,7f): “Sag nicht: Ich bin noch so jung. Wohin ich dich auch sende, dahin solltest du gehen, und was ich dir auftrage, das solltest du verkünden. Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin mit dir, um dich zu retten.” Jedem Berufenen wird diese Notwendigkeit der Sendung vor Augen gestellt, zugleich erhält er die Zusage eines besonderen Beistandes: “Hiermit lege ich meine Worte in deinen Mund.” (1,9)

 Berufung ist also nicht Sache des eigenen Wollens oder einer Ausbildung allein. Oft ist Berufung identisch mit einem - fast immer schmerzlichen - Verwandlungsprozess, der aus dem eigenwilligen und widerstrebenden Menschen einen gehorsamen, zustimmenden Boten Gottes macht. Dies schließt das Hören auf das Wort, das Aushalten im Leiden und die Übereinstimmung von Botschaft und Leben ein. Die Existenz des Berufenen wird mehr und mehr transparent auf den hin, der ihn gerufen hat.

3. Berufung als Bindung an Jesus Christus

 Dies wird besonders deutlich im Neuen Bund. Hier konzentriert sich alles, was wir vom rufenden Gott gesagt haben, auf Jesus Christus. Er nimmt in der Souveränität seines Rufes die Stelle Gottes ein. Gottes Einladung erreicht die Menschen in Jesu Worten wirklich voraussetzungslos. Sie wendet sich auch an Sünder und Ausgeschlossene. Im Blick auf die Tischgemeinschaft Jesu mit Zöllnern und Sündern heißt es: “Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder” (Mk 2,17). Das Ziel der unermüdlichen Liebe und der Zuwendung Gottes zu den Menschen ist universal. Die Heilseinladung geht an alle. Sie muss jedoch auch mit allen Konsequenzen angenommen werden. Dies werden nicht alle tun. Über ihre genauere Zahl wird nichts gesagt. Jesus möchte seine Hörer zum Nachdenken bringen. Der Ruf wird nur “von wenigen” beantwortet (vgl. Lk 13,22ff.; Jes 10,21f.). In diesem Sinne sind viele berufen, wenige aber auserwählt. Das Wort bezieht sich auf den Ernst der gegenwärtigen Lage. Jesus ist da und ruft. Hier muss sich jeder entscheiden.

 Wir dürfen jedoch voraussetzen, dass Menschen, die Christen geworden sind, durch den Herrn selbst ansprechbar sind und bleiben. Es kann sein, dass dieser Ruf verdeckt wird und verschüttet ist. Es gibt aber Situationen, in denen die elementare Kraft des Rufes Gottes durch alle Verkrustungen und Verdrängungen hindurchbricht und sich bemerkbar macht. Man denke nur an die blitzartigen Umkehrsituationen von Menschen, die früher einmal getauft wurden, aber ihren lebendigen Kontakt mit Glauben und Kirche längst verloren haben. Kein Mensch kann zwar die Wunder Gottes wirken, aber wir können viel sensibler werden für Gottes Wege, die er mit solchen Menschen gehen will.

 Für die Verwirklichung dieser Einladung an alle braucht Jesus jeden Menschen, der sein Jünger geworden ist. Aber er braucht auch Jünger, die ganz bei ihm sind und sich ausschließlich seiner Sendung zur Verfügung stellen. Dies sind zunächst die Zwölf, die ihn begleiten und immer enger mit ihm zusammenarbeiten. Das Mit-Jesus-Sein ist unbedingt, beansprucht die ganze Person in ihrer Totalität, ohne jeden Vorbehalt und ohne jede Einschränkung. Es bedeutet unbedingte Bindung an die Person und an den Weg Jesu. Dies ist mehr als ein aufmerksames Lernen und eine diensteifrige Begleitung. Es ist Nachfolge. Die Jünger verkünden, wie er verkündet, und sie wirken seine Machttaten. Je mehr die Zwölf sich in diesem Sinne ganz Jesus unterordnen und nur seine Gesandten sind, um so eher vertreten sie seine Person und seinen Anspruch. Sie sollen alles beiseite lassen und sollen nur mit ihrer Botschaft und mit ihrer Vollmacht unterwegs sein. “Wer euch hört, hört mich.” (Lk 10,16) Ihre ganze Bedeutung besteht in der Bindung an Jesus. Sie dürfen sich vor allem nicht am Beispiel irdischer Machthaber orientieren (vgl. Mk 10,43).

 4. Unsere Aufgaben zur Förderung von Berufungen

 In der Fortsetzung dieses Auftrags Jesu sind zunächst alle Jünger angesprochen und die ganze Kirche. Viele Dienste haben sich später daraus abgeleitet und spezialisiert. Die Ordensleute und alle, die nach den evangelischen Räten der Ehelosigkeit, der Armut und des Gehorsams in der Nachfolge Jesu leben, erfüllen dieses Zeugnis Jesu zunächst auf der Ebene der christlichen Existenz. Gott schickt durch seinen Geist der Kirche auch immer wieder Geistesgaben – wir nennen sie auch Charismen –, die das Leben des Glaubens inspirieren und erneuern. Viele Frauen und Männer üben im Bereich der Glaubensunterweisung, bei der Gestaltung der Gottesdienste und der Feier der Sakramente sowie der Nächstenliebe auf der Ebene kirchlichen Tuns einen regelrechten Beruf aus, wie dies bei uns heute besonders bei Gemeindereferentinnen/referenten und Pastoralreferentinnen/referenten, aber auch bei den Frauen und Männern im schulischen Religionsunterricht geschieht. In der Mitte dieser Dienste steht das geistliche Amt, das die Bischöfe, die Priester und die Diakone umfasst, einschließlich der verheirateten Ständigen Diakone. Sie erhalten heute auch durch viele ehrenamtlich tätigen Christen, nicht zuletzt in den Räten, eine große Hilfe. Auch dies ist eine Form der Ausübung der Berufung. Für die große Bereitschaft können wir nur dankbar sein.

 Aber gerade so spüren wir auch, wie sehr wir auf die spezifische Mitarbeit der Frauen und Männer im pastoralen Bereich angewiesen sind. Der Priestermangel bringt uns bei aller Hilfe in Erinnerung, dass das geistliche Amt kräftig unterstützt, aber nicht ersetzt werden kann. Vor allem Priester können nur durch Priester ersetzt werden. Zum Beginn des 3. Jahrtausends ist es unsere größte Sorge, dass wir in Zukunft genügend junge Menschen finden, die aufgrund ihres Glaubens und eines lebendigen Sinnes für das Evangelium bereit sind, sich auf den Weg eines kirchlichen und besonders geistlichen Berufes zu begeben. Es ist bedenklich, dass seit mehreren Jahren in unserem Land – übrigens auch zum Teil in unseren evangelischen Nachbarkirchen – die Zahl der Theologiestudierenden stark abnimmt, sodass auf längere Sicht auch theologische Ausbildungsstätten in ihrer Existenz gefährdet sein könnten. Das Studium der Theologie ist jedoch auch heute noch eines großen Interesses wert und kann viele geistige Ansprüche und spirituelle Bedürfnisse erfüllen. Der Weg zum Ständigen Diakon und zum Priestertum ist eine besonders tiefe und eigene Gestalt der Berufung, die in der Verkündigung der Frohbotschaft des Herrn auch menschlich glücklich und selig machen kann. (Über die Ehelosigkeit des Priesters will ich hier nicht näher handeln; dazu habe ich 1993 den Hirtenbrief “Nachfolge des Herrn in ungeteiltem Dienst” geschrieben. Vgl. auch K. Lehmann, Es ist Zeit, an Gott zu denken. Ein Gespräch mit Jürgen Hoeren, Freiburg i.Br. 2000, 61ff., 66ff., 70ff.)

 Leider ist es für heutige junge Menschen immer schwieriger, diesen Ruf Gottes zur ganzen Hingabe an den Herrn und sein Evangelium zu vernehmen und konsequent zu verwirklichen. Vieles lenkt von einer Entscheidung ab, manchmal sind es sogar Eltern, Geschwister und Freunde, die abraten. Berufungspastoral ist eine wichtige Hilfe, aber sie allein kann keine Wunder wirken. Es kommt auf uns alle an. Wer wirklich um seine eigene Berufung weiß und ihr nachgeht, entdeckt bei sich und bei anderen vielleicht weitere Spuren und Hinweise auf den Weg der Nachfolge des Herrn. Von allen, die in der Verkündigung stehen, darf man in besonderer Weise die Förderung und Pflege der Berufung zum priesterlichen Dienst und zum Leben in geistlichen Gemeinschaften erwarten. Auch wir Priester sollten trotz mancher Schwierigkeiten direkt, aber auch durch die Art unseres Dienstes und Zeugnisses wieder mehr anspornendes und ermutigendes Vorbild werden. Schließlich spüren wir hier und heute wie sonst vielleicht selten die Ohnmacht rein menschlichen Tuns. Wir sind zutiefst vom Herrn der Kirche selbst zum Gebet für Berufungen aufgefordert: “Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter. Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden.” (Mt 9, 73)

5. Eine herzliche und inständige Bitte

 Verehrte, liebe Schwestern und Brüder im Herrn, ich schreibe diesen Brief zur Österlichen Bußzeit in den Tagen, da Papst Johannes Paul II. mich als Bischof von Mainz in das Kardinalskollegium berufen hat. Mit Dankbarkeit blicke ich zurück auf meinen bisherigen Lebensweg, die tiefe Bereicherung durch eine philosophische und theologische Ausbildung, die vielen Jahre des priesterlichen Dienstes, der Lehrtätigkeit vor allem für junge Menschen und nun seit bald 18 Jahren der Aufgabe, im Bistum Mainz Bischof zu sein. Ich danke Ihnen für viele Zeichen der Mitfreude und der Ermutigung sowie für Ihre vielfache Tätigkeit zum Zeugnis für das Evangelium und zum Aufbau der Kirche in unserem Bistum. Sie tragen dadurch ganz entscheidend auch meinen eigenen Dienst und den hohen Einsatz aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wenn ich auf die Zukunft des Lebens der Kirche blicke, ist es gerade in diesen Tagen meine inständige Bitte an Sie alle, diesen Brief zum Anlass einer Besinnung über die eigene christliche Berufung zu nehmen, viel intensiver der Mitverantwortung aller Christen für kirchliche und geistliche Berufe innezuwerden und alles dafür zu tun, was in dieser Hinsicht geistlich fruchtbar werden kann, ganz besonders auch das Gebet. Dies wäre das schönste Geschenk, das Sie mir machen können.

 In diesem Sinne danke ich Ihnen für die Mühe des Zuhörens und Lesens und erbitte für Sie alle, besonders auch den Kindern und älteren Mitmenschen sowie den Kranken, von Herzen den Segen des Dreifaltigen Gottes,

des + Vater, des + Sohnes und des + Heiligen Geistes.

Mainz, 1. Fastensonntag, 4. März 2001
Karl Kardinal Lehmann
Bischof von Mainz

 

Fürbitten

 Zelebrant:Herr, unser Gott, jeden von uns rufst Du, mit unseren Begabungen und Fähigkeiten mitzuhelfen, das Reich Gottes aufzubauen und den Menschen die Botschaft Deiner Liebe zu bringen. Allein auf uns gestellt, vermögen wir nichts, wir brauchen Deinen Beistand, Deine Zusage, Deine Kraft und Deinen Geist. So kommen wir mit unseren Bitten zu Dir:

Lektor/in:

·Rufe viele Menschen in Deinen Dienst, damit die Kirche die vielfältigen Aufgaben erfüllen und auf die Herausforderungen unserer Zeit wirksam antworten kann.

·Hilf uns, in unseren Gemeinden, geistlichen Gemeinschaften, Gruppen und Verbänden die gemeinsame Verantwortung für kirchliche und geistliche Berufe besser wahrzunehmen und ein Klima zu schaffen, in dem sich Berufungen entfalten können.

·Gib den Lehrerinnen und Lehrern und allen Verantwortlichen in der Jugendarbeit ein gutes Gespür, die Fähigkeiten, die in jungen Menschen stecken, zur Entfaltung zu bringen und die Gaben Deines Geistes entdecken zu helfen, damit geistliche Berufungen angenommen und durchgetragen werden können.

·Erhalte den Lehrern der Theologie an den Universitäten und kirchlichen Ausbildungsstätten die Freude an ihrer Aufgabe, um andere zu begeistern und um überzeugende Antworten auf das spirituelle Suchen der Menschen geben zu können.

·Lass alle, die sich in den pflegenden, helfenden und caritativen Diensten engagieren, Deine Kraft erfahren, damit sie durch die tätige Nächstenliebe Zeugnis Deiner Zuwendung zu den Menschen geben können.

·Hilf allen Priestern, Ordensleuten und in der Seelsorge Tätigen, ein glaubwürdiges Zeugnis und ein ermutigendes Beispiel durch ihren Dienst zu geben. Stärke die auf ihrem Weg Verunsicherten und alle, die müde und resigniert sind.

Zelebrant:Herr, unser Gott, du sendest uns, damit Gerechtigkeit und Frieden in der Welt wachsen und die Menschen auch in der heutigen Zeit glauben, hoffen und lieben können. Dir sei Lob und Preis in Ewigkeit. Amen.

Gebete

I.

Ich bin berufen, etwas zu tun
oder zu sein,
wofür kein anderer berufen ist;
ich habe einen Platz
in Gottes Plan und auf Gottes Erde,
den kein anderer hat.

Ob ich reich bin oder arm,
verachtet oder geehrt bei den Menschen,
Gott kennt mich
und ruft mich bei meinem Namen.

KARDINAL JOHN HENRY NEWMAN

II.

Herr Jesus Christus!
Du hast berufen, wen du wolltest.

Rufe viele von uns zur Arbeit für dich und mit Dir!
Du hast mit deinem Wort die Berufenen erleuchtet.

Erleuchte uns mit der Gabe des Glaubens an dich!
Du stehst denen bei, die du berufst.

Hilf uns die Schwierigkeiten unseres Lebens zu überwinden.
Und wenn du jemand von uns rufst, damit er sich dir ganz weihe,

dann möge deine Liebe diese Berufung vom ersten Augenblick an erwärmen,
wachsen lassen und bis zum Ende unversehrt bewahren.

Amen.

III.

HERR JESUS CHRISTUS,
Guter Hirte unserer Seelen,
der du deine Schafe kennst und
die Herzen der Menschen erreichen kannst:

Öffne Herz und Sinne der jungen Menschen,
die auf der Suche sind und
auf ein Wort der Wahrheit für ihr Leben warten.

Lass sie spüren,
dass sie nur im Geheimnis deiner Menschwerdung
das wahre Licht finden werden.

Erwecke den Mut derer,
die wissen, wo die Wahrheit zu finden ist,
aber fürchten,
dass dein Anspruch zu viel fordern könnte.

Rüttle die Herzen jener Jugendlichen auf,
die dir folgen möchten,
aber ihre Unsicherheiten und Ängste nicht überwinden können und
schließlich anderen Stimmen folgen und Wege gehen,
die Sackgassen sind.

DU WORT DES VATERS,
Wort, das Leben schafft und rettet,
Wort, das erleuchtet und die Herzen stärkt:

Besiege mit deinem Geist die Widerstände und
das Zaudern der unentschlossenen Herzen.

Erwecke in denen,
die du rufst, den Mut zu einer Antwort der Liebe:
“Hier bin ich, sende mich”! (Jes 6,8)

JUNGFRAU MARIA, du junge Tochter Israels:

Geleite in deiner mütterlichen Liebe jene jungen Menschen,
die der Vater sein Wort hören lässt.

Schenke Hilfe denen, die schon geweiht sind.

Mögen Sie mit dir das Ja einer freudigen und
unwiderruflichen Hingabe erneuern.

AMEN.

PAPST JOHANNES PAUL II.

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz